Keine industriell hergestellte Pumpe kann auch nur annährend das leisten, was unser Herz in einem Menschenleben vollbringt: Der etwa faustgroße Hohlmuskel von ca. 400 Gramm pumpt im Laufe eines Lebens rund 250.000.000 Liter Blut durch den Körper. Ist die Pumpleistung des Herzens vermindert, spricht man von einer Herzschwäche, der sogenannten Herzinsuffizienz. Prof. Dr. Jan Gummert, Herzchirurg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, über Ursachen, Behandlungstherapien und Chancen bei schwerer Herzinsuffizienz im Gespräch.
Herr Prof. Gummert, bitte beschreiben Sie kurz eine Herzinsuffizienz
Von einer Herzinsuffizienz, die auch als Herzschwäche bezeichnet wird, spricht man, wenn die Pumpfunktion, und damit auch die Leistung des Herzens, deutlich vermindert ist. Bei einer Herzschwäche ist der Herzmuskel nicht mehr in der Lage, den Blutfluss so aufrecht zu erhalten, dass genügend Blut durch den Körper gepumpt wird, um die Organe mit genügend Sauer- und Nährstoffen zu versorgen. Die Ursachen sind hauptsächlich die erworbenen Herzerkrankungen, die mit zunehmendem Alter häufiger auftreten. Zum Beispiel können die Koronare Herzerkrankung mit der möglichen Folge eines Herzinfarkts, verkalkte oder undichte Herzklappen, aber auch Herzmuskelentzündungen eine gravierende Herzschwäche zur Folge haben.
Wie häufig kommt die Herzschwäche heutzutage vor?
Aktuell leben in Deutschland ca. 1,8 Millionen Menschen mit einer Herzinsuffizienz. Die Herzinsuffizienz ist seit längerem eine der häufigsten Diagnosen von Patienten, die einer stationären Krankenhausbehandlung bedürfen.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es für die Patienten?
Die Behandlung jedes einzelnen Patienten ist immer abhängig von dem Krankheitsverlauf. In diesem Kontext gibt es unterschiedliche Therapieoptionen, die entweder allein, wie zum Beispiel die Behandlung mit Medikamenten, oder aber in Kombination, wie z.B. die zusätzliche Implantation von Herzschrittmachern oder Defibrillatoren, zum Einsatz kommen. Schreitet die Herzinsuffizienz voran, und ist durch die zuvor genannten Maßnahmen nicht mehr ausreichend behandelbar, spricht man von einer Herzschwäche im Endstadium. Für diese Patienten ist die Herztransplantation weiterhin der Goldstandard.
Spenderherzen fehlen. Welche Optionen stehen für Patienten mit terminaler Herzschwäche bereit?
Das ist richtig. Es gibt zu wenig Spenderherzen. Im letzten Jahr wurden in Deutschland 318 Herzen transplantiert. Demgegenüber warten aktuell jedoch über 700 terminal herzinsuffiziente Patienten bundesweit auf ein geeignetes Spenderherz. Wir Herzchirurgen beobachten den generellen Mangel an Spenderorganen mit großer Sorge, hoffen für unsere Patienten auf eine möglichst zeitnahe Änderung dieser Situation, und sprechen uns daher auch für die Widerspruchslösung aus, wie sie übrigens bereits in vielen europäischen Nachbarländern erfolgreich praktiziert wird. Nach heutigem Entwicklungsstand gibt es trotz vielfältiger Fortschritte und Innovationen keinen adäquaten Ersatz für das menschliche Herz. Für Patienten mit Herzinsuffizienz im Endstadium, für die kein Spenderherz zur Verfügung steht, oder solche, die aus bestimmten Gründen nicht für eine Transplantation in Frage kommen, sind mechanische Herzunterstützungssysteme die beste verfügbare Therapieoption.
Erklären Sie kurz, was Herzunterstützungssysteme sind und wie sie funktionieren.
Vereinfacht gesagt sind mechanische Herzunterstützungs-systeme (Ventricular Assist Devices, VAD) komplexe Medizingeräte, die das Herz in seiner Pumpfunktion unterstützen oder diese sogar vollständig übernehmen. Man unterscheidet zwischen elektrisch angetriebenen und druckluftbetriebenen Herzunterstützungssystemen. Diese können entweder in den menschlichen Körper implantiert werden oder außerhalb des Patienten lokalisiert sein. In Abhängigkeit von der Erkrankung, wird individuell für jeden Patienten ein geeignetes System ausgesucht.
Am häufigsten werden derzeit elektrisch betriebene, kontinuierlich pumpende Systeme eingesetzt. Mit Strom angetriebene Herzunterstützungssysteme, mit Turbinenantrieben unterschiedlicher Bauart und Größe, werden im Brustkorb mit dem Herzen verbunden. Das patienteneigene Herz verbleibt dabei im Körper. Für die Energieversorgung und Steuerung dieser Pumpen ist eine Kabelleitung (Driveline) über die Haut nach außen notwendig, die zum Steuerungscomputer und zu den Akkus führt.
In Abhängigkeit von der zu unterstützenden Herzkammer wird ein sog. linksventrikuläres (LVAD) oder rechtsventrikuläres (RVAD) Unterstützungssystem implantiert. Insbesondere Unterstützungs-systeme der linken Herzkammer (LVAD) haben in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung in der Therapie der terminalen Herzinsuffizienz gewonnen. Die derzeit verfügbaren Kunstherzen (total artificial heart, TAH), die anstelle des menschlichen Herzens implantiert werden und dieses somit komplett ersetzen, sind weiterhin mit höheren Risiken und Einschränkung der Lebensqualität verknüpft und werden daher in Deutschland nur in besonderen Fällen implantiert.
In welchen Fällen bekommen Patienten ein Herzunterstützungssystem?
Die Implantation von Herzunterstützungssystemen erfolgt heutzutage unter verschiedenen Zielsetzungen für die betroffenen Patienten. Daher können sie sowohl zur Überbrückung der Wartezeit bis zu einer Transplantation als auch als vorübergehende bzw. temporäre oder dauerhafte Unterstützung des Herzens eingesetzt werden. Unabhängig vom Kontext, eröffnen Herzunterstützungssysteme bei akut oder chronisch herzinsuffizienten Patienten letztlich die einzige Möglichkeit, das Überleben zu ermöglichen.
Die Diagnose „Herzinsuffizienz“ steigt; die Anzahl der Spenderherzen nimmt ab. Was heißt das für die Entwicklung der Herzunterstützungssysteme?
Wie der alljährlich publizierten DGTHG-Leistungsstatistik zu entnehmen, verzeichnete die Anzahl der Implantationen von Herzunterstützungssystemen im Jahr 2017 mit 1.027 einen Rekord, im Jahr 2018 hingegen lag die Zahl der Implantationen mit 942 um ca. 8 Prozent niedriger. 903 dieser Implantationen erfolgte mit Unterstützungssystemen der linken Herzkammer (LVAD). Mit diesen Unterstützungssystemen leben nach zwei Jahren etwa 60 bis 80 Prozent der Patienten – je nach Risikoprofil. Die Zahl der sogenannten BVAD-Systeme (Herzunterstützungssystem für beide Herzkammern) mit 16, bzw. der Kunstherzen (TAH) mit 23, sind auf einem vergleichbar sehr niedrigen Niveau.
Wie leben Patienten mit den LVAD, die am häufigsten eingesetzt werden? Was ist zu beachten?
Die Lebensqualität der Patienten hat sich durch die relativ kleinen, nahezu geräuschlosen und leichten Medizingeräte im letzten Jahrzehnt deutlich verbessert. Der Patient kann sich daher in seiner häuslichen Umgebung nahezu frei bewegen, da die Batterien ohne Aufladung über einen Zeitraum von bis zu zwölf Stunden die notwendige Energie liefern. Selbstverständlich müssen bei den betroffenen Patienten regelmäßig Kontrollen durchgeführt werden. Patienten mit einem Herzunterstützungs-system werden nicht mehr als hochdringlich (high urgent) auf der Liste für eine Herztransplantationen geführt, sondern erhalten den Status „transplantierbar“. Dies führt in Deutschland zu einer nur einprozentigen Chance pro Jahr, ein geeignetes Spenderherz transplantiert zu bekommen – de facto handelt es sich somit in Deutschland für die meisten LVAD-Patienten um eine Dauertherapie.
Können Komplikationen auftreten, und wenn ja, welche?
Im Zusammenhang mit Herzunterstützungssystemen können unterschiedliche Komplikationen auftreten. Beispielsweise kann es an der Ausleitungsstelle des Stromkabels (Driveline) über die Haut zu Infektionen kommen. Dadurch besteht dann die Gefahr, dass sich solche Infektionen über das Blut ausbreiten und im schlimmsten Falle das Unterstützungssystem von der Infektion betroffen ist, oder eine Blutvergiftung auftritt. Auch ein Schlaganfall stellt eine mögliche schwerwiegende Komplikation dar.
Wie ließen sich Ihrer Ansicht nach die Komplikationsraten senken? Gibt es hier Möglichkeiten?
Weitere technologische Verbesserungen und Innovationen der VAD sind dringend notwendig, um die Komplikationsraten noch weiter zu senken und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Ein Beispiel für eine bahnbrechende Entwicklung wäre eine Energieübertragung über die Haut wie bei einer elektrischen Zahnbürste, so dass auf das Stromkabel verzichtet werden kann. Dies würde sicherlich zu einer deutlichen Reduktion von Infektionen führen.
Was können oder sollten Patienten beachten?
Patienten mit einem Herzunterstützungssystem müssen sich mindestens halbjährlich zur Kontrolle in der Klinik vorstellen und sollten im Umgang mit ihrem Herzunterstützungssystem bestens geschult sein. Ebenso ist es wichtig, die Familie und Angehörigen einzubeziehen, damit dieses die Herausforderungen mitmeistern können. Psychologische Hilfe muss zu jeder Zeit gewährleistet werden, da die Therapie mit einem LVAD emotional sehr belastend werden kann. Hier ist eine kompetente Hilfestellung zwingend notwendig. Dezidierte Informationen bietet zum Beispiel die Deutsche Herzstiftung in einem Begleitheft an.
Wie sehen die Chancen für die Patienten nach einer Herztransplantation aus?
Nach erfolgreicher Herztransplantation erreichen die Patienten zumeist eine gute bis sehr gute Lebensqualität, müssen jedoch lebenslang abwehrunterdrückender Medikamente einnehmen, die das eigene Abwehrsystem unterdrücken, damit es nicht zu einer Organabstoßung kommt. Auch für diesen Bereich sind weiterhin intensive wissenschaftliche Studien in Kombination mit der Grundlagenforschung notwendig, um für die Patienten weitere Verbesserungen erzielen zu können.
Weitere Informationen unter:
Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie www.dgthg.de
Stiftung Eurotransplant, Hintergrundinformationen und Statistiken zur Organtransplantation im Eurotransplant-Verbund, www.eurotransplant.org
Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), Hintergrundinformationen und Statistiken zur Organtransplantation in Deutschland
www.dso.de
Bundesärztekammer, Richtlinien für Wartelistenführung und Organvermittlung
www.bundesaerztekammer.de
Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. (DGTHG) mit Sitz in Berlin ist eine gemeinnützige, wissenschaftliche, medizinische Fachgesellschaft, deren Ziele u.a. der Förderung der Wissenschaft und Weiterentwicklung von Therapien auf dem Gebiet der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie sind. Zu den weiteren Hauptaufgaben zählen die Durchführung von Weiter- und Fortbildungsprogrammen, Erstellung medizinischer Leitlinien, Förderung von Nachwuchskräften und die Ausrichtung medizinischer Fachtagungen. Als Vertretung der über 1.000 in Deutschland tätigen und in der DGTHG organisierten Thorax-, Herz- und Kardiovaskularchirurgen stehen die Verantwortlichen der Fachgesellschaft für einen Dialog mit der Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft zur Verfügung.
https://www.dgthg.de/de/pressemeldungen
Prof. Dr. med. Jan Gummert, Präsident DGTHG
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Sportwissenschaft
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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