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16.10.2019 12:11

1989: Friedliche Revolution in der Stadterneuerung – Kaiserslauterer Forscher koordinieren Projekt

Melanie Löw Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Technische Universität Kaiserslautern

    Die Bewahrung hochrangiger Baudenkmale in Ostdeutschland, oft buchstäblich in letzter Minute, ist eine Erfolgsgeschichte der deutschen Einheit, die auch Einheits-Skeptiker nicht in Frage stellen. Doch wer organisierte binnen weniger Wochen die Soforthilfe zur Rettung der historischen Innenstädte? Wie gelangte der Währungsumtausch der Grenzgänger in die Fonds baulicher Soforthilfe? Warum waren Stralsund, Meißen, Halberstadt, Weimar und Brandenburg die ersten Städte, die Sanierungsmittel erhielten? Damit befasst sich das Projekt „Stadt-Wende“, das an der Technischen Universität Kaiserslautern koordiniert wird. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

    Für viele Altstädte und Altbauquartiere in der DDR war es 1989 fünf vor zwölf: „Wenn nicht schon abgebrochen, hatten sie vielfach einen Verfallsgrad erreicht, der einen baldigen Abbruch nahezu unausweichlich erscheinen ließ“, sagt Professor Dr. Holger Schmidt vom Fachgebiet Stadtumbau und Ortserneuerung an der TU Kaiserslautern, der die Projektleitung innehat. Die DDR-Baupolitik hatte über Jahrzehnte nahezu ihre gesamten Ressourcen auf die Plattenbautechnologie konzentriert. „Zugleich war die Staatsführung nicht bereit, diese Mittel und Kräfte in nennenswertem Umfang in die Bestandserneuerung zu lenken“, fährt er fort.

    So bedeutete die politische Wende von Herbst 1989 für viele Altstadtkerne und Gründerzeit-quartiere eine Rettung in letzter Minute. „Die unbürokratisch umgesetzten Programme der Städtebauförderung ließen in den Folgejahren zahlreiche Altbauquartiere in neuem Glanz er-strahlen – und damit die identitätsstiftende Mitte der Städte“, sagt Projektkoordinator Dr. Thomas Fischer von der TUK weiter. Anderseits war der katastrophale Zustand vieler Städte selbst ein Auslöser des politischen Umbruchs gewesen: Nicht wenige Bürger gingen auf die Straße, weil sie dem Verfall ihrer Stadt nicht weiter tatenlos zusehen mochten. Sie schlossen sich zusammen und wurden selbst aktiv.

    Neuere Forschungen belegen, dass engagierten Bürger, aber auch Architektinnen und Stadtplaner der DDR die entscheidenden Impulse für den radikalen Kurswechsel der Städtebaupolitik gaben. Erst sie ermöglichten, dass die Soforthilfe-Programme des Bundesbaumministeriums auch zielgerichtet umgesetzt werden konnten. Die Oderberger Straße am Prenzlauer Berg in Berlin steht exemplarisch für eine durch mutiges Bürgerengagement abgewendete Abbruch-Planung der späten DDR.

    Das BMBF-Forschungsprojekt „Stadt-Wende“ soll unter anderem durch eine Vielzahl von Zeitzeugeninterviews die Bedeutung der DDR-Bürgerbewegung und der ostdeutschen Planerinnen und Planern für das Gelingen der ostdeutschen Stadterneuerung erforschen. Beteiligt sind neben der TU Kaiserslautern, das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner, die Bauhaus-Universität Weimar sowie die Universität Kassel. Das Projekt ist im Januar 2019 gestartet.

    Schon der jetzige Kenntnisstand macht deutlich, dass der radikale städtebauliche Kurswechsel keineswegs ein bloßer West-Export war. Engagierte Bürger, Denkmalpfleger aber auch Architektinnen und Stadtplaner hatten sich in der DDR seit Beginn der 1980er Jahre anfangs verdeckt, später zunehmend offen und für Denkmalbauten und den Erhalt historischer Quartieren eingesetzt und die zerstörerische offizielle Städtebaupolitik angeprangert.

    Neben Erfurt, Greifswald, Görlitz und Schwerin war ein bedeutsamer Ort dieser baupolitischen Opposition Berlin. Hier hatten sich in Mitte, aber auch am Prenzlauer Berg, gegen Ende der 1980er Jahre oppositionelle Kräfte formiert. Ein Zentrum dieser oppositionellen Bewegung war die gut vernetzte, aufmüpfige Bewohnerschaft der Oderberger Straße. Aus Planerkreisen hatten die Bewohner erfahren, dass ihre Häuser abgebrochen und durch Plattenbauten ersetzt werden sollten. Dagegen protestierte die unter dem Dach des offiziellen Wohngebietsausschusses agierende Gruppe bei der SED-Kreisleitung Berlin. Hier wie auch andernorts unterbreiteten die engagierten Bürger Alternativentwürfe zu den Abbruchplänen, die später vielfach zur offiziellen Planung wurden.

    Innerhalb des Forschungsprojektes sollen diese Entwicklungen zum ersten Mal umfassend unter-sucht werden, wobei den Schlüsselakteuren der Bewegung gegen den Altstadtverfall ein besonderes Augenmerk gilt. Neben dieser Grundlagenforschung wird im Projekt großen Wert auf die Vermittlung in die heutige Öffentlichkeit gelegt. Neben einer umfassenden Website (www.stadtwende.de) sind eine Wanderausstellung, Filmdokumentationen sowie eine Buchveröffentlichung vorgesehen.

    Am 21. Oktober findet ein Mediengespräch mit Zeitzeugen zum Projekt statt: 18 Uhr im Nachbarschaftshaus Hirschhof, Oderberger Straße 19 (im Hof), 10435 Berlin.
    Teilnehmer des Gesprächs sind:

    Dorothee Dubrau, Bürgermeisterin und Beigeordnete Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig; nach Architekturstudium tätig unter anderem als Stadtplanerin im Büro für Städtebau in Ost-Berlin. 1988-1990 unter anderem Sprecherin der Bürgerinitiative Luisenstadt; 1990-1996 Bezirksstadträtin für Bauen und Wohnen in Berlin Mitte, 1996-2000 Stadträtin für Stadtentwicklung in Prenzlauer Berg

    Matthias Klipp, freiberuflich tätig als Stadtentwicklungsexperte und als Berater;
    Ingenieursstudium in Berlin; tätig im Wohngebietsausschuss (WBA) Oderberger Straße ab 1986, Unabhängiger Kandidat des WBA zur DDR-Kommunalwahl 1989, Neues Forum, Runder Tisch der Bürgerinitiativen 1989/1990, Gründung IBIS-Institut beim DDR Bauministerium; 1990-1996 Baustadtrat in Prenzlauer Berg; 1999-2005 Geschäftsführer STERN; 2009-2015 Baudezernent in Potsdam

    Ulf Heitmann, Vorstandsmitglied der Wohnungsbaugenossenschaft „Bremer Höhe“ eG; Studium der Rechtswissenschaft; 1990 Vertreter d. Bürgerinitiativen am Runden Tisch des DDR-Bauministeriums; seit 1990 Rechtsanwalt; 1991-2000 unter anderem Projektleiter der I.B.I.S. Bürgerberatungsgesellschaft für Stadterneuerung mbH, 1993-1999 im Aufsichtsrat der Genossenschaft SelbstBau“ e. G.

    Prof. Dr. Holger Schmidt, TU Kaiserslautern (Leiter des Forschungsprojektes Stadt-Wende); Studium der Stadtplanung in Weimar, 1989 Promotion, 1991 bis 2000 Leiter der Akademie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stiftung Bauhaus in Dessau, ab 2000 eigenes Stadtplanungsbüro in Dessau, seit 2009 Professur für Stadtumbau + Ortserneuerung an der TU Kaiserslautern.

    Dr. Harald Engler, Historiker, Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) Erkner; Stellvertretender Leiter Historische Forschungsstelle im IRS; studierte Geschichte und Germanistik an der FU Berlin seit 2007, Forschungen und zahlreiche Veröffentlichungen zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR.

    Nach kurzer Vorstellung des Forschungsprojektes kommen Dorothee Dubrau, Ulf Heitmann und Matthias Klipp zu Wort. Sie haben als Teil der DDR-Opposition für eine andere Städtebau-Politik gekämpft und den demokratischen Neuanfang während und nach der Wende prägend mitgestaltet. Im Raum steht auch die Frage: Was lehren die damaligen Erfahrungen für die Gegen-wart? Verbundpartner Forschungsprojekt: Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) Erkner, Technische Universität Kaiserslautern, Bauhaus-Universität Weimar, Universität Kassel


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr.-Ing. Thomas Fischer
    Technische Universität Kaiserslautern
    Fachgebiet Stadtumbau + Ortserneuerung (Projektkoordination)
    Tel. + 49 (0)631 205-5148 sowie + 49 (0)179 6729 172
    E-Mail: tfischer@rhrk.uni-kl.de


    Bilder

    Auf dem Bild zu sehen ist Oderberger Straße in Ostberlin 1987. Foto: Gerd Danigel, Berlin
    Auf dem Bild zu sehen ist Oderberger Straße in Ostberlin 1987. Foto: Gerd Danigel, Berlin

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Bauwesen / Architektur
    regional
    Forschungsprojekte, Kooperationen
    Deutsch


     

    Auf dem Bild zu sehen ist Oderberger Straße in Ostberlin 1987. Foto: Gerd Danigel, Berlin


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