In einer gemeinsamen Forschungsarbeit, publiziert im amerikanischen Journal für Krebsforschung der American Medical Association, JAMA Oncology, entdeckte ein Team von Paläontologen und Medizinern aus Deutschland, Kanada und den USA unter Beteiligung des Museums für Naturkunde Berlin, eine Krebserkrankung bei Pappochelys rosinae. Es handelt sich um ein Exemplar der ältesten bekannten Schildkröte der Welt aus der Trias-Zeit vor 240 Millionen Jahren.
“Untersuchungen der äußeren Morphologie sowie mikro-CT Aufnahmen des erkrankten Knochens ergaben, dass das Tier unter Knochenkrebs gelitten hat”, erklärt Yara Haridy vom Museum für Naturkunde Berlin und Leiterin dieser Studie. „Dies ist einer der ältesten Fälle von Krebs im Fossilbericht, und sein ältestes bekanntes Auftreten bei Amnioten überhaupt, also der Gruppe von Tieren, zu denen die Reptilien, Vögel und Säugetiere gehören”, sagt Florian Witzmann, Mitautor und Haridys Kollege am Museum für Naturkunde in Berlin. Die paläopathologische Studie wurde im angesehenen amerikanischen Journal für Krebsforschung der American Medical Association, JAMA Oncology, veröffentlicht. Paläopathologie beschäftigt sich mit Krankheiten und Fehlbildungen bei Lebewesen der Vorzeit. Dieser Wissenschaftszweig dient dem Verständnis, wie Krankheiten, Pathogene und auch Heilung evolvierten. Es ist eine junge Wissenschaft, die auf der interdisziplinären Zusammenarbeit von Paläontologen und Medizinern beruht. “Paläopathologien sind grundsätzlich selten bei Fossilien, und dies gilt insbesondere für bösartige Tumore, die bei Fossilien fast unbekannt sind. Das macht unseren Fund so bedeutend”, so Mitautor Patrick Asbach, Radiologe an der Charité - Universitätsmedizin Berlin.
Die Urschildkröte Pappochelys wurde im Steinbruch Schumann in Vellberg-Eschenau, Baden-Württemberg, entdeckt und machte 2015 Schlagzeilen als ein wesentliches Teil im Puzzle der frühen Evolution von Schildkröten. Das pathologische Pappochelys-Exemplar wird im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart aufbewahrt. “Über die Frage nach dem Ursprung der Schildkröten und ihres hochspezialisierten Bauplans haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jahrzehntelang gerätselt”, erklärt Mitautor Rainer Schoch vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart und einer der Entdecker dieses für unser Verständnis der Evolution von Schildkröten so wichtigen Tieres. “Pappochelys steht an der Basis der Entwicklung zu den modernen Schildkröten, gefolgt von Formen, die unseren heutigen Schildkröten zunehmend ähnlicher sehen.” So besitzt Pappochelys beispielsweise noch keinen vollständigen Schildkrötenpanzer und gibt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern damit einen Hinweis, wann und wie sich der Panzer in der Evolution entwickelt hat. In seiner paläopathologischen Studie arbeitete das Team an einem isolierten Oberschenkelknochen von Pappochelys, das einen auffälligen, zunächst rätselhaften Auswuchs aufweist. Mit der Unterstützung von Kristin Mahlow, wissenschaftliche Mitarbeiterin im micro-CT Labor des Museums für Naturkunde Berlin, konnte der Auswuchs als sogenanntes periosteales Osteosarkom diagnostiziert werden, einer bestimmten Form von bösartigem Knochenkrebs, die es auch beim Menschen gibt.
Krebs wird im Allgemeinen als unkontrollierte Teilung abnormaler Zellen definiert. Dies gilt sowohl für Weichteil-Tumore als auch für solche in Hartgeweben wie Knochen und Zähnen. „Bei Fossilien sind meist nicht die Weichgewebe erhalten, weshalb wir nur Pathologien untersuchen können, die sich im Hartgewebe des Skeletts manifestieren“, so der Mitautor und Paläopathologe Bruce Rothschild vom Carnegie Museum in Pittsburgh und dem Indiana University Ball Memorial Hospital in Muncie, Indiana, USA. Anhand von Pathologien im Fossilbericht können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herausfinden, wann bestimmte Eigenschaften in der Evolution aufgetreten sind. In diesem Fall verrät uns das Vorkommen von unkontrolliertem Zellwachstum, also Krebs, dass es bei Wirbeltieren für gewöhnlich einen Regulator gibt, der das Zellwachstum in Schach hält. „Im Fall der Urschildkröte hat wahrscheinlich eine Genmutation eine Funktionsstörung des Regulators bewirkt. Beim Menschen heißen solche Gene Tumorsuppressorgene, und sie stellen momentan ein sehr aktuelles Thema in der medizinischen Forschung dar“, sagt Mitautorin Nadia Fröbisch vom Museum für Naturkunde Berlin. Leider können wir weder wissen, ob die Urschildkröte dieselben krebserzeugenden Gene besessen hat wie heute der Mensch, noch ob diese Krebserkrankung tödlich für das Tier war. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Krebs nicht auf den modernen Menschen beschränkt ist. Stattdessen reicht die Anfälligkeit für diese Krankheit weit zurück in der evolutionären Geschichte der Wirbeltiere, hunderte von Millionen Jahren vor der Entstehung des Menschen“, folgert Yara Haridy.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Geowissenschaften, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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