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19.12.2019 15:21

Kritik an Replikationsstudie - Marshmallow-Test doch bestätigt

LMU Stabsstelle Kommunikation und Presse
Ludwig-Maximilians-Universität München

    LMU-Ökonom Fabian Kosse hat eine Replikationsstudie überprüft, die einen Klassiker der Entwicklungspsychologie ins Wanken brachte. Seine Analyse bestätigt jedoch die Aussagekraft des ursprünglichen Experiments.

    Wenige Studien aus der Psychologie sind so bekannt wie der Marshmallow-Test, den Walter Mischel in den 1960er-Jahren an der Universität Stanford entwickelte. Demnach sagt die Fähigkeit eines Kindes, seinen Impuls zu kontrollieren und etwa eine Weile einem süßen Marshmallow zu widerstehen, um als Belohnung einen zweiten Marshmallow zu erhalten, etwas über seinen späteren Bildungs- und Lebenserfolg aus. Um zu untersuchen, wie sich diese Fähigkeit der Selbstkontrolle auswirkt, begleitete Mischel seine Probanden über Jahrzehnte. Je länger es die Kinder im Alter von vier, fünf Jahren schafften, vor einem Marshmallow zu sitzen, ohne reinzubeißen, desto besser schnitten sie später etwa bei Bildungstests ab. Der Versuch gehört seither zum festen Repertoire der Entwicklungspsychologie und wurde schließlich zum Gegenstand einer Replikationsstudie, in deren Rahmen überprüft wird, ob sich wissenschaftliche Ergebnisse reproduzieren lassen. Die Replikationsstudie erschien im Jahr 2018 im Fachmagazin Psychological Science mit dem Tenor, dass sich Mischels Ergebnisse nicht reproduzieren ließen, was für großes Medienecho sorgte. (Tyler Watts, Greg Duncan und Haonan Quan: „Revisiting the Marshmallow Test: A Conceptual Replication Investigating Links Between Early Delay of Gratification and Later Outcomes“)

    Ein Team um Fabian Kosse, Professor für angewandte Ökonomie an der LMU, hat nun jedoch die Daten der Replikationsstudie überprüft und widerspricht dieser Interpretation: „Die Replikationsstudie ist eher eine Bestätigung der früheren Ergebnisse. Sie zeigt, dass der Marshmallow-Test sogar dann eine Aussagekraft hat, wenn die Stichprobe divers ist und auch Kinder mitmachen, deren Eltern keinen Hochschulabschluss haben. Unserer Ansicht nach sind die Autoren bei ihrer Interpretation über das Ziel hinausgeschossen. Tatsächlich geht ihr Ergebnis in dieselbe Richtung wie bei Mischel, der Effekt ist lediglich etwas schwächer.“

    Fabian Kosse hat zusammen mit den beiden VWL-Professoren Armin Falk und Pia Pinger von der Universität Bonn die Daten der Replikationsstudie erneut ausgewertet. Dabei sind ihnen zwei methodische Unstimmigkeiten aufgefallen. So mussten bei Walter Mischel die Kinder 15 Minuten warten, bevor sie den Marshmallow essen durften, in der Replikationsstudie waren es nur sieben Minuten. „Für ein vierjähriges Kind macht es natürlich viel aus, ob es sieben oder 15 Minuten warten muss. Wir können mit Hilfe statistischer Methoden zeigen, dass circa ein Drittel des Unterschieds zu Mischel genau daran liegt, dass in der Replikationsstudie ein anderes Maß gewählt wurde“, sagt Kosse.

    Der zweite methodische Einwand betrifft die Auswahl der Variablen, mit denen die Autoren der Replikationsstudie versucht haben, Einflussfaktoren herauszurechnen, die den Zusammenhang vom Selbstkontrolle und Bildungserfolg verfälschen könnten. „Kinder, die länger warten, bis sie ihren Marshmallow essen, unterscheiden sich in unzähligen Dimensionen von den anderen. Daher weiß man nicht so genau, was eigentlich ihren späteren Bildungserfolg vorhersagt. Bei dem Versuch, den Effekt von Selbstkontrolle zu isolieren, haben die Autoren der Replikationsstudie bei der statistischen Analyse Entscheidungen getroffen, die sehr stark in eine Richtung gehen. Sie sind dem sogenannten bad control problem erlegen. Es wurde versucht so viele Effekte herauszurechnen, dass sich nicht mehr interpretieren lässt, was diese über den wirklichen Zusammenhang aussagen.“ Armin Falk, Fabian Kosse und Pia Pinger führen eine ähnliche Analyse durch, rechnen jedoch nur sogenannte Störfaktoren heraus, die sich klar als solche interpretieren lassen. In ihrer Analyse zeigt sich immer noch ein relativ starker Zusammenhang zwischen der Bereitschaft auf eine Belohnung zu warten und späterem Schulerfolg.

    Die Ergebnisse von Fabian Kosse und seinen Kollegen sind aktuell ebenfalls in Psychological Science erschienen. „Das zeigt, wie transparente Wissenschaft im Idealfall funktioniert: Jeder der sich mit dem Marshmallow-Test beschäftigt, wird nun künftig die Replikationsstudie und unseren Kommentar dazu lesen und sich selbst eine Meinung bilden können“, sagt Kosse. „Das Team um Tyler W. Watts hat mit ihrer Replikationsstudie einen wichtigen Beitrag geleistet, in dem es neue Daten in die Diskussion eingebracht hat, mit denen man die Vorhersagekraft des Marshmallow-Tests in einer großen und sehr diversen Stichprobe erneut analysieren kann. Nach unserer Ansicht bestätigen die neuen Daten, dass Unterschiede, die sehr früh im Leben entstehen, wichtig sind für den späteren Bildungserfolg. Jene Kinder, die im Experiment warten können, schneiden zehn Jahre später in einem Bildungstest besser ab als Kinder, die sofort den Marshmallow essen. Jetzt geht es darum, herauszufinden, was bestimmt, ob Kinder warten können oder nicht.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Professor Fabian Kosse
    Volkswirtschaftliche Fakultät der LMU
    E-Mail: fabian.kosse@econ.lmu.de


    Originalpublikation:

    Armin Falk, Fabian Kosse, Pia Pinger:
    Re-Revisiting the Marshmallow Test: A Direct Comparison of Studies by Shoda, Mischel, and Peake (1990) and Watts, Duncan, and Quan (2018)
    https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0956797619861720
    Psychological Science 2019


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Psychologie, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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