Viele Texte beginnen mit Generalklauseln wie „Aus Gründen der Verständlichkeit werden im Text nur männliche Formen verwendet. Frauen sind selbstverständlich immer mitgemeint.“ Eine Studie des Instituts für Pädagogische Psychologie der Technischen Universität Braunschweig hat in einem Experiment geprüft, ob geschlechterbewusste Sprache die Textverständlichkeit tatsächlich beeinträchtigt. Die Ergebnisse der Studie wurden in der aktuellen Ausgabe des „Swiss Journal of Psychology“ veröffentlicht.
Seit mehreren Jahrzehnten wird darüber gestritten, wie die Geschlechter in Texten repräsentiert werden sollten. Befürworterinnen und Befürworter des sogenannten „generischen Maskulinums“ argumentieren, dass es eine im Deutschen gut etablierte Regel sei, männliche Formen zu verwenden, wenn sowohl Männer als auch Frauen gemeint sind und dass die Texte dadurch einfacher und verständlicher würden. Die Befürworterinnen und Befürworter geschlechterbewusster Sprache argumentieren hingegen, dass die Verwendung männlicher Formen für beide Geschlechter die Rechte, Interessen und Leistungen von Frauen weniger sichtbar macht.
Tatsächlich belegen zahlreiche Studien, dass die Verwendung männlicher Formen bei den Lesenden vor allem Vorstellungen von Männern hervorruft. Wenn im Text hingegen sowohl männliche als auch weibliche Formen oder neutrale Formen verwendet werden, ruft dies deutlich ausgewogenere Vorstellungen von Männern und Frauen hervor. Experimente zeigen zum Beispiel auch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau für eine Position im Management als passend und geeignet angesehen wird, signifikant höher ist, wenn in der Stellenausschreibung sowohl die männliche als auch die weibliche Form verwendet wird – verglichen mit einer identischen Stellenausschreibung, die nur männliche Formen verwendet.
Dr. Marcus C. G. Friedrich und Prof. Dr. Elke Heise von der TU Braunschweig haben ein Experiment durchgeführt, in dem sie geprüft haben, ob eine geschlechterbewusste Sprache Texte – wie so oft behauptet – tatsächlich weniger verständlich macht. Untersucht wurde ein authentischer Stromliefervertrag eines deutschen Stromversorgers. Der Original-Text besteht aus 938 Wörtern und verwendet nur männliche Formen. An 39 Stellen steht „Kunde“, „Kontoinhaber“ oder „er“. Um den Text in eine geschlechterbewusste Sprache zu übersetzen, wurden diese Stellen einfach systematisch durch sogenannte Beidnennungen ersetzt, z. B. „Kunde oder Kundin“. Dieser Text besteht aus 1.013 Wörtern.
Zwei Experten für Textverständlichkeit bewerteten den Original-Text allerdings als unnötig kompliziert. Sie erarbeiteten daher eine verständlichere Version des Original-Textes (1.364 Wörter). Auch von dieser optimierten Version des Stromliefervertrags wurde eine geschlechterbewusste Version erzeugt (1.519 Wörter).
In einem Experiment wurde dann 355 Studierenden per Zufall eine der vier Versionen des Stromliefervertrags vorgelegt. Anschließend bewerteten die Versuchspersonen die Verständlichkeit des Textes, den sie vorher gelesen hatten. Die Ergebnisse zeigen, dass es keine Unterschiede zwischen den Versionen gab, die nur männliche Formen verwendeten, und den Versionen, die sowohl männliche als auch weibliche Formen verwendeten.
Es zeigten sich allerdings große Unterschiede zwischen den zwei Versionen des Original-Textes und den beiden optimierten Versionen: Die optimierten Versionen wurden als deutlich verständlicher bewertet. Die Ergebnisse sollen in Zukunft mit anderen Personengruppen noch einmal geprüft werden, zum Beispiel an Schülerinnen und Schülern. Die Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Studien zum Einfluss geschlechterbewusster Sprache und Textverständlichkeit und sprechen dafür, dass eine geschlechtergerechte Sprache – durch Beidnennungen – Texte nicht unverständlicher macht.
Dr. Marcus Friedrich
Technische Universität Braunschweig
Institut für Pädagogische Psychologie
Bienroder Weg 82
38106 Braunschweig
Tel.: 0531/391-94011
E-Mail: m.friedrich@tu-braunschweig.de
Web: https://www.tu-braunschweig.de/ipp/team/friedrich
Friedrich, M. C. G. & Heise, E. (2019). Does the use of gender-fair language influence the comprehensibility of texts? An experiment using an authentic contract manipulating single role nouns and pronouns. Swiss Journal of Psychology, 78, 51-60. https://doi.org/10.1024/1421-0185/a000223
Symbolbild: Geschlechterbewusste Sprache.
János Krüger/TU Braunschweig
None
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Gesellschaft, Psychologie, Sprache / Literatur
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).