idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
18.10.2019 11:40

Macht Hunger egoistisch?

Lisa Dittrich Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Justus-Liebig-Universität Gießen

    Internationale Studienreihe mit Beteiligung Gießener Psychologinnen und Psychologen widerlegt weitverbreitete Annahme

    Hunger ist ein unangenehmer Zustand. Man wird garstig und gereizt, und je länger man nichts isst, desto tiefer sinkt die Laune. Da liegt es doch auf der Hand, dass Hunger auch egoistisch macht – oder nicht? Ist jemand, der hungrig ist, wirklich so sehr auf seine eigenen Interessen bedacht, wie einige psychologische Studien und Befunde nahelegen? In einer aufwändigen Studienreihe ist ein internationales Team von Psychologinnen und Psychologen aus Gießen, Hildesheim, Bamberg, Amsterdam und Oxford dieser Frage systematisch nachgegangen. Von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) war die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jan Häusser, Professur für Sozialpsychologie, beteiligt. Die Erwartung des Forscherteams bestätigte sich dabei nicht: Hunger führte nicht zu gesteigertem Egoismus.

    Für die experimentellen Studien wurden die Versuchsteilnehmerinnen und Teilnehmer angewiesen, mindestens zwölf Stunden vor Beginn der Untersuchungen nichts zu essen, sie kamen also sehr hungrig und mit einem niedrigen Blutzuckerspiegel in das Labor. Dort erhielt die eine Hälfte der Probandinnen und Probanden – die Kontrollgruppe – etwas zu essen um eine schnelle Sättigung und einen hohen Blutzuckerspiegel zu erzeugen (z.B. zwei Becher Schokopudding). Die Experimentalgruppe blieb für den weiteren Versuch hungrig.

    Mittels verschiedener Aufgaben wurde dann ein mögliches egoistisches Verhalten untersucht. So bekamen die Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer beispielsweise einen Geldbetrag von 10 Euro und konnten diesen zwischen sich und den anderen aufteilen. Bei anderen Aufgaben ging es darum, sich kooperativ zu verhalten, um dann gemeinsam einen höheren Gewinn zu erzielen. Manchmal gab es zudem die Möglichkeit, egoistisches Verhalten der anderen Probandinnen und Probanden zu bestrafen. Das Forscherteam fand allerdings keine belastbaren Belege für egoistischeres Verhalten von hungrigen im Vergleich zu satten Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmern.

    In einer weiteren Studie wollte das Forscherteam herausfinden, ob sich die egoistischen Tendenzen eher finden lassen, wenn nicht Geld, sondern Essen aufgeteilt werden sollte. Hierfür bauten die Forscherinnen und Forscher einen Stand vor der Mensa der JLU auf und ließen Studierende, die entweder gerade in die Mensa gingen (also hungrig waren) und Studierende, die aus der Mensa kamen (also satt waren), Geld oder Essen (kleine Päckchen mit Studentenfutter) aufteilen. Wie in den anderen Studien fanden sich keine Belege dafür, dass Hunger egoistischer macht und zwar unabhängig davon, ob Geld oder Essen aufgeteilt wurde.

    „Obwohl akuter Hunger möglicherweise egoistische Impulse verstärkt, schlagen sich diese sich oft nicht im Verhalten nieder“, so Prof. Dr. Jan Häusser. „Wir gehen davon aus, dass die sozialen Rahmenbedingungen – zum Beispiel mögliche Sanktionen oder der drohende Verlust von sozialem Ansehen – so stark sind, dass solche egoistischen Impulse ausgebremst werden.“

    Dass der Glaube an das egoistische Verhalten hungriger Menschen trotzdem weit verbreitet ist, zeigen die Autorinnen und Autoren in einer weiteren Studie. „Grundsätzlich neigen Menschen dazu, egoistisches Verhalten und egoistische Motive zu überschätzen“, sagt Prof. Dr. Paul van Lange, Professor für Psychologie an der Vrije Universiteit Amsterdam (Niederlande), ein weiterer Autor der Studie. „Offenbar gehen sie davon aus, dass insbesondere bei knappen Ressourcen das ‚wahre Ich‘ gezeigt und egoistischer gehandelt wird. Unsere Studien zeigen, dass dies zumindest für akuten Hunger nichtzutreffend ist.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Kontakt

    Prof. Dr. Jan Häusser
    Abteilung für Sozialpsychologie
    Justus-Liebig-Universität Gießen
    Telefon: 0641 99-26227
    E-Mail: Jan.A.Haeusser@psychol.uni-giessen.de


    Originalpublikation:

    Publikation
    Häusser, J.A., Stahlecker, C., Mojzisch, A., Leder, J., van Lange, P.A.M., & Faber, N.: Acute hunger does not always undermine prosociality. Nature Communications
    DOI: 10.1038/s41467-019-12579-7


    Weitere Informationen:

    http://Weitere Informationen
    https://www.nature.com/articles/s41467-019-12579-7


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).