Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und der Medizinischen Universität Innsbruck
Vorklinische Studie zeigt langanhaltende Anfallsfreiheit
Forschungsgruppen der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Medizinischen Universität Innsbruck haben einen grundlegend neuen Ansatz zur Behandlung von Temporallappen-Epilepsie entwickelt: Eine Gentherapie soll ermöglichen, dass beginnende Krampfanfälle gezielt am Ort ihrer Entstehung und nur bei Bedarf unterdrückt werden. Die Methode erwies sich im Tiermodell als erfolgreich und soll nun für die therapeutische Anwendung bei Patientinnen und Patienten optimiert werden. Veröffentlicht sind die Studienergebnisse in EMBO Molecular Medicine*.
Europaweit sind rund 5 Millionen Menschen von Epilepsien betroffen. Charakteristisch sind wiederkehrende, synchrone Entladungen von Nervenzellen, die zu einer Unterbrechung der normalen Hirnfunktion führen und sich als epileptischer Anfall äußern. Die häufigste Form ist die Temporallappen-Epilepsie (TLE), bei der diese Anfälle vom Schläfenlappen ausgehen. Langzeitfolgen der Erkrankung können Störungen der Gedächtnisfunktion, der Lernfähigkeit und der Emotionskontrolle sein. Zusätzlich schränken Arbeits-, Verkehrs- und Sportuntauglichkeit die Lebensqualität der Betroffenen ein. Hinzu kommt, dass Medikamente bei TLE-Patienten häufig nicht ausreichend wirksam und zusätzlich oft mit schweren Nebenwirkungen verbunden sind. Für diese Patientengruppe ist die chirurgische Entfernung der betreffenden Region im Schläfenlappen oftmals die einzige alternative Therapieoption. Eine solche Operation führt jedoch zu kognitiven Verlusten und garantiert keine Anfallsfreiheit. Einen grundlegend neuen Ansatz zur Behandlung von therapieresistenten TLE-Betroffenen hat Prof. Dr. Regine Heilbronn, Direktorin des Instituts für Virologie am Charité Campus Benjamin Franklin, jetzt in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Christoph Schwarzer vom Institut für Pharmakologie der Medizinischen Universität Innsbruck entwickelt.
Die neue Methode basiert auf einer gezielten Gentherapie, mit der ein spezielles Gen selektiv in die Nervenzellen jener Gehirnregion eingeschleust wird, von der die epileptischen Anfälle ausgehen. Das Gen liefert die Produktionsanweisung für Dynorphin, eine körpereigene Substanz, die vor übermäßiger neuronaler Erregung schützen kann. Sobald die Neuronen das Gen aufgenommen und gespeichert haben, produzieren sie dauerhaft den Wirkstoff auf Vorrat. „Bei hochfrequenter Stimulation der Nervenzellen, wie zu Beginn eines Anfalls, wird Dynorphin ausgeschüttet. Es bewirkt eine Dämpfung der Reizweiterleitung und der epileptische Anfall bleibt aus“, beschreibt der Neurobiologe und Epilepsie-Experte Prof. Schwarzer die Methode. „Da der Wirkstoff nur bei Bedarf von den Zellen abgegeben wird, sprechen wir von einer ‘drug on demand‘-Gentherapie.“
Das Forschungsteam konnte jetzt im Tiermodell zeigen, dass die Gentherapie epileptische Anfälle über mehrere Monate unterdrückt. Mit den Anfällen blieben auch deren negative Effekte auf Lernen und Gedächtnis aus. Nebenwirkungen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher nicht beobachtet, was sich durch die regional und zeitlich beschränkte Wirkung der Dynorphin-Ausschüttung erklären lässt. Durch die bedarfsgesteuerte Freisetzung wurden auch keine Gewöhnungseffekte festgestellt. Zusätzlich testete die Forschungsgruppe das Behandlungsprinzip auch an Gewebeproben von Epilepsiepatienten – mit Erfolg: Dynorphin konnte die Stärke und Häufigkeit synchroner Neuronen-Aktivität im Gewebeverbund deutlich reduzieren.
„Die Ergebnisse unserer Studie stimmen uns zuversichtlich, dass der neue Therapieansatz auch bei Menschen Erfolg zeigen könnte“, sagt Prof. Heilbronn. „Wir nutzen als Transportvehikel für das Dynorphin-Gen sogenannte Adeno-assoziierte Viren, die bereits zur Therapie bei Menschen zugelassen sind und als sicher gelten.“ Die neue Gentherapie wollen Prof. Heilbronn und Prof. Schwarzer nun schnellstmöglich zur Klinikreife bringen. „Wir arbeiten derzeit daran, die virale Genfähre für die Anwendung bei Menschen zu optimieren“, erklärt Prof. Heilbronn. „Unser Ziel ist, das Gentherapeutikum in wenigen Jahren als Arzneimittel erstmals in der klinischen Testphase einsetzen zu können.“ Zeigt sich die Behandlung erfolgreich, würde TLE-Betroffenen, bei denen eine medikamentöse Behandlung nicht wirksam ist, eine minimalinvasive Einmaltherapie als weitere Therapie-Alternative zur Verfügung stehen.
Förderung der Studie
Das gemeinsame Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert. Zusätzlich erhält Prof. Heilbronn vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Gründungsoffensive Biotechnologie GO-Bio rund 3,3 Millionen Euro für die Entwicklung der Gentherapie. Die Förderung sieht die Ausgründung eines Start-ups vor, bevor die klinische Prüfung des Verfahrens startet. Begleitet wird das Projekt von SPARK Berlin, einem Teil von Berlin Health Innovations, der gemeinsamen Technologietransfer-Einheit der Charité und des Berlin Institute of Health (BIH). SPARK wird durch die Stiftung Charité und das BIH gemeinsam finanziert.
*Agostinho AS et al. Dynorphin-based "release on demand" gene therapy for drug-resistant temporal lobe epilepsy. EMBO Mol Med. 2019 Oct;11(10):e9963. doi: 10.15252/emmm.201809963
Prof. Dr. Regine Heilbronn
Direktorin des Instituts für Virologie
Campus Benjamin Franklin
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 8445 3696
E-Mail: regine.heilbronn@charite.de
http://www.doi.org/10.15252/emmm.201809963
https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/spark_projekt_erh... Pressemitteilung zur GO-Bio-Förderung vom 18.4.2018
Nervenzellen im Hippokampus des Gehirns (Tiermodell). Für den neuen gentherapeutischen Ansatz wird h ...
Foto: Schwarzer/Medizinische Universität Innsbruck
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Nervenzellen im Hippokampus des Gehirns (Tiermodell). Für den neuen gentherapeutischen Ansatz wird h ...
Foto: Schwarzer/Medizinische Universität Innsbruck
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