Prof. Dr. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung der Frankfurt UAS nimmt Stellung anlässlich des Weltnichtrauchertages am 31. Mai und fordert Deutschland vom vorletzten EU-Rang bei der Tabakprävention zu holen
Rund 28 % aller erwachsenen Deutschen rauchen. Damit es weniger werden, müsste sich Deutschland laut Prof. Dr. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) ein Beispiel an England nehmen. „Die Engländer sind in der Tabakkontrolle EU-weit Spitzenreiter. Deutschland wird im Ranking hingegen nur noch von Österreich vor dem letzten Platz bewahrt.“ Stöver bezieht sich hierbei auf die Tabakkontrollskala, eine Rangliste der europäischen Staaten im Hinblick auf die Umsetzung WHO-empfohlener Tabakkontrollstrategien zur Eindämmung des Tabakkonsums. Eine internationale Gruppe von Tabakkontrollexperten entwickelte im Jahr 2004 die Tabakkontrollskala (Tobacco Control Scale, TCS), um die Tabakkontrollaktivitäten in europäischen Ländern zu bewerten und miteinander zu vergleichen. Dass Deutschland beispielsweise als einziges EU-Land noch immer über kein Außenwerbeverbot für Tabakprodukte verfügt, sei ein Skandal und aus gesundheitspolitischer Sicht nicht hinzunehmen. Fast 90 Millionen Euro hat die Tabakindustrie allein 2016 für Außenwerbung in Deutschland ausgegeben, natürlich mit dem Ziel, dass Rauchwerbung auch bisherige Nicht-Konsumentinnen und -Konsumenten anspricht, vor allem junge Menschen. Zudem verfügt Deutschland über 340.000 Zigarettenautomaten, die fast schon zum Stadtbild gehörten. „Darin sind wir Weltmeister!“, betont Stöver. „Diese Automaten suggerieren, dass der Inhalt so schädlich nicht sein kann und bieten einen relativ leichten Zugang zu Tabakprodukten – auch für Jugendliche.“
Tabakkontrollpolitik müsse endlich wirksame Maßnahmen gegen das Rauchen ergreifen und konsequent Gesundheitsinteressen über wirtschaftliche Interessen der Tabakindustrie und die Furcht vor Verlusten bei den Steuereinnahmen stellen, fordert Stöver anlässlich des Weltnichtrauchertages. England zeige durch konsequente Umsetzung der WHO-Empfehlungen, wie man die Zahl der Rauchenden eindämmen könne. „Durch Maßnahmen wie das Verbot des Rauchens am Arbeitsplatz und in Gaststätten, Einheitsverpackungen für Zigaretten und dem bereits 2003 ausgesprochenen Verbot von Plakatwerbung ist es dort gelungen, die Rauchprävalenz auf 15 % der erwachsenen Bevölkerung zu minimieren“, lobt Stöver das Noch-EU-Land. Auch der Preis pro Schachtel Zigaretten sei dort erheblich höher als in Deutschland.
Der Anteil der Rauchenden in der deutschen Bevölkerung ist im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern hoch: 32,3 % der Männer und 24,5 % der Frauen in Deutschland rauchen aktuell Tabak (Kotz et al. 2018). Die 1-Jahres-Prävalenz des aktuellen Tabakkonsums lag laut DEBRA-Studie bei 28,3 %. Zahlen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zeigen die gesundheitliche Problematik und Folgen des Rauchens auf: Deutschland weist insgesamt 85.072 tabakbedingte Krebsfälle (58.760 Männer/26.312 Frauen) pro Jahr auf, was 19,3 % aller Krebsfälle entspricht (Mons 2018). Die Global Burden of Disease Study (GBD 2017) stellt heraus, dass Deutschland von 195 untersuchten Ländern weltweit in absoluten Zahlen der Rauchenden auf Platz 9 liegt (7,1 Mio. Frauen/9,2 Mio. Männer).
„Vor diesem Problemhintergrund ist es wichtig alle verfügbaren Rauchstopp-Methoden eingehend zu prüfen, und nicht vorschnell Methoden aus dem ohnehin nicht prall gefüllten Köcher der Rauschstopp-Methoden zu werfen. Genau dies ist aber in Deutschland mit der E-Zigarette geschehen. Anders als in England gibt es in Deutschland nur wenige wissenschaftliche Studien zum Potenzial der E-Zigarette als Mittel zum Rauchstopp“, bemängelt Stöver. In England werde dies beispielhaft anders gemacht: Das Potenzial der E-Zigarette zum Rauchstopp sei früh erkannt worden, (Langzeit-)Studien sind in Auftrag gegeben worden (siehe Hajek u.a. 2019), und deren Ergebnisse bestätigten den Weg, die E-Zigarette denjenigen zu empfehlen, die langjährige Raucher/-innen sind, mehrere erfolglose Rauchstoppversuche hinter sich haben, und mit der E-Zigarette das Rauchen aufgeben können. Prof. Dr. Heino Stöver hat zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen deshalb von unabhängiger Seite einen „Ratgeber E-Zigaretten“ entwickelt, der interessierte Rauchende zum Um- bzw. Ausstieg aus dem Zigarettenkonsum beraten möchte.
Im April 2016 hat das damalige Bundeskabinett einen Entwurf zur Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes verabschiedet, welcher ein Verbot der Außenwerbung, eine Beschränkung der Kinowerbung sowie ein Verbot der kostenlosen Abgabe von Tabakprodukten umfasste (Bundestags-Drucksache 18/8962). Dieser Entwurf stieß insbesondere auf Seiten von Wirtschaftspolitikern der regierenden Großen Koalition auf Ablehnung und wurde deshalb bis zum Ende der Legislaturperiode nicht zur Abstimmung in den Bundestag eingebracht. Während der Anfang 2018 laufenden Verhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD zur Bildung einer neuen Regierung hieß es längere Zeit, man habe sich auf ein Verbot der Außenwerbung für Tabakprodukte verständigt. Der entsprechende Passus wurde jedoch kurz vor Abschluss der Verhand¬lungen aus dem Koalitionsvertrag gestrichen. Daraufhin hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen im April 2018 einen neuen Entwurf zur Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes eingebracht, der sich von dem der vorangegangenen Legislatur kaum unterscheidet (Bundestags-Drucksache 19/1878). Im „Alternativen Drogen- und Suchtbericht“ (2018) haben Dietmar Jazbinsek und Stöver einen Kompromissvorschlag zum Tabakwerbeverbot entwickelt und der Politik vorgestellt. „Unsicher ist zurzeit, ob tatsächlich noch vor der Sommerpause ein Gesetzentwurf eingebracht wird, der Teile unseres Kompromissvorschlages aufnehmen würde (v.a. Werbeverbot für Verbrennungszigaretten, Erlaubnis nur noch für E-Zigaretten)“, so Stöver.
Gerne steht Prof. Dr. Stöver für Interviews, Fragen und weitere Statements rund um den Weltnichtrauchertag zur Verfügung.
Zur Person Stöver:
Prof. Dr. Heino Stöver ist Dipl.-Sozialwissenschaftler und Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt UAS. Er leitet seit über zehn Jahren das Institut für Suchtforschung Frankfurt am Main (ISFF). Stövers Forschungsschwerpunkte sind von großer gesellschaftlicher Bedeutung, da die Zielgruppen seiner Forschung gesundheitlich und teils sozial stark belastet sind und oft zu spät behandelt werden; die späte Behandlung verursacht hohe Kosten und kann zum Tod führen. In den letzten fünf Jahren hat Stöver mehr als 20 Forschungsprojekte für nationale und internationale Auftraggeber durchgeführt und dafür Dritt- und Forschungsfördermittel in Höhe von mehr als 2,5 Mio. Euro eingeworben. Zurzeit leitet er u.a. das Teilprojekt „Evaluation von Maßnahmen zur Schadensminimierung im Hinblick auf offene Drogenszenen“ im Rahmen des BMBF-Verbundvorhabens DRUSEC. Darüber hinaus ist er an mehreren EU-Verbundprojekten beteiligt. Stöver hat beispielsweise am Projekt „Central Asia Drug Action Programme“ mitgewirkt, bei dem eine Beratungs- und Behandlungsstruktur für Drogenkonsumierende in Zentralasien entwickelt wurde und das von der EU Kommission mit insgesamt 900.000 Euro gefördert wurde.
Zum Institut für Suchtforschung (ISFF):
Das Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt UAS arbeitet seit 1997 an der Weiterentwicklung zielgruppenspezifischer und lebensweltnaher Prävention, Beratung und Behandlung von Suchterkrankungen. Es erforscht Sucht in ihren verschiedenen Erscheinungsformen sowie die mit Sucht in Zusammenhang stehenden Probleme und Aspekte. Das Institut fördert den Ausbau von interdisziplinären Beziehungen zu Kooperationspartnern auf nationaler und internationaler Ebene. Forschungsprozesse und -resultate finden in Lehre und Studium Berücksichtigung.
Weitere Informationen zum Institut für Suchtforschung unter: www.frankfurt-university.de/isff; mehr zum Weltnichtrauchertag: https://www.euro.who.int/de/media-centre/events/events/2019/05/tobacco-and-lung-....
Kontakt: Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit, Prof. Dr. Heino Stöver, Telefon: +49 69 1533-2823, E-Mail: hstoever@fb4.fra-uas.de
Prof. Dr. Heino Stöver
Frankfurt UAS
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