Derzeit findet in Deutschland eine heftige Diskussion über Richtwerte und Grenzwerte zu Luftschadstoffen statt. In ihrem Beitrag Wissenschaft trifft Politik – die Basis der europäischen Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub zeigen die Autoren Bruckmann, Krämer und Wichmann auf, wie diese Werte, insbesondere der EU-Grenzwert für NO₂, entstanden sind und was sie bedeuten.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Bruckmann (ehem. Abteilungsleiter im Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW, LANUV) war von 1994 bis 2013 an der Erarbeitung der EU-Grenzwerte für Luftschadstoffe beteiligt.
Prof. Dr. rer. nat. Ursula Krämer (ehem. Leiterin des Arbeitsbereiches Umweltepidemiologie des IUF – Leibniz-Instituts für umweltmedizinische Forschung, Düsseldorf) hat sich detailliert mit der Methodik der Ableitung der WHO-Richtwerte befasst.
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. H.-Erich Wichmann (ehem. Direktor des Instituts für Epidemiologie des Helmholtz-Zentrums München und Inhaber des Lehrstuhls für Epidemiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München) war von 1994 bis 2005 an der Erarbeitung der Richtwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Luftschadstoffe (Air Quality Guidelines 2000 und 2006) beteiligt.
Düsseldorf, 19.03.2019. Der Grenzwert der EU von 40 µg/m³ NO₂ ist identisch mit dem Richtwert der WHO aus dem Jahr 2006. Dieser wiederum basiert letztlich auf einer Empfehlung aus dem Jahr 1997. Die Ableitung erfolgte damals auf der Grundlage von Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Symptomen von Atemwegserkrankungen bei Kindern und der NO₂-Belastung in Wohnungen. Die Forscher fanden einen positiven Zusammenhang ohne eine untere Wirkungsschwelle ableiten zu können. Der Richtwert von 40 µg/m³ wurde so festgelegt, dass das Risiko für Atemwegserkrankungen höchsten 20% über dem Risiko lag, dass sich bei der damals gefundenen minimalen NO₂-Belastung in Wohnungen ergab. Der Richtwert ist also kein Null-Risiko Wert. Die in der Zwischenzeit hinzugekommenen epidemiologischen Daten zu Wirkungen von NO₂ in der Außenluft haben letztlich zu keiner Änderung des Richtwertes geführt, da die neuen Daten mit dem bestehenden Richtwert in Einklang stehen. In allen Beratungen der WHO wurde aber herausgestellt, dass nicht klar ist, inwieweit die außen gemessene NO₂-Konzentration als Indikator nicht nur das Gas NO₂ sondern auch andere verkehrsabhängige Schadstoffe repräsentiert.
In die Grenzwertfestsetzung der EU fließen neben wissenschaftlichen Überlegungen zusätzliche Gesichtspunkte mit ein. Vor der Festlegung der Grenzwerte werden die Belastungssituation und die Minderungsmaßnahmen (Machbarkeit) geprüft und politische Instanzen, Behörden, NGOs und Industrievertreter angehört. Grenzwerte müssen daher nicht identisch mit den Richtwerten der WHO sein. Besonders wichtig für die Festlegung des Grenzwertes im Jahre 1999 für das Jahresmittel von Stickstoffdioxid auf 40 µg/m³, den Richtwert der WHO, waren Modellrechnungen, die erwarten ließen, dass dieses Ziel durch die festgelegten Minderungsmaßnahmen auch erreichbar war. Bei diesen Rechnungen wurde die Einhaltung der vorgeschriebenen Emissionsbegrenzungen unterstellt, z.B. die Verringerung der Emissionen durch EURO4 bis EURO6 auch im realen Fahrbetrieb. Erst später um 2009 wurde die große Diskrepanz zwischen dem realen Fahrbetrieb und dem Testzyklus durch Messungen nachgewiesen. Die Modellrechnungen unterschätzten somit erheblich die Probleme bei der Einhaltung des Grenzwertes von 40 µg/m³ für Stickstoffdioxid an verkehrsnahen Messorten. Letztlich haben also auch Angaben der Automobilindustrie über den deutlichen Rückgang der Emissionen, die sich im realen Verkehr nicht bestätigt haben, zum strengen Grenzwert für NO₂ beigetragen.
Wie am Beispiel des Richt- und Grenzwertes für NO₂ dargestellt, sind auch unterhalb dieser Werte in gewissem Umfang negative gesundheitliche Auswirkungen zu erwarten. Für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung folgt daraus, dass die Fixierung des Augenmerks auf die Einhaltung von Grenzwerten nicht ausreicht. Stattdessen ist es wichtiger, sowohl die bestehende Belastung als auch die Auswirkungen von Reduktionsmaßnahmen für die Bevölkerung als Ganzes zu betrachten.
In Hinblick auf die wahrscheinliche Rolle von NO₂ als Indikator für verkehrsabhängige Luftschadstoffe insgesamt, wäre es zudem wichtig, die Konzentrationen anderer Komponenten wie z.B. von ultrafeinen Partikeln und Ruß zu messen. Nur so wird es in Zukunft möglich sein, deren Wirkungen von denen des Gases NO₂ abzugrenzen und damit zu einer zielgenaueren Umweltschutzpolitik für Luftschadstoffe zu kommen.
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Über das IUF
Das IUF – Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung untersucht, durch welche molekularen Mechanismen Partikel, Strahlung und ausgewählte Umweltchemikalien die menschliche Gesundheit schädigen. Die vier Hauptarbeitsrichtungen sind umweltinduzierte kardiopulmonale Alterung, Hautalterung, Störungen des Nerven- und Immunsystems. Durch die Entwicklung neuartiger Modellsysteme arbeitet das IUF daran, die Risikoabschätzung zu verbessern und neue Strategien zur Prävention / Therapie umweltinduzierter Gesundheitsschädigungen zu entwickeln.
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Kontakt
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IUF – Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung gGmbH
Auf’m Hennekamp 50
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E-Mail: Christiane.Klasen@IUF-Duesseldorf.de
Telefon: 0211 3389 216
Peter Bruckmann, Ursula Krämer, H.-Erich Wichmann: Wissenschaft trifft Politik – die Basis der europäischen Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub. Umweltmedizin – Hygiene – Arbeitsmedizin 24 (2) 2019, im Druck, erscheint Anfang April 2019
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Umwelt / Ökologie
überregional
Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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