idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
14.03.2019 14:00

Eine seltene Schlaganfallursache richtig behandeln

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    14.03.19 – Schlaganfälle gibt es auch bei jüngeren Menschen. Bei Patienten unter 50 Jahren liegt bei ca. einem Viertel der Fälle die Ursache in einer sogenannten Dissektion, einer Einblutung in die Wand hirnversorgender Arterien. Auch wenn Dissektionen insgesamt eher selten sind, führen sie bei bis zu 80% der Betroffenen zu einem Schlaganfall. Zur Verhinderung eines ersten oder erneuten Schlaganfalls ist daher bei diesen Patienten eine medikamentöse, gerinnungshemmende Therapie wichtig. Eine Studie untersuchte nun, mit welchem Medikament die Prophylaxe am besten erfolgen sollte.

    Bei der Dissektion einer Arterie kommt es zu einer Einblutung in die Gefäßwand bzw. zwischen die Schichten der Gefäßwand. Tritt dies im Bereich hirnversorgender Arterien auf (zervikale arterielle Dissektion/CAD), kann das einen Schlaganfall (Insult) auslösen. Die CAD ist zwar insgesamt eine seltene Schlaganfallursache (2%), bei jüngeren Menschen (<50 Jahren) werden jedoch bis zu 25% der Schlaganfälle durch sie verursacht [1]. Zervikale arterielle Dissektionen können spontan (ohne erkennbare Ursache) oder durch ein Mikrotrauma (durch Zug, Druck oder Verdrehung der Halsarterien) auftreten. Die jährliche CAD-Inzidenz liegt zwischen 3,5 und 4,5/100.000. Wenn eine CAD eingetreten ist, kommt es meistens auch zu einem Insult (in bis zu 80%), der Inzidenzgipfel liegt zwischen dem 40. und 45. Lebensjahr.

    Bei der Dissektion entsteht ein Hämatom in der Gefäßwand, welches direkt zur akuten Einengung des Blutgefäßes führen kann. Auch besteht die Gefahr, dass an der Stelle des sich vorwölbenden Hämatoms ein kleiner Einriss der Gefäßinnenhaut entsteht und sich dort durch körpereigene Reparaturmechanismen ein Gerinnsel (Thrombus) bildet, von dem sich Teile ablösen können, welche mit dem Blutstrom ins Gehirn gelangen und dort einen akuten Gefäßverschluss verursachen.

    „Um die Patienten optimal behandeln zu können, ist eine rasche Diagnose entscheidend, um einen Schlaganfall zu verhindern. Am besten, solange nur die Lokalsymptome der Dissektion bestehen. Hierzu zählen Kopfschmerzen und ein Horner-Syndrom oder Nackenschmerzen bei der Vertebralisdissektion. Aber auch das Schlaganfall-Rezidiv-Risiko ist in den ersten Wochen nach CAD deutlich erhöht“, erklärt Prof. Berlit, Essen, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Diagnostisch gilt die Kernspintomographie als Goldstandard. Akut therapeutisch kann die sogenannte Lyse-Therapie eingesetzt werden. Neben einer systemischen Thrombolyse (medikamentöse Auflösung des Gerinnsels über den Blutkreislauf) kann das Gerinnsel auch über einen Kathetereingriff entfernt werden (mechanische Thrombektomie).

    Innerhalb des ersten Jahres, besonders jedoch im ersten Monat nach dem initialen Ereignis, besteht (in ca. 25%) sowohl ein hohes Risiko für weitere embolische Insulte als auch für das Auftreten einer weiteren CAD – typischerweise an bislang gesunden Gefäßen.
    Daher ist bei Diagnose einer CAD eine Schlaganfallprophylaxe notwendig. Diese Prophylaxe erfolgt mit antithrombotischen bzw. gerinnungshemmenden Medikamenten. Infrage kommen entweder Thrombozytenfunktionshemmer (bzw. Plättchenaggregationshemmer, z. B. Acetylsalicylsäure/ASS), die verhindern, dass die Blutplättchen/Thrombozyten verklumpen und Thromben bilden oder orale Antikoagulanzien (z. B. Heparin, Marcumar, Warfarin), die Gerinnungsfaktoren im Blut blockieren. Bisher konnten Studien für die Schlaganfallprophylaxe nach stattgehabter CAD weder für die eine noch für die andere Substanzgruppe eine klare Überlegenheit zeigen. Es wird diskutiert, dass Antikoagulanzien effektiver sind, um Embolisierungen frischer Thromben zu verhindern, aber Plättchenaggregationshemmer ein geringeres Risiko dafür bergen, dass sich die CAD in der Gefäßwand ausdehnt oder noch an weiteren Stellen entsteht.

    Ende Februar wurden im „Journal of the American Medical Association“ (JAMA) die abschließenden Ergebnisse der prospektiven, randomisierten CADISS-Studie [2] veröffentlicht, die der Frage nachging, ob die Thrombozytenfunktionshemmung oder die Gerinnungshemmung für CAD-Patienten bessere Ergebnisse der Schlaganfallprophylaxe bringt. Die prospektive Multicenterstudie wurde an 39 Schlaganfallzentren in Großbritannien und Australien durchgeführt, sie war open-label, randomisiert und die Endpunktauswertung erfolgte verblindet. Es wurden 250 CAD-Patienten eingeschlossen, 224 davon hatten initial einen Schlaganfall oder ähnliche Symptome, die anderen vor allem Kopf- und Nackenschmerzen bzw. lokale Symptome. Das mittlere Patientenalter lag bei 49±12 Jahren. Sie erhielten randomisiert entweder Thrombozytenaggregationshemmer (n=126) oder Antikoagulanzien (n=124). Primärer Endpunkt waren Mortalität und Schlaganfallhäufigkeit nach drei Monaten. Danach durften die behandelnden Ärzte entscheiden, welche Therapie fortgeführt wurde. Alle Patienten wurden über ein Jahr lang nachbeobachtet.

    Nach drei Monaten gab es beim primären Endpunkt zwischen den Behandlungsgruppen keine statistisch signifikanten Unterschiede; kein Patient war verstorben, vier Schlaganfälle traten auf (1,6%), davon vier in der Thrombozytenfunktionshemmer-Gruppe. Auch das sekundäre Outcome, die Befunde der bildgebenden Diagnostik (Durchgängigkeit und Blutfluss in der Angiografie/Gefäßdarstellung), waren vergleichbar. Nach drei Monaten wurden häufiger Thrombozytenaggregationshemmer als Antikoagulanzien verordnet (letztere nach sechs Monaten noch bei 18,4%, nach 12 Monaten nur noch bei 6%). Auch nach zwölf Monaten errechnete sich statistisch kein signifikanter Gruppenunterschied; es kam in jeder Gruppe ein weiterer Schlaganfall hinzu, die Schlaganfallrate betrug nun insgesamt 2,5%: in der Thrombozytenfunktionshemmer-Gruppe vier Patienten gegenüber zwei Patienten in der Antikoagulanzien-Gruppe, in der es jedoch ein unerwünschtes Ereignis (Hirnblutung) gab. Ein Patient der Thrombozytenfunktionshemmer-Gruppe war nach einem erneuten Schlaganfall verstorben.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Gesamtrate an erneuten Schlaganfällen in beiden Behandlungsgruppen statistisch nicht unterschied. Insgesamt waren Schlaganfälle in den 12 Monaten der Nachbeobachtung viel seltener als in früheren Studien, die aber meist retrospektiv und nicht-randomisiert waren mit unvollständigem Follow-up.

    „Vor allem fällt jedoch auf, dass nur Patienten, die im Rahmen einer CAD initial eine Schlaganfall-Symptomatik entwickelt hatten, auch im Verlauf einen weiteren Schlaganfall erlitten. Besonders bei diesen Patienten müssen mögliche Vor- und Nachteile der verschiedenen Medikamente gegeneinander abgewogen werden“, betont Prof. Berlit. „Bei vielen Patienten ist die Prophylaxe mit Plättchenaggregationshemmern ausreichend oder sogar vorteilhaft; bei anderen dagegen nicht; die aktuellen Leitlinien [1] geben hierzu bereits je nach den klinischen und bildgebenden Befunden, Verlauf und Risikofaktoren recht detaillierte Empfehlungen. Leider erlaubt die vorliegende Studie keine Aussage dazu, ob die neuen direkten oralen Antikoagulanzien (NOAC) womöglich eine sinnvolle Alternative sein könnten. “

    Literatur
    [1] https://www.dgn.org/leitlinien/3264-030-005-spontane-dissektionen-der-extrakrani... (abgerufen am 06.03.2019)
    [2] Markus HS, Levi C, King A et al.; Cervical Artery Dissection in Stroke Study (CADISS) Investigators. Antiplatelet Therapy vs Anticoagulation Therapy in Cervical Artery Dissection: The Cervical Artery Dissection in Stroke Study (CADISS) Randomized Clinical Trial Final Results. JAMA Neurol 2019 Feb 25. doi: 10.1001/jamaneurol.2019.0072. [Epub ahead of print]

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 9500 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Past-Präsident: Prof. Dr. Gereon R. Fink
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Weitere Informationen:

    http://www.dgn.org


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).