Viele Patienten mit chronischen Krankheiten wie Krebs, AIDS oder Autoimmunerkrankungen leiden an einer rätselhaften Zusatzerkrankung, der Kachexie. Dabei handelt es sich um ein hochkomplexes und noch wenig verstandenes Syndrom, das zu einem unkontrollierbaren Gewichtsverlust führt. Schrumpfende Fettreserven und ein Abbau des Muskelgewebes führen zur Schwächung. Kachexie gilt als einer der Faktoren, die zu einem vorzeitigen Tod beitragen. Wissenschaftler/innen des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beschreiben die molekularen Mechanismen der Kachexie bei Virusinfektionen und identifizieren eine überraschende Rolle für Immunzellen.
Kachexie ist ein von vielen Faktoren beeinflusstes Krankheitsbild, das bei Patienten mit chronischen Infekten wie HIV, Tuberkulose und Malaria auftritt. Zusätzlich sind 50% bis 80% der Krebspatienten von Kachexie betroffen (Argiles JM et al. Nature Reviews Cancer 2014). Aufgrund verringerter Nahrungsaufnahme und eines veränderten Stoffwechsels verlieren Patienten ungewollt Körpergewicht und Kraft. Fettreserven und Skelettmuskelmasse werden zunehmend aufgebraucht, was durch Nahrungsmittelergänzung nicht rückgängig gemacht werden kann. Kachexie beeinträchtigt die Lebensqualität des Patienten erheblich und verschlechtert das Ergebnis laufender Therapien. Trotz des enormen klinischen Bedarfs sind die Standards für Diagnose und Betreuung von kachektischen Patienten nach wie vor unzureichend und wirksame Behandlungsmöglichkeiten fehlen.
In den letzten Jahren haben Studien mit experimentellen Modellen von Krebs-assoziierter Kachexie zu einem verbesserten Verständnis beigetragen, wie Entzündungsprozesse und damit verbundene Veränderungen im Stoffwechsel die Kachexie auslösen. Diese Studien zeigten, dass Entzündungsfaktoren durch direkte oder indirekte Mechanismen sowohl den Appetit beeinflussen als auch den Fett- und Muskelstoffwechsel verändern, was zum Gewichtsverlust führen kann. Im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten ist über Kachexie jedoch deutlich weniger bekannt. So ist es auch ungeklärt, ob dieselben molekularen Mechanismen der Kachexie bei Krebs auch bei chronischen Infektionen vorliegen.
Die Forschungsgruppe von Andreas Bergthaler am CeMM hat in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler/innen der Universität Graz, der Medizinischen Universität Wien sowie Partnern aus Deutschland, Schweiz und USA einen Mechanismus erforscht, der erklärt, wie chronische Virusinfektionen zur Kachexie führen können. Die Ergebnisse der Studie wurden in der aktuellen Ausgabe von Nature Immunology veröffentlicht (DOI: 10.1038 / s41590-019-0397-y).
Die Forscher/innen konnten anhand von Tiermodellen zentrale molekulare Akteure identifizieren, die bei chronischen Infektionen zur Kachexie führen. Der durch die Virusinfektion ausgelöste Gewichtsverlust konnte – ähnlich wie bei Kachexie im Zusammenhang mit Krebs – nur teilweise durch verminderte Nahrungsaufnahme erklärt werden und war durch Nahrungsergänzung nicht zu verhindern.
Die Untersuchungen zeigten darüber hinaus, dass die Virusinfektion zu einer gravierenden Reorganisation der Architektur des Fettgewebes führte. Dies war mit der Aktivierung der Lipolyse verbunden, einer molekularen Kaskade von Prozessen, die der Körper zur Auflösung seiner Fettdepots verwendet. „Überraschend war“, so Hatoon Baazim, Erstautorin der Studie und Doktorandin am CeMM, „dass keiner der Entzündungsmediatoren, von denen bekannt ist, dass sie Kachexie bei Krebs auslösen, in unserer Infektionsstudie eine Rolle spielen.“
Bei der Untersuchung anderer möglicher Mechanismen stellten die Wissenschaftler/innen fest, dass ein bestimmter Zelltyp des Immunsystems für die Auslösung der Kachexie verantwortlich ist: CD8-T-Zellen. Diese auch T-Killerzellen genannten Immunzellen erkennen normalerweise virusinfizierte Zellen oder Krebszellen und töten sie ab. Die vorliegende Studie konnte nun zum ersten Mal zeigen, dass CD8-T-Zellen für die Auslösung der Kachexie bei Infektionen eine zentrale Rolle zukommt. Dabei spielen zusätzliche Signale des antiviralen Zytokines Typ-I-Interferon, einem körpereigenen Botenstoff des Immunsystems, sowie die Erkennung des Virus durch die CD8 T Zellen eine wichtige Rolle.
Die vorliegende Studie von Baazim et al. gibt Aufschluss über die komplexen Entzündungsprozesse und Stoffwechselveränderungen bei der infektionsassoziierten Kachexie, und stellt für die internationale Forschungsgemeinschaft ein wertvolles Modell bereit, um die molekularen Mechanismen der Kachexie weiter zu erforschen. Dies kann zu einem besseren Verständnis von Infektionen wie AIDS, Tuberkulose oder Malaria und anderen parasitären Erkrankungen, die Kachexie verursachen, beitragen. Studienleiter und CeMM Forschungsgruppenleiter Andreas Bergthaler: „Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass zukünftige Forschungsstudien, die die Kachexie im Zusammenhang von Infektionen und Krebs vergleichend untersuchen, ein Schlüssel dafür sein werden, um dringend notwendige Fortschritte im Verständnis dieser noch immer sehr mysteriösen Krankheit zu erzielen.“ Solche neuen Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung könnten die Entwicklung innovativer Therapiestrategien zur Linderung der Kachexie und der damit verbundenen lebensbedrohlichen chronischen Krankheiten anregen.
Die Studie „CD8+ T cells induce cachexia during chronic viral infection“ erschien in der Zeitschrift Nature Immunology am 20.5.2019 . DOI: 10.1038 / s41590-019-0397-y
Legende zum graphischen Abstrakt:
Kachexie ist ein multifaktorielles Syndrom, welches in verschiedenen chronischen Erkrankungen auftritt. Die ausgezerrte weibliche Figur veranschaulicht die Auswirkungen von Kachexie auf den Körper und insbesondere den unkontrollierten Verlust von Fett- und Muskelgewebe. Ihr Blick ist auf eine rote CD8 T Zelle gerichtet. Diese Immunzellen nehmen für die Auslösung von infektionsassozierter Kachexie in der Studie von Baazim et al. eine zentrale Rolle ein. Diese Kachexie Studie konzentriert sich insbesondere auf die Veränderungen im Fettgewebe, welches durch den Hintergrund dargestellt.
Autoren:
Hatoon Baazim, Martina Schweiger*, Michael Moschinger*, Haifeng Xu, Thomas Scherer, Alexandra Popa, Suchira Gallage, Adnan Ali, Kseniya Khamina, Lindsay Kosack, Bojan Vilagos, Mark Smyth, Alexander Lercher, Joachim Friske, Doron Merkler, Alan Aderem, Thomas H. Helbich, Mathias Heikenwälder, Philipp A. Lang, Rudolf Zechner, Andreas Bergthaler
Förderung:
Diese Studie wurde gefördert vom European Research Council (ERC), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und den US National Institutes of Health.
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter der wissenschaftlichen Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Instituts befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at.
Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Eva Schweng
PR Manager
_________________________________
CeMM
Research Center for Molecular Medicine
of the Austrian Academy of Sciences
Lazarettgasse 14, AKH BT 25.3
1090 Vienna, Austria
Phone +43-1/40160-70 051
eschweng@cemm.at
www.cemm.at
DOI: 10.1038 / s41590-019-0397-y
/07be941a41
Grafischer Abstrakt
CeMM/Hatoon Baazim
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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