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28.11.2003 11:27

IT-Beschäftigte wollen ihre Arbeitszeit eingrenzen - Innenansichten aus einer Vorreiterbranche

Frank Seiss Öffentlichkeitsarbeit
ISF München - Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V.

    Anders als es für "die Deutschen" derzeit behauptet wird, neigen Beschäftigte von IT-Firmen zu dem Wunsch, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und festere Grenzen zwischen Arbeit und Leben zu setzen. Ausgerechnet in der IT-Industrie, die noch vor drei Jahren als das Wunderland einer neuen Arbeits-, ja Gesellschaftskultur gefeiert werden konnte, suchen die Beschäftigten nach Möglichkeiten, wie sie diese Interessen am besten artikulieren und verhandeln können - und zwar tendenziell im Kollektiv und nicht als Einzelkämpfer. Dies sind Zwischenergebnisse des Forschungsvorhabens ARB-IT2 aus dem ISF München, die am 28.11. bei der Tagung "New Economy - Selbstbestimmung statt Mitbestimmung?" der Hans-Böckler-Stiftung in Berlin vorgestellt werden.

    Zur "New Economy" und ihren Visionen schienen Begriffe wie "Interessenvertretung" und "Mitbestimmung" gar nicht mehr recht passen zu wollen. Freilich ist in den letzten Jahren deutliche Ernüchterung eingekehrt, die Propheten der "neuen Wirtschaft" halten sich mittlerweile recht bedeckt. Im Rahmen des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekts "Arbeitsbeziehungen in der IT-Industrie - Interessenhandeln der Beschäftigten" haben Dr. Andreas Boes und Kira Marrs vom ISF München geprüft, wie IT-Beschäftigte heute ihre Arbeitsbedingungen erfahren, welche Interessen sie formulieren und was sie über Selbstbestimmung und Mitbestimmung denken.

    Nach einer Teilauswertung der Interviews, die mit Entwicklern, Beratern, Führungskräften und Verwaltungsangestellten aus großen, mittleren und kleinen, meist betriebsratslosen Unternehmen geführt wurden, können die Soziologen erste Resultate und Trends ableiten. Diese stehen im scharfen Kontrast zu der gängigen Vorstellung, für diese modernen Arbeitskräfte sei Mitbestimmung eine Sache von gestern.

    Nicht nur eine Phase ist wohl der Krisen- und Schrumpfungsprozess der IT-Unternehmen. Man kann eher von der Einstellung eines neuen Normalzustands sprechen, der die Kultur dieses Wirtschaftsbereichs auf längere Sicht prägen könnte. Diese relativ offene Situation spiegelt sich auch deutlich in den Erfahrungen der Beschäftigten wider.

    Durch Kostenkontrolle, Rationalisierung, Personalabbau u.a. wird die spezifische Kultur der IT-Unternehmen spürbar erschüttert. "Neue" Werte wie Selbstbestimmung und Gemeinschaftsgefühl leiden unter dieser Entwicklung. Gerade diese Werte der New Economy und der Alternativbewegung sind den Beschäftigten in ihrer Arbeit sehr wichtig. Sie berichten daher von ausgeprägten Konflikt- und Leidenserfahrungen, speziell auch auf dem Gebiet der Arbeitszeit. In dieser Situation formulieren sie zunehmend Interessen an einer Begrenzung der Arbeit und ihrer Übergriffe auf das Leben, konkret an einer Verkürzung oder Eingrenzung der Arbeitszeit und einer Trennung von Arbeit und Leben.

    Sie befinden sich in einem Suchprozess, was die Artikulation und Durchsetzung dieser Interessen angeht. Bestimmend ist dabei die Suche nach kollektiven, u.U. rechtlich abgesicherten Formen der Interessenartikulation.

    Mitbestimmung und Selbstbestimmung sind für die Befragten keine Gegensätze. Vielmehr kann man die These aufstellen, dass Mitbestimmung als Mittel zur Verteidigung von Selbstbestimmung gesehen wird. In diesem Rahmen wird nach geeigneten Formen gesucht, die nicht - wie etwa eine "Stellvertreterpolitik" über die Köpfe der Vertretenen hinweg - mit den Werten der Beschäftigten in Konflikt stehen.

    Ob diese Suche Erfolg hat oder ob hier eine neue "Ökonomie der Unsicherheit" entsteht, wie sie Marrs und Boes kürzlich bei einer Untersuchung im Bereich von Film und Fernsehen vorgefunden haben ("Alles Spaß und Hollywood?" in Pohlmann u.a.: Dienstleistungsarbeit, Berlin 2003; s. auch die als Link angegebene idw-Pressemitteilung), wagen sie nicht zu prognostizieren. Doch diese Frage ist nach ihrer Einschätzung von großer Bedeutung für die Zukunft dieses "Pionierbereichs", weil in der augenblicklichen "Normalisierungsphase" Standards für längere Zeit gesetzt werden könnten. Insbesondere sind die Gewerkschaften gefordert, die Suchprozesse der Beschäftigten zu unterstützen. Wie Aussagen von Unternehmensvertretern und aktuelle Umfragen zur Arbeitsreduzierung in der IT-Industrie zeigen, könnte es durchaus Verhandlungspartner auf der Unternehmensseite geben.

    Für Rückfragen und weiteres Material (Interviewzitate, Thesenpapiere, Hintergrundgespräch mit den Forschern) wenden Sie sich bitte an Frank Seiß, 089/272921-78, frank.seiss@isf-muenchen.de


    Weitere Informationen:

    http://www.arb-it2.de
    http://www.isf-muenchen.de
    http://www.isf-muenchen.de/news/flyerworkshop-neweconomy.pdf
    http://idw-online.de/public/zeige_pm.html?pmid=58829


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Informationstechnik, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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