idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
31.01.2019 17:00

Zellen finden ihre Identität mittels mathematisch optimaler Strategie

Dr. Elisabeth Guggenberger Communications and Events
Institute of Science and Technology Austria

    Neue Erkenntnisse stellen Lehrbuchmodell zur Übermittelung von Positionsinformationen im Drosophila-Embryo in Frage – Studie erscheint in Cell

    Unser Körper - und der aller höheren Organismen - besteht aus vielen verschiedenen Zelltypen, die in einem präzisen und reproduzierbaren räumlichen Muster angeordnet sind, das zu gut ausgebildeten und gut funktionierenden Geweben und Organen führt. Aber wie finden genetisch identische Zellen in einem Organismus heraus, welcher dieser Zelltypen sie werden sollen? Ein Forscherteam, darunter Gašper Tkačik am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria), hat nun gezeigt, dass in der sich entwickelnden Fruchtfliege die Genexpression von vier Genen, den sogenannten Gap-Genen, gemeinsam in eine optimale Positionsspezifikation entschlüsselt werden kann. Dies ist das Ergebnis einer heute in Cell veröffentlichten Studie mit dem Senior-Autor Thomas Gregor und Eric Wieschaus, William Bialek, Mariela Petkova und Gašper Tkačik.

    Im Fruchtfliegenembryo werden die vier „Gap genes“ in verschiedenen Bereichen entlang der Längsachse des zigarrenförmigen Embryos eingeschaltet und bilden ein komplexes räumliches Muster. Einzelne Zellen im Embryo haben keine "globale Sicht" darauf, wo sie sich im Embryo befinden. Wissenschaftler nahmen daher an, dass eine Zelle die Konzentrationen der Gap-Gene misst, diese Konzentrationen als chemisches globales Positionierungssystem verwendet, um zu bestimmen, wo sie sich befindet, und eine Entscheidung trifft, ein bestimmter Zelltyp zu werden. Dieses jahrzehntelange Paradigma erklärt jedoch nicht alle Beobachtungen, sagt Tkačik: „Mehrere nagende Fragen bleiben bestehen, und die meisten Forscher nahmen bisher einen mechanistischen Blick darauf, was die beteiligten Moleküle sind, wie Positionen ausgelesen werden und welche chemischen Reaktionen folgen.“ In der aktuellen Studie ging das Team jedoch einen anderen Weg. „Die Signale, die die Zellen über ihre Position empfangen, sind verrauscht: Die Höhe der Gap-Genexpression schwankt mit der Zeit und zwischen den Embryonen. Nur vier verrauschte Konzentrationssignale, auf die eine Zelle nur einmal schaut, begrenzen die Genauigkeit, mit der diese Zelle ihren Standort berechnen kann, unabhängig von den Mechanismen oder Berechnungen. Dies ist eine grundlegende physikalische Grenze. Angesichts dieses Rauschens in den Gap-Gen-Konzentrationen fragen wir uns, wie genau jemand - einschließlich der Zelle im Embryo - sagen kann, wo er ist?"

    Aus theoretischer Sicht ist der zu wählende Ansatz klar, erklärt Tkačik: „Die Theorie sagt uns, wir sollen eine optimale Dekodierung verwenden, einen etablierten statistischen Inferenzansatz." Zu diesem Zweck maßen die ForscherInnen die Gap-Genexpressionsniveaus mit ausreichender Genauigkeit, um das biologische Rauschen im System zu charakterisieren. Basierend darauf, wie die Gap-Gene in Wildtyp-Embryonen eingeschaltet werden, konstruierten sie einen optimalen Decoder. Um den Decoder zu testen, fragten sie, was der Decoder vorhersagt, wenn eines der Gap-Gene mutiert wäre, und verglichen diese Vorhersage damit, wie solche mutierten Embryonen wirklich aussehen. Der Decoder sagte korrekt vorher, wie das Muster in mutierten Embryonen verzerrt wird, mit einer Genauigkeit von 1% und ohne freie Parameter, die aus Experimenten geschätzt werden müssten. „Dieses Ergebnis ist überraschend. Ohne den Mechanismus zu kennen, wie Zellen ihre Position bestimmen, können wir unter der Annahme, dass dies optimal geschieht, unter Verwendung der absoluten Konzentrationen aller vier Gap-Gene vorhersagen, wie sich die Positionierung bei Mutanten ändert", erklärt Tkačik.

    Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei Drosophila-Embryonen die Etablierung von Zellidentitäten nahezu optimal ist. „Die Evolution hat dieses System so stark vorangetrieben, dass - was auch immer molekular geschieht - die molekulare Hardware der mathematisch optimalen Berechnung der Position sehr nahe kommt", sagt Tkačik, „Und während wir nicht untersucht haben, welcher Mechanismus am Werk ist, zeigen unsere Ergebnisse, dass wir den Mechanismus nicht gut genug verstehen. Modelle, die Daten nach einem vermuteten Mechanismus anpassen, benötigen viel mehr Parameter, schneiden aber schlechter ab, als einfach nur Optimalität anzunehmen, ohne dass freie Parameter angepasst werden müssen, wie wir es hier getan haben."

    Die Ergebnisse stellen auch das Lehrbuchmodell in Frage, wie Positionsinformationen im Drosophila-Embryo übermittlet werden. Eric Wieschaus und Christiane Nüsslein-Vollhard identifizierten die für die Musterbildung notwendigen Gene, dafür erhielten sie 1995 den Nobelpreis. Nach der vorherrschenden Ansicht werden sehr frühe Signale von der Mutter langsam über mehrere Schichten eines Netzwerks verfeinert. „Unsere Ergebnisse stellen diese klassische Idee einer Kaskade in Frage, die verrauschte Signale schrittweise verfeinert. Bereits im frühesten Schritt der Kaskade, auf der Ebene der Gap-Gene, gibt es genügend Informationen, um alle Zellen präzise zu positionieren", erklärt Tkačik.

    Warum die Kaskade existiert, bleibt eine offene Frage, aber die zusätzlichen Schichten könnten den Zellen helfen, die verfügbaren Informationen zu verarbeiten, sagt Tkačik. „Nur weil die Informationen bereits in den Gap-Genen vorhanden sind, bedeutet das nicht, dass diese Informationen für die Fliege leicht lesbar sind. Vielleicht verwandeln die zusätzlichen Schichten die Informationen in ein Format, das für Zellen leichter zugänglich ist und sich dadurch zuverlässig auf einen klar definierten Zelltyp festlegen lässt."

    Über das IST Austria
    Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik. Das Institut beschäftigt ProfessorInnen nach einem Tenure-Track-Modell und Post-DoktorandInnen sowie PhD StudentInnen in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut die Rechte an allen resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist Thomas Henzinger, ein renommierter Computerwissenschaftler und vormals Professor an der University of California in Berkeley, USA, und der EPFL in Lausanne. http://www.ist.ac.at


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Gašper Tkačik
    Institute of Science and Technology Austria (IST Austria)
    Am Campus 1
    A – 3400 Klosterneuburg
    Tel: +43 (0)2243 9000-4501
    E-mail: gasper.tkacik@ist.ac.at


    Originalpublikation:

    Mariela D Petkova, Gasper Tkacik, William Bialek, Eric F Wieschaus, Thomas Gregor, "Optimal decoding of cellular identities in a genetic network", Cell, 2019


    Weitere Informationen:

    https://ist.ac.at/de/forschung/forschungsgruppen/tkacik-gruppe/ Webseite der Forschungsgruppe um Gasper Tkacik


    Bilder

    Künstlerische Darstellung der Genregulationsmaschinerie
    Künstlerische Darstellung der Genregulationsmaschinerie
    Mariela Petkova
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Mathematik
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Künstlerische Darstellung der Genregulationsmaschinerie


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).