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31.01.2019 16:36

Was Spinnen an der Decke hält

Dr. Boris Pawlowski Presse, Kommunikation und Marketing
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

    Forschungsteam der Universität Kiel und des Helmholtz-Zentrums Geesthacht entschlüsseln Details der Haftstrukturen von Spinnenbeinen

    Problemlos klettern Jagdspinnen an senkrechten Oberflächen oder bewegen sich über Kopf an der Decke. Den nötigen Halt geben ihnen rund eintausend winzige Hafthärchen am Ende ihrer Beine. Diese borstenartigen Haare, die sogenannten Setae, bestehen, wie der Spinnenpanzer, vor allem aus Proteinen und dem Vielfachzucker Chitin. Um mehr über ihre Feinstruktur herauszufinden, hat ein interdisziplinäres Forschungsteam aus Biologie und Physik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Helmholtz-Zentrums Geesthacht (HZG) den molekularen Aufbau dieser Härchen genauer untersucht. Mit hochenergetischem Röntgenlicht fanden sie heraus, dass die Chitin-Moleküle der Setae speziell angeordnet sind, damit sie den Belastungen beim ständigen Anhaften und Loslösen standhalten. Ihre Ergebnisse könnten die Grundlage für besonders belastbare zukünftige Materialien sein. Erschienen sind sie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Journal of the Royal Society Interface.

    Beim Laufen und Klettern wirken große Kräfte auf die winzigen, nur wenige hundert Nanometer großen, Kontaktplättchen der Spinnenbeine. Diese Haftstrukturen halten der Beanspruchung mühelos stand. „Künstlich hergestellte Materialien gehen dagegen häufig kaputt“, stellt Professor Stanislav N. Gorb vom Zoologischen Institut der CAU fest. „Wir wollen deshalb herausfinden, warum Spinnenbeine so stabil sind.“ In seiner Arbeitsgruppe „Funktionelle Morphologie und Biomechanik“ untersucht der Zoologe biologische Mechanismen und wie sie künstlich nachgebildet werden könnten.

    Gorb und sein Mitarbeiter, der Zoologe und Biomechaniker Dr. Clemens Schaber, vermuteten, das Geheimnis der stabilen Hafthärchen liege im molekularen Aufbau des Materials. Mit ihren Dimensionen im unteren Mikrometerbereich sind sie jedoch zu klein, um sie mit gängigen Methoden zu untersuchen.

    Mit den besten Röntgenstrahlquellen weltweit untersucht

    Um ihre These zu überprüfen, arbeiteten die Kieler Wissenschaftler mit Martin Müller zusammen, Professor am Institut für Experimentelle und Angewandte Physik und Leiter des Bereichs Werkstoffphysik am HZG. Gemeinsam mit seinem Team und Doktorandin Silja Flenner untersuchten sie die Hafthärchen der Spinnenart Cupiennius salei mit Methoden der ortsaufgelösten Röntgenbeugung an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble, Frankreich, und am Deutschen Elektronen-Synchrotron (PETRA III bei DESY) in Hamburg. Diese Speicherringe gehören zu den besten und leistungsfähigsten Röntgenstrahlenquellen weltweit. Dort beschoss das Forschungsteam das Spinnenmaterial mit Röntgenstrahlung. Je nachdem, wie diese Strahlung durch das Material gestreut wird, lassen sich nanometergenaue Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des Materials ziehen. „Wir fanden heraus, dass die Chitinmoleküle an der Spitze der winzigen Hafthaaren der Spinne speziell angeordnet sind: Die parallel verlaufende Faserstruktur verstärkt die Hafthärchen“, fasst Müller die Untersuchungen zusammen.

    „Außerdem ist bemerkenswert, dass die Chitin-Fasern in anderen Teilen der Spinnenbeine in unterschiedlichen Richtungen verlaufen, ähnlich wie bei Sperrholz. Diese Struktur macht den Schaft des Spinnenbeins in verschiedene Richtungen biegbar“, erklärt Schaber, Erstautor der Studie. Die parallele Ausrichtung der Faser-Moleküle in den Hafthärchen hingegen folgt den Zug- und Druckkräften, die auf sie wirken. So fängt sie die Belastungen auf, die beim Anhaften und Ablösen der Spinnenbeine auftreten.

    Bionik: Vorbild für neue belastbare Materialien

    Ähnliche Hafthärchen finden sich unter anderem bei Geckos, einer Echsenfamilie. Das Forschungsteam vermutet dahinter deshalb ein zentrales, biologisches Prinzip, um auf verschiedenen Untergründen haften zu können. Für die Entwicklung neuer Materialien mit hoher Belastbarkeit könnte das wegweisend sein. Intelligente Molekülanordnung wie die in den Chitin-Fasern künstlich auf Nanoebene nachzubilden, ist allerdings eine Herausforderung für die Bionikforschung. „Die Natur verwendet andere Methoden: Ein biologisches Material und seine Struktur wachsen parallel, während das in der künstlichen Herstellung nacheinander ablaufende Schritte sind“, so Gorb. Neue Technologien der additiven Fertigung wie 3D-Druck auf der Nanoskala könnten eines Tages womöglich zur Entwicklung völlig neuartiger von der Natur inspirierter Materialien beitragen.

    Bildmaterial steht zum Download bereit:
    https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/022-spinne-1.jpg
    Bildunterschrift: Um herauszufinden, warum sich die Jagdspinne Cupiennius salei so gut an senkrechten Oberflächen halten kann, untersucht das interdisziplinäre Forschungsteam die winzigen Hafthaare auf den Spinnenbeinen. © Siekmann, Uni Kiel

    https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/022-spinne-2.jpg
    Bildunterschrift: Jagdspinne Cupiennius salei
    © Siekmann, Uni Kiel

    https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/022-spinne-3.jpg
    Bildunterschrift: Die Zoologen Professor Stanislav Gorb (links) und Dr. Clemens Schaber, beide CAU, und Physiker Professor Martin Müller, HZG, haben die Spinnenbeine mit modernsten Methoden der Röntgenstrahlen am DESY in Hamburg und am ESRF in Grenoble untersucht.
    © Siekmann, Uni Kiel

    https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/022-spinne-4.png
    Bildunterschrift: Unter dem Mikroskop werden unterschiedliche Bereiche des Hafthärchens sichtbar.
    © Schaber et al. (2019) J. R. Soc. Interface

    https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/022-spinne-5.png
    Bildunterschrift: Im Rasterelektronenmikroskop sind an der Spitze des Hafthärchens die winzigen, haftenden Kontaktplättchen der Spinne zu sehen. Sie sind gerade einmal zwanzig Nanometer dick.
    © Schaber et al. (2019) J. R. Soc. Interface

    https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/022-spinne-6.png
    Bildunterschrift: Die Streuung des Röntgenstrahls lässt Rückschlüsse auf die Chitinverteilung in den Hafthärchen zu. Die rote Farbe zeigt einen hohen Gehalt bis in die Spitze an.
    © Schaber et al. (2019) J. R. Soc. Interface

    Kontakt:
    Professor Stanislav N. Gorb
    Zoologisches Institut der Universität Kiel
    Telefon: 0431/880-4513
    E-Mail: sgorb@zoologie.uni-kiel.de
    Web: http://www.uni-kiel.de/zoologie/gorb/topics.html

    Dr. Clemens Schaber
    Tel. +49 431 880-4509
    E-Mail: cschaber@zoologie.uni-kiel.de

    Prof. Dr. Martin Müller
    Helmholtz-Zentrum Geesthacht
    Leiter des Bereiches Werkstoffphysik (komm.)
    Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Universität Kiel
    Tel.: +49 (0)4152 87-1268
    E-Mail: martin.mueller@hzg.de
    Web: https://www.hzg.de/institutes_platforms/materials_research/news/index.php.de

    Julia Siekmann
    Wissenschaftskommunikation
    Forschungsschwerpunkt Kiel Nano, Surface and Interface Science
    Universität Kiel
    Telefon: 0431/880-4855
    E-Mail: jsiekmann@uv.uni-kiel.de
    Web: http://www.kinsis.uni-kiel.de
    Heidrun Hillen
    Pressereferentin
    Helmholtz-Zentrum Geesthacht
    Zentrum für Material- und Küstenforschung
    Tel.: 04152 / 87 1648
    E-Mail: heidrun.hillen@hzg.de

    Weitere Informationen:
    Details, die nur Millionstel Millimeter groß sind: Damit beschäftigt sich der Forschungsschwerpunkt »Nanowissenschaften und Oberflächenforschung« (Kiel Nano, Surface and Interface Science – KiNSIS) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Im Nanokosmos herrschen andere, nämlich quantenphysikalische, Gesetze als in der makroskopischen Welt. Durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Physik, Chemie, Ingenieurwissenschaften und Life Sciences zielt der Schwerpunkt darauf ab, die Systeme in dieser Dimension zu verstehen und die Erkenntnisse anwendungsbezogen umzusetzen. Molekulare Maschinen, neuartige Sensoren, bionische Materialien, Quantencomputer, fortschrittliche Therapien und vieles mehr können daraus entstehen. Mehr Informationen auf www.kinsis.uni-kiel.de

    Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
    Presse, Kommunikation und Marketing, Dr. Boris Pawlowski, Postanschrift: D-24098 Kiel, Telefon: (0431) 880-2104, Telefax: (0431) 880-1355
    E-Mail: presse@uv.uni-kiel.de Internet: www.uni-kiel.deTwitter: www.twitter.com/kieluni Facebook: www.facebook.com/kieluni Instagram: www.instagram.com/kieluni


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Professor Stanislav N. Gorb
    Zoologisches Institut der Universität Kiel
    Telefon: 0431/880-4513
    E-Mail: sgorb@zoologie.uni-kiel.de
    Web: http://www.uni-kiel.de/zoologie/gorb/topics.html

    Dr. Clemens Schaber
    Tel. +49 431 880-4509
    E-Mail: cschaber@zoologie.uni-kiel.de

    Prof. Dr. Martin Müller
    Helmholtz-Zentrum Geesthacht
    Leiter des Bereiches Werkstoffphysik (komm.)
    Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Universität Kiel
    Tel.: +49 (0)4152 87-1268
    E-Mail: martin.mueller@hzg.de
    Web: https://www.hzg.de/institutes_platforms/materials_research/news/index.php.de


    Originalpublikation:

    Clemens F. Schaber, Silja Flenner, Anja Glisovic, Igor Krasnov, Martin Rosenthal, Hergen Stieglitz, Christina Krywka, Manfred Burghammer, Martin Müller, Stanislav N. Gorb, Hierarchical architecture of spider attachment setae reconstructed from scanning nanofocus X-ray diffraction data. J. R. Soc. Interface 16: 20180692. http://dx.doi.org/10.1098/rsif.2018.0692


    Weitere Informationen:

    https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/022-spinnen/


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    Um herauszufinden, warum sich die Jagdspinne Cupiennius salei so gut an senkrechten Oberflächen halten kann, untersucht das interdisziplinäre Forschungsteam winzige Hafthaare auf den Spinnenbeinen
    Um herauszufinden, warum sich die Jagdspinne Cupiennius salei so gut an senkrechten Oberflächen halt ...
    © Siekmann, Uni Kiel
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    Jagdspinne Cupiennius salei
    Jagdspinne Cupiennius salei
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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