15.10.2019/Kiel. Mehr kurzzeitige Hitzewellen, langfristig Erwärmung und Versauerung, zunehmende Überdüngung und Sauerstoffarmut – marine Ökosysteme sind vielfältigen Veränderungen ausgesetzt. Ebenso vielfältig sind die Reaktionen der im Meer lebenden Organismen auf einzelne dieser Faktoren. Biologinnen und Biologen des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel konnten jetzt erstmals bei einer Großalge nachweisen, dass ihre Antwort auf unterschiedliche Umweltveränderungen positiv und negativ gekoppelt sein können – was zu einer Beschleunigung oder Ausbremsung ihrer Anpassung führt. Die Studie ist jetzt in der internationalen Online-Fachzeitschrift Scientific Reports erschienen.
Der Stress für marine Ökosysteme steigt. Die Erwärmung der Meere, das Absinken des pH-Wertes des Meerwassers, die Zufuhr von Nährstoffen und der Verlust von Sauerstoff setzt ihnen zu. Zwar können einzelne Faktoren für bestimmte Arten durchaus einen Vorteil bedeuten. Andere Veränderungen können den Lebensraum derselben Art aber auch empfindlich einschränken. Die unterschiedlichen Wirkungen machen die Abschätzung zukünftiger Verschiebungen der Artenvielfalt sehr schwierig. „Eine der zentralen Fragen ist, ob die Reaktionen auf verschiedene Veränderungen positiv oder negativ miteinander in Verbindung stehen oder ob sie unabhängig voneinander ablaufen“, sagt Prof. Dr. Martin Wahl, Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
Biologinnen und Biologen des GEOMAR und der Universität Rostock veröffentlichen jetzt in der internationalen Online-Fachzeitschrift Scientific Reports eine Studie, die erstmals zeigt, dass bei einer Schlüsselart in Küstenökosystemen, dem Blasentang Fucus vesiculosus, Anpassungen an mehrere Veränderungen auf genetischer Ebene gekoppelt sind. „Das kann Reaktionen des Blasentangs auf Veränderungen sowohl beschleunigen als auch blockieren “, erklärt Professor Wahl, Hauptautor der Studie.
Der Blasentang Fucus vesiculosus ist eine Braunalge, die auf harten Untergründen entlang der Küsten des Nordatlantiks sowie in Nord- und Ostsee siedelt. Wie andere Algen auch spielt er in bei der Bindung von Kohlenstoff im Meer eine wichtige Rolle. Außerdem bildet er die Grundlage von Ökosystem an den jeweiligen Küstenabschnitten. In der Ostsee, aber auch in seinen anderen Verbreitungsgebieten, sind die Bestände von Fucus vesiculosus seit Beginn des 21. Jahrhunderts stark zurückgegangen. Die genauen Gründe dafür sind noch nicht endgültig geklärt.
Für ihre Studie haben die Forscherinnen und Forscher eine spezielle Versuchsanlage, die Kiel Outdoor Benthokosmen (KOB), genutzt. Sie besteht aus insgesamt zwölf Versuchskammern, in denen in kleinem Maßstab Küstenökosysteme nachgebildet werden können. Dank einer komplexen Regeltechnik sind mehrere Umweltparameter manipulierbar. Da die KOB auf einem Ponton in der Kieler Innenförde liegen und direkt mit Wasser aus der Förde versorgt werden, kommen die Umweltbedingungen innerhalb der Versuchsbecken der Natur sehr nahe.
In den Versuchskammern hat das Team über einen Zeitraum von zwölf Monaten genetisch unterschiedliche Familien des Blasentangs erhöhten Kohlendioxid-Bedingungen und daraus resultierenden niedrigeren pH-Werten im Wasser, Wärmephasen, erhöhtem Nährstoffeintrag und Phasen mit Sauerstoffarmut ausgesetzt. „Bei den einzelnen Familien handelte es sich jeweils um die Nachkommen von nur einem Elternpaar“, erklärt Professor Wahl.
Die Reaktionen auf die verschiedenen Veränderungen waren klar aneinander gekoppelt. So konnten Familien, die niedrigere pH-Werten vertrugen, auch Erwärmung und höhere Nährstoffwerte vertragen – und umgekehrt. Gleichzeitig waren genau diese Familien aber deutlich anfälliger für Sauerstoffarmut. „In der Natur könnte das bedeuten, dass eine Blasentang-Population, die sich an Überdüngung und sommerliche Hitze angepasst hat, im Herbst durch den Auftrieb von sauerstofffreiem Wasser aus der Tiefe besonders schwer geschädigt oder ganz vernichtet wird“, sagt Martin Wahl.
Insgesamt ist dem Team damit nicht nur der erste Nachweis gelungen, dass Reaktionen auf verschiedene Symptome des globalen Wandels bei einem marinen Primärproduzenten gekoppelt sein können. „Die Studie zeigt auch, dass wir in Zukunft noch Forschung benötigen, welche die Reaktionen von Organismen auf mehrere gleichzeitig oder zeitlich versetzt auftretende Umweltveränderungen untersucht. Sonst ist es schwer, belastbare Aussagen über die zukünftige Entwicklung von Ökosystemen im Meer zu treffen“, betont Professor Wahl.
Prof. Dr. Martin Wahl, mwahl@geomar.de
Al-Janabi, B., M. Wahl, U. Karsten, A. Graiff, and I. Kruse (2019): Sensitivities to global change drivers may correlate positively or negatively in a foundational marine macroalga. Scientific Reports, https://doi.org/10.1038/s41598-019-51099-8
Gesunder Blasentang.
Foto: Uli Kunz.
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Kranker Blasentang.
Foto: Uli Kunz.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Meer / Klima
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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