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13.09.2019 12:23

Neue Studie: Sehvermögen im Kindesalter bestimmt Assoziationen zwischen Formen und Tönen

Birgit Kruse Referat Medien- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Hamburg

    Wie arbeiten unsere Sinne wie Sehen, Hören und Tasten zusammen, wenn es darum geht, unsere Wahrnehmung der Welt zu ermöglichen? Eine aktuelle Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Hamburg legt nahe, dass unsere Wahrnehmung von Formen und Lauten von der Sehfähigkeit im Kindesalter abhängt. Ihre Ergebnisse beschreiben die Forscherinnen und Forscher im Fachjournal „Psychological Science”.

    Menschen fast aller Kulturen und Ethnien ordnen bestimmte Formen automatisch bestimmten Tönen zu. Wörter mit hoher Tonfrequenz (z. B. „Kiki“) werden mit spitzen und eckigen Formen verknüpft, Wörter mit tiefer Tonfrequenz (z. B. „Bouba“) vor allem mit glatten und runden Formen. Diese sogenannten multisensorischen Assoziationen wurden auch bei Ethnien beobachtet, die keine Schrift benutzen. Sind diese Assoziationen angeboren oder entwickeln wir sie im Laufe der Zeit? Und welche Rolle spielt die Fähigkeit, im Kindesalter Formen sehen zu können?

    Das Team des Arbeitsbereichs „Biologische Psychologie und Neuropsychologie“ unter der Leitung von Prof. Dr. Brigitte Röder hat diese Fragen in der neuen Studie untersucht. Dahinter steht die Frage nach sogenannten „sensiblen Phasen“ der Entwicklung. In diesen Zeiträumen der Entwicklung ist das Gehirn besonders lernfähig. Nach ihrem Ablauf können manche Fähigkeiten nur noch sehr schwer oder gar nicht mehr erworben werden. Bezogen auf die aktuelle Studie bedeutete das, dass Menschen, die in der frühen Entwicklung blind waren und spät Sehkraft zurückerlangten, keine systematischen Assoziationen zwischen Formen und Tönen haben.

    Das Hamburger Team untersuchte dafür Menschen, die aufgrund eines dichten Grauen Stars (Katarakt) in beiden Augen von Geburt an blind waren und erst spät operiert wurden. Außerdem nahmen Menschen teil, die vor dem 12. Lebensjahr Grauen Star bekommen hatten und für eine lange Zeit nicht oder nur sehr eingeschränkt sehen konnten, bevor sie ebenfalls operiert wurden. Ferner wurden blinde Menschen einbezogen, die entweder von Geburt an blind waren oder erst nach dem 12. Lebensjahr vollständig erblindet waren. Als Vergleichsgruppe dienten Menschen mit typischer Sehkraft.

    Das Ergebnis: Probandinnen und Probanden, die von Geburt an blind waren, wiesen im Gegensatz zu den typisch sehenden Personen keine systematischen Form-Ton-Assoziationen auf. Auch Personen, die nach der Geburt oder in der frühen Kindheit eine Phase mit Blindheit oder starker Sehbehinderung durchlebt hatten, zeigten viele Jahre nach der Wiederherstellung des Augenlichts keine dieser Assoziationen. Dies spricht für eine ausgedehnte sensible Phase beim Menschen für den Erwerb typischer multisensorischer Funktionen.

    Hinzu kam: Menschen, die für mindestens die ersten 12 Jahre normal gesehen hatten, bevor sie vollständig erblindeten, zeigten typische Assoziationen für ertastete Formen und Laute. Dieses Ergebnis zeigt, dass Fähigkeiten, die während dieser Zeiten hoher Lernfähigkeit erworben werden, auch dann nicht verloren gehen, wenn sich die sensorische Wahrnehmung später verändert.

    „Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis vom Zusammenspiel der verschiedenen Sinne und der besonderen Bedeutung der frühkindlichen Erfahrungen für unsere Hirnentwicklung“, so Suddha Sourav, Doktorand an der Universität Hamburg und Erstautor der Studie.

    Die Ergebnisse könnten Ausgangspunkt sein für die Frage, wie unsere Sinneseindrücke die Wortbildung und damit unsere Sprache beeinflussen. Zudem möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauer untersuchen, welche Gehirnmechanismen das Lernen nach Ende einer sensiblen Phase erschweren oder sogar verhindern. Gleichzeitig möchten sie erforschen, welche Hirnfunktionen, die nicht visuell sind, angesichts einer Blindheitsphase eine effizientere Verarbeitung aufweisen.

    Um zu untersuchen, ob die multisensorischen Assoziationen auch nach Wiederherstellung des Augenlichts von vormals blinden Menschen nicht mehr gelernt werden, kooperiert die Biologische Psychologie und Neuropsychologie der Universität Hamburg seit einigen Jahren mit dem LV Prasad Eye Institute in Hyderabad. Hier erlangen Menschen, die blind geboren wurden, durch eine Operation das Augenlicht wieder. In entwickelten Ländern ist diese Forschung kaum möglich, weil es in der Regel keine Menschen mehr gibt, die trotz heilbarer Blindheit lange nicht behandelt wurden.

    Originalpublikation:

    Sourav, S., Kekunnaya, R., Shareef, I., Banerjee, S., Bottari, D., & Röder, B. (2019). A Protracted Sensitive Period Regulates the Development of Cross-Modal Sound–Shape Associations in Humans. Psychological science, 956797619866625.

    Für Rückfragen:

    Suddha Sourav, M.Sc.
    Universität Hamburg
    Institut für Psychologie
    Arbeitsbereich Biologische Psychologie und Neuropsychologie
    Tel.: +49 40-42838-3252
    E-Mail: suddha.sourav@uni-hamburg.de


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Suddha Sourav, M.Sc.
    Universität Hamburg
    Institut für Psychologie
    Arbeitsbereich Biologische Psychologie und Neuropsychologie
    Tel.: +49 40-42838-3252
    E-Mail: suddha.sourav@uni-hamburg.de


    Originalpublikation:

    Sourav, S., Kekunnaya, R., Shareef, I., Banerjee, S., Bottari, D., & Röder, B. (2019). A Protracted Sensitive Period Regulates the Development of Cross-Modal Sound–Shape Associations in Humans. Psychological science, 956797619866625.


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-hamburg.de/newsroom/presse/2019/pm67.html - Link zur Pressemitteilung


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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