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27.09.2019 12:00

Schlaganfall: „Wir haben ein größeres Zeitfenster und mehr Behandlungsoptionen“

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Gute Nachrichten für Schlaganfallpatienten: Die Thrombolyse ist auch nach 4,5 Stunden noch effektiv und die interventionelle Thrombektomie zeigt nicht nur bei ausgewählten Studienpatienten gute Behandlungserfolge, sondern auch in der „normalen“ Patientenpopulation. Von beiden Therapieoptionen könnten in Zukunft also deutlich mehr Patienten profitieren als bisher.

    Laut Erhebung des RKI [1] aus dem Jahr 2017 erlitten 1,6 % der erwachsenen Einwohner in Deutschland in den vorausgegangenen zwölf Monaten einen Schlaganfall oder waren von chronischen Beschwerden infolge eines Schlaganfalls betroffen. Da das Schlaganfallrisiko mit dem Lebensalter steigt, ist mit dem demographischen Wandel, der sich derzeit vollzieht, mit einem weiteren Anstieg der Schlaganfallrate in Deutschland zu rechnen.

    Über dreiviertel aller Schlaganfälle sind ischämischer Natur, das heißt, es kommt durch den Verschluss oder die Verengung eines hirnversorgenden Blutgefäßes zur Minderversorgung eines Hirnareals mit Sauer- und Nährstoffen. Damit es nicht zu bleibenden Schäden kommt, galt bisher, dass innerhalb von 4,5 Stunden die Blutversorgung wiederhergestellt werden muss, indem das Gerinnsel entfernt oder aufgelöst wird. Die medikamentöse Thrombusauflösung erfolgt mit einer intravenösen Lysetherapie.

    „Leider erreichen viele Patienten nicht rechtzeitig eine Klinik mit Stroke Unit, also spezieller Schlaganfallstation, sei es, weil sie in ländlichen Regionen wohnen oder weil sie die Schlaganfallsymptome zu spät erkennen und wertvolle Zeit verlieren“, erklärte Professor Dr. Götz Thomalla vom Universitätsklinikum Hamburg auf dem DGN-Kongress in Stuttgart. „Zurzeit wird nur etwa jeder fünfte Schlaganfallpatient in Deutschland innerhalb des empfohlenen Zeitfensters lysiert.“

    Die Thrombolyse ist auch nach Ablauf von 4,5 Stunden noch wirksam
    Schwierig ist, wenn der Schlaganfall im Schlaf auftritt und erst beim Aufwachen bemerkt wird (sogenannte „wake-up strokes“). Dann ist oft nicht nur das Therapiezeitfenster von 4,5 Stunden überschritten, sondern auch der genaue Zeitpunkt des Eintretens des Schlaganfalls unbekannt. Die WAKE-UP-Studie [2] konnte 2018 zeigen, dass Patienten, bei denen der Beginn des Schlaganfalls unbekannt ist, ebenfalls von einer Thrombolyse profitieren, wenn sie im MRT ein günstiges Befundmuster zeigen (das sogenannte „Diffusions-FLAIR-Mismatch“). In der kürzlich publizierten EXTEND-Studie [3] konnte gezeigt werden, dass auch bei Patienten, bei denen der Schlaganfall mehr als 4,5 Stunden (aber maximal 9 Stunden) zurücklag, die Lysetherapie mit einem besseren klinischen Ergebnis einherging. Zuvor erfolgte ein sogenanntes Schlaganfall-MRT (Perfusions-Diffusions-MRT) oder -CT, um das Ausmaß des Infarktes sowie Risikogewebe (d. h. zusätzlich gefährdetes, minderdurchblutetes Hirngewebe) darzustellen. Eine im „The Lancet“ publizierte Meta-Analyse aus Patienteneinzeldaten von EXTEND und zwei weiteren Studien [4] bestätigte dieses Ergebnis eindrucksvoll: Alle Patienten waren mit erweiterter CT- oder MRT-Bildgebung ausgewählt und randomisiert entweder mit dem Thrombolysemedikament Alteplase oder mit Placebo behandelt worden. Der Therapieerfolg wurde nach drei Monaten mit Funktionstests kontrolliert. In der Lyse-Gruppe erreichten 36 % der Patienten eine vollständige oder fast vollständige Rückbildung der neurologischen Ausfälle, in der Placebogruppe dagegen nur 29 %.

    „Diese Ergebnisse sprechen für sich und zeigen, dass es sich lohnt, auch bei Patienten eine Lysetherapie einzuleiten, die das Zeitfenster von 4,5 Stunden überschritten haben. Wir brauchen hierfür allerdings die erweiterte Bildgebung mittels Schlaganfall-MRT oder Perfusions-CT“, erklärt Professor Thomalla. „Damit wird diese effektive Therapieoption im klinischen Alltag für mehr Patienten verfügbar. Dennoch gilt die Regel `time is brain´ – keinesfalls soll der Eindruck entstehen, dass man sich nun mehr Zeit lassen darf. Patienten mit Schlaganfall müssen schnellstmöglich versorgt werden!“

    Thrombektomie erwies sich nicht nur im Studiensetting, sondern auch in der klinischen Routine als effektiv
    Bei Verschlüssen großer Hirnarterien, wenn eine Lyse nicht ausreicht, kann der Thrombus mit einem Gefäßkatheter entfernt werden (interventionelle Thrombektomie). Eine deutsche industrieunabhängige Register-Studie [5] analysierte zwischen Juni 2015 und April 2018 prospektiv insgesamt 2.794 Patienten (Alter 64 - 82, median 75) aus 25 Zentren. Mit der Thrombektomie konnte die Durchblutung bei 2.143 Patienten (83 %) wiederhergestellt werden. Wermutstropfen war allerdings eine Mortalitätsrate von 29 % in dieser Auswertung. Diese Zahl spiegelt wider, dass es sich in der Mehrzahl um schwere und sehr schwere Schlaganfälle handelte.

    „In den bisherigen klinischen Studien wurden meist nur hochselektierte Patientengruppen mit großer Wahrscheinlichkeit eines Nutzens der Thrombektomie untersucht – im klinischen Alltag haben wir allerdings eine viel breitere Patientenpopulation. In der vorliegenden Register-Auswertung waren die Patienten älter als in bisherigen Studiensettings und damit vulnerabler, was die Komplikationsrate erhöht. Auch hatten sie weniger häufig als unter Studienbedingungen vorab eine Thrombolyse erhalten“, erläutert Professor Thomalla. „Daher bestätigt die Analyse, dass bei einem hohen Anteil der Patienten im normalen klinischen Alltag durch die Thrombektomie gute Therapierfolge zu erreichen sind. Insgesamt lassen sich die neuen Erkenntnisse also zusammenfassen: Wir haben ein größeres Zeitfenster und mehr Behandlungsoptionen.“

    Literatur
    [1] Markus A. Busch, Ronny Kuhnert. Robert Koch-Institut, Berlin. Journal of Health Monitoring 2017 2(1). DOI 10.17886/RKI-GBE-2017-010
    [2] Thomalla G, Simonsen CZ, Boutitie F et al.; WAKE-UP Investigators. MRI-Guided Thrombolysis for Stroke with Unknown Time of Onset. N Engl J Med 2018; 379 (7): 611-22
    [3] Ma H, Campbell BCV, Parsons MW et al. EXTEND Investigators. Thrombolysis Guided by Perfusion Imaging up to 9 Hours after Onset of Stroke. N Engl J Med. 2019 May 9;380(19): 1795-1803
    [4] Campbell BCV, Ma H, Ringleb PA et al.; EXTEND, ECASS-4, and EPITHET Investigators. Extending thrombolysis to 4·5-9 h and wake-up stroke using perfusion imaging: a systematic review and meta-analysis of individual patient data. Lancet 2019 Jul; 394 (10193): 139-47
    [5] Wollenweber FA, Tiedt S, Alegiani A et al. Functional Outcome Following Stroke Thrombectomy in Clinical Practice. Stroke 2019 Sep; 50 (9): 2500-06

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 9900 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Past-Präsident: Prof. Dr. Gereon R. Fink
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Weitere Informationen:

    http://www.dgn.org
    http://www.dgnkongress.org


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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