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04.04.2019 15:57

Nach BGH-Urteil: Intensivmediziner fordern gewissenhafte Ermittlung des Patientenwillens

Torben Brinkema Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V.

    Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zu lebensverlängernden Maßnahmen ist die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) besorgt, dass das Urteil missverstanden werden könne. „Wir betonen ausdrücklich, dass eine Behandlung gegen den Patientenwillen bereits heute unzulässig und strafbar ist“, sagt DIVI-Präsident Professor Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler sowie Sprecher der DIVI-Sektion Ethik.

    „Mit der BGH-Entscheidung wird aber unmissverständlich festgelegt, dass das Überleben eines Menschen als solches keinen Schadensfall darstellen kann, und dass Ärzte deshalb nicht schadenersatzpflichtig sind für eine Behandlung mit dem Ziel der Lebenserhaltung.“ Die DIVI fordert eine strenge Indikationsstellung und eine gewissenhafte Ermittlung und Beachtung des Patientenwillens.

    Die DIVI versteht die Entscheidung des BGH, dass das menschliche Leben im Lichte von Effizienz und Ökonomie der Gesundheitsfürsorge besonders schutzwürdig ist. Es war nicht die Intention des BGH, eine Lebensverlängerung um jeden Preis zu erlauben oder gar den behandelnden Ärzten vorzuschreiben. Im Gegenteil: Ärztinnen und Ärzte legen in jedem Behandlungsfall ein Therapieziel fest. Sie definieren die zum Erreichen dieses Therapieziels erforderlichen Behandlungsmaßnahmen und stellen für diese Maßnahmen eine Indikation. Die indizierten Therapien werden dem Patienten oder seinem Stellvertreter vorgeschlagen, damit der Patientenwille für den aktuellen Behandlungsfall ermittelt werden kann. Die Ermittlung des Patientenwillens stützt sich auf die verbindlichen Aussagen einer Patientenverfügung, bezieht aber darüber hinaus auch andere Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Patientenwillen mit ein.

    Sterben zulassen: Lebensverlängerung nicht gegen Patientenwillen möglich

    Wenn der Patient einer Behandlung nicht zustimmen würde, muss auch der Betreuer die Behandlung ablehnen, sogar dann, wenn sie lebensverlängernd wäre. Es erfolgt eine Sterbebegleitung mit den dafür erforderlichen palliativmedizinischen und-pflegerischen Maßnahmen. In dem vor dem BGH verhandelten Fall wurden dem Hausarzt offenbar keine Hinweise gegeben, dass der Patient die lebenserhaltende Behandlung abgelehnt hätte. Geklagt hat der Sohn eines schwer demenzkranken Patienten, der 82-jährig verstarb. Nach Ansicht des Sohnes wurde der Vater zuletzt ohne medizinische Indikation durch künstliche Ernährung am Leben gehalten. Der BGH hat in seinem Grundsatzurteil mögliche Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche abgelehnt.

    BHG: Ärzten steht kein Urteil über Lebensqualität oder Lebenswert des kranken Menschen zu

    Die DIVI setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass in Fällen, in denen die Sinnhaftigkeit einer weiteren Lebenserhaltung zumindest fraglich ist, von einer „zweifelhaften“ oder „grenzwertigen“ Indikation gesprochen wird. Damit wird einerseits ausgedrückt, dass dem Arzt kein Urteil über die Lebensqualität oder gar den Lebenswert des kranken Menschen zusteht. Dies hat der BGH bekräftigt. Andererseits soll in diesen Fällen, bei denen bereits im Behandlungsteam die Frage der Sinnhaftigkeit umstritten ist, ein besonders umfangreiches und offenes Gespräch mit dem Stellvertreter des Patienten und seinen Angehörigen erfolgen. So kann für den eingetretenen Gesundheitsschaden der Patientenwille ermittelt werden. Das gilt nicht nur bei der Einleitung einer Therapiemaßnahme, sondern auch bei deren Fortführung – etwa im Fall einer Sondenernährung mittels sogenannter perkutaner endoskopischer Gastrostomie (PEG). Ob diese ehrlichen Gespräche und eine Unterstützung des Betreuers bei der Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens in dem vorliegenden Streitfall erfolgt sind, lässt der BGH bewusst offen.

    Weiterleben mit Demenz oder im Koma: Patientenwillen besonders gründlich ermitteln

    Es ist aus Sicht der DIVI wünschenswert, wenn der Patientenwille immer besonders gründlich ermittelt wird. Besonders dann, wenn nur noch eine Verlängerung des Lebens mit beispielsweise schwerster Demenz oder im Koma erreicht werden kann. Wer in diesem Zustand eine lebenserhaltende Therapie wünscht, ist durch das Grundgesetz davor geschützt, dass Ärzte diese Behandlung aufgrund eines eigenen Werturteils unterlassen. Menschen, die in diesem Zustand nicht leben möchten, dürfen in Deutschland durch eine Therapiebegrenzung sterben.

    Für die Sektion Ethik der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI):
    Dr. med. Gerald Neitzke, Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Medizinische Hochschule Hannover
    Prof. Dr. Gunnar Duttge, Abteilung für strafrechtliches Medizin- und Biorecht, Georg-August-Universität Göttingen
    Prof. Dr. med. Uwe Janssens, Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin, St.-Antonius-Hospital Eschweiler

    Ansprechpartner für interessierte Wissenschaftler:
    Volker Parvu
    Geschäftsführer der DIVI
    info@divi.de
    Tel +49 (0)30 40 0 056 07

    Ansprechpartner für Journalisten:
    Torben Brinkema
    Pressesprecher der DIVI
    presse@divi.de
    Tel +49 (0)89 230 69 60 21

    www.divi.de/presse

    Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI)
    Die 1977 gegründete Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) ist ein weltweit einzigartiger Zusammenschluss von mehr als 2.500 persönlichen Mitgliedern und entsprechenden Fachgesellschaften. Ihre fächer- und berufsübergreifende Zusammenarbeit und ihr Wissensaustausch machen im Alltag den Erfolg der Intensiv- und Notfallmedizin aus.
    Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der Gemeinnützigkeitsverordnung vom 24.12.1953 und ist damit ein nicht-wirtschaftlicher Verein gemäß § 21 ff BGB.
    Mehr über die DIVI im Internet: www.divi.de


    Weitere Informationen:

    https://www.divi.de/presse/pressemeldungen/pm-nach-bgh-urteil-intensivmediziner-...


    Bilder

    DIVI-Präsident Professor Uwe Janssens
    DIVI-Präsident Professor Uwe Janssens
    Privat
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    Anhang
    attachment icon Nach BGH-Urteil: Intensivmediziner fordern strenge Indikation und gewissenhafte Ermittlung des Patientenwillens

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

    DIVI-Präsident Professor Uwe Janssens


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