idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
24.05.2019 11:10

Von der „Gymnastikschwester“ zur akademisch ausgebildeten Physiotherapeutin

Holger Ostermeyer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

    Mit dem Symposium „Von der Staatsanstalt für Krankengymnastik und Massage zur modernen Physiotherapieausbildung am Universitätsklinikum Dresden“ würdigt die Hochschulmedizin Dresden am Sonnabend, dem 25. Mai, dieses Fach. Anlass für die Veranstaltung ist die vor 100 Jahren erfolgte Eröffnung der „Staatsanstalt für Krankengymnastik und Massage“ in Dresden. Ein Nachfolger dieser Bildungsinstitution ist die Carus Akademie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, an der aktuell 105 Schülerinnen und Schüler den Beruf erlernen.

    Das ganztägige Symposium offeriert den Teilnehmern nicht nur einen spannenden und informativen Streifzug durch die Geschichte und gibt Einblicke in die Entwicklung der physiotherapeutischen Ausbildung, sondern diskutiert auch die weitere Positionierung des Fachs in der Medizin. Dabei geht es darum, die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Physiotherapeuten ebenso zu stärken wie die Akademisierung der Ausbildung und des Berufsbildes insgesamt voranzutreiben. Die engen Verbindungen zwischen Physiotherapie und Tanz bestehen ebenfalls seit 100 Jahren – in Form der in Dresden-Hellerau ab 1911 von Émile Jaques-Dalcroze gelehrten Rhythmik und den frühen Vertreterinnen der Physiotherapie, die auch als „Gymnastikschwestern“ firmierten. Auf dem Symposium verdeutlichen Studierende des Bachelor Studiengangs Tanz der Palucca Hochschule für Tanz Dresden mit einer Improvisationsperformance die Parallelen zwischen Tanzkunst und Physiotherapie.

    Nach Verletzungen und Operationen sowie begleitend bei chronischen Erkrankungen gehören heute gezielte Bewegungen, Muskelaufbau an Sportgeräten sowie auch Massagen, standardmäßig zur Rehabilitation. Die Grundlage für die staatliche Ausbildung zur Physiotherapeutin / zum Physiotherapeuten in Deutschland wurden dabei vor 102 Jahren in Dresden gelegt, als der sächsische Landtag beschloss, das Prüfungsfach Krankengymnastik und Massage im Rahmen der staatlichen Krankenschwestern-Ausbildung einzuführen. 1919 eröffnete die „Staatsanstalt für Krankengymnastik und Massage“ in Dresden. „Seit den Anfängen hat sich die Physiotherapie erheblich gewandelt. Und doch steht das Fach vor weiteren Herausforderungen. Dazu gehört die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Physiotherapeuten bei der Behandlung komplexer Erkrankungen. Ohne die Akademisierung des Fachs – in vielen Ländern Europas seit Jahrzehnten etabliert – lässt sich die Physiotherapie nicht weiterentwickeln. Dabei geht es nicht allein um die Ausbildung sondern vor allem darum, diese Form der Behandlung auf ein verlässliches wissenschaftliches Fundament zu stellen“, sagt Prof. Michael Albrecht. Der Medizinische Vorstand des Dresdner Uniklinikums spricht zu Beginn des Symposiums ebenso ein Grußwort wie Barbara Klepsch, sächsische Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz.

    „Die Physiotherapie hat durch die Einführung interprofessioneller Komplexbehandlungen beispielsweise bei Parkinson, Multipler Sklerose, Schlaganfall, Mukoviszidose aber auch in der Intensiv- und Palliativmedizin einen deutlichen Schub erhalten. Sie bewegt sich dadurch im Spannungsfeld zwischen der Forderung einer hohen Wirtschaftlichkeit sowie einer wissenschaftlichen Beweispflicht der Wirksamkeit physiotherapeutischer Maßnahmen. Allein mit der in Deutschland üblichen dreijährigen berufsfachschulischen Ausbildung lässt sich dies nicht leisten“, sagt Dr. Andrea Conrad. Die Leiterin der Fachrichtung Physiotherapie an der Carus Akademie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden hat das Programm des am 25. Mai stattfindenden Jubiläumssymposiums maßgeblich mitgestaltet. „Die Physiotherapie muss sich auch in Deutschland zu einer eigenständigen Therapiewissenschaft weiterentwickeln, um dauerhaft die auch von ärztlicher Seite geforderte Qualität erbringen zu können. Dies ist nur mit einem primärqualifizierenden Studiengang möglich. Der von uns mitgetragene ausbildungsbegleitende Studiengang für Physiotherapie an der Dresden International University kann da nur eine Zwischenlösung sein“, ergänzt Katja Prate, Leiterin des Universitäts-Physiotherapie-Zentrums am Dresdner Uniklinikum.

    Aufgrund des weiter steigenden Handlungsdrucks steht die Diskussion um die Reform der Physiotherapeutenausbildung im Mittelpunkt des Nachmittagsprogramms des Symposiums. Im Vergleich zum europäischen und auch außereuropäischen Ausland – so kritische Stimmen – hinken die formalen Vorgaben der Ausbildung in Deutschland um 15 bis 20 Jahre hinterher. Dies benachteiligt deutsche Physiotherapeuten nicht nur auf dem europäischen Arbeitsmarkt, sondern schließt sie faktisch aus dem internationalen Forschungskontext aus. Und doch ist das Ringen um eine Reform der Ausbildung nur eine von mehreren Herausforderungen. Neben den interprofessionellen Komplexbehandlungen, die eine deutlich umfassendere und auch zu dokumentierende Erhebung von Befunden einschließt, geben Physiotherapeuten heute verstärkt Therapieempfehlungen für die ambulante Weiterbehandlung. Zudem leiten sie zunehmend Patienten wie auch deren Angehörige zu Selbstbefähigung und Selbstwirksamkeitserleben an und beraten sie diesbezüglich.

    Auch der technische Fortschritt verändert das Spektrum der Physiotherapie: Waren es am Anfang Laufbänder und Trainingsgeräte, rücken mittlerweile das Thema E-Health in den Mittelpunkt. Hinzukommen zudem roboterassistierte Therapieansätze, die bereits für die Praxis entwickelt werden. Für Veränderungen sorgen zudem aktuelle neurophysiologische Erkenntnisse zu motorischen Lernprinzipien oder zur motorischen Kontrolle. Damit lassen sich die Gelenke der Patienten noch besser schützen und Sicherheit für den Patienten erhöhen. Ein weiterer physiotherapeutischer Aspekt sind Gesundheitsförderung und Prävention. Ziele sind unter anderem, mit den Zielen eines selbstbestimmten Lebens und des Wohlbefindens die Ressourcen und die Resilienz der Patienten zu stärken.

    Mit dem Symposiumsvortrag „Effektive Intervention mit Musikfeedbacktechnologie in Rehabilitation und Prävention“, den Prof. Tom Fritz, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften auf dem Symposium halten wird, schließt sich indirekt der Kreis der Gründergenerationen von Physiotherapie, modernem Tanz und Rhythmik, die vor 100 Jahren in Dresden gewirkt haben. Dazu gehört der Schweizer Komponist und Musikpädagoge Émile Jaques-Dalcroze, der ab 1911 in Dresden-Hellerau die „Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus“ aufbaute. Den Anstoß zur rhythmisch-musikalischen Erziehung gaben seine Klavierschüler: Jaques-Dalcroze hatte festgestellt, dass die Bewegung zur Musik den Lernerfolg seiner Schüler erhöhte. In Hellerau bot das neu gebaute Festspielhaus einen idealen Nährboden, diesen Ansatz für den modernen Tanz zu nutzen.

    1920 gründete die Jaques-Dalcroze-Schülerin Mary Wigman eine eigene Schule in Dresden. Gezielte Atem- und Bewegungsübungen gehörten zum Unterricht der Tänzerinnen und Tänzer – ein Mittel, um sich besser und natürlicher auszudrücken. Doch bis zum Einzug in die Medizin dauerte es noch. In der 1953 gegründeten Medizinischen Akademie Carl Gustav Carus, dem heutigen Uniklinikum, formierte sich unter Leitung von Katharina Knauth eine therapeutische Ausdrucksgymnastikgruppe. Den Ansatz fanden auch Studentinnen, Krankengymnastinnen, Schülerinnen der Krankengymnastikschule sowie einige Krankenschwestern spannend und sie fanden sich zu einer Tanzgruppe zusammen. Die Wirksamkeit der von Jaques-Dalcroze genutzten Synergien zwischen Musik, Bewegung und geistigen Fähigkeiten lässt sich inzwischen mit modernen bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomographie (MRT) gut belegen. In diesem Zusammenspiel werden zusätzliche Hirnareale aktiviert und auch eine verbesserte Lernleistung lässt sich belegen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Carus Akademie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
    Fachrichtung Physiotherapie
    Leiterin: Dr. Andrea Conrad
    Telefon: 0351 458 20 90
    andrea.conrad@uniklinikum-dresden.de


    Weitere Informationen:

    http://www.uniklinikum-dresden.de/de/forschung-lehre-und-bildung/carusakademie/1...
    http://www.uniklinikum-dresden.de/carusakademie
    https://www.uniklinikum-dresden.de/de/presse/aktuelle-medien-informationen/von-d...


    Bilder

    Veranstaltungsplakat
    Veranstaltungsplakat
    Foto: Uniklinkum Dresden
    None


    Anhang
    attachment icon Programmheft

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Musik / Theater, Sportwissenschaft
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Organisatorisches
    Deutsch


     

    Veranstaltungsplakat


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).