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20.01.2020 12:28

AfD-Wähler und junge Erwachsene in der Filterblase? Zusammenhang der Persönlichkeit mit genutzten Nachrichtenquellen

Annika Bingmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Ulm

    Wer sich ausschließlich über den Newsfeed sozialer Medien informiert, hat ein vergleichsweise hohes Risiko, in eine Filterblase oder Echokammer zu geraten. Diesen Zusammenhang haben Ulmer Forschende in einer Studie hergestellt, in der sie unter anderem die Anzahl der genutzten Nachrichtenquellen als Indikator für dieses Risiko erhoben haben. Darüber hinaus untersuchten sie, inwiefern demographische Merkmale, die Persönlichkeit und politische Präferenzen die Auswahl von Informationskanälen beeinflussen. Dabei zeigte sich: AfD-und Nichtwähler sowie Unterstützer kleinerer Parteien informierten sich aus besonders wenigen Quellen und könnten anfällig für Filterblasen sein.

    Junge Menschen, die sich ausschließlich über Newsfeeds sozialer Medien informieren, haben ein vergleichsweise hohes Risiko, in eine so genannte Filterblase oder Echokammer zu geraten. Für eine jetzt erschienene Studie haben Psychologinnen und Psychologen der Universität Ulm die Anzahl der genutzten Nachrichtenquellen im Online- und Offlinebereich als Indikator für dieses Risiko erhoben. Dabei konnten sie unter anderem zeigen, dass Nicht- und AfD-Wähler sowie Unterstützer sonstiger kleiner Parteien die wenigsten Nachrichtenquellen konsumieren – und somit in einer Blase gefangen sein könnten. Die Studie, in der Forschende zusätzlich den Zusammenhang von demographischen Merkmalen, der Persönlichkeit und autoritären Einstellungen mit der Anzahl genutzter Nachrichtenkanäle untersuchen, ist in der Fachzeitschrift Heliyon erschienen.

    Bei Google-Suchanfragen oder im Newsfeed von sozialen Medien werden Nutzern Informationen angezeigt, die ein Algorithmus für sie vorselektiert hat. Diese auf ihre mutmaßlichen Interessen abgestimmten Inhalte bergen die Gefahr so genannter „Filterblasen“. Das Problem: Individuen wissen nicht, welche Daten über sie gesammelt werden, können die Nachrichtenauswahl also nicht beeinflussen und halten die selektierten Informationen oft für ungefiltert. Gerade wenn es um aktuelle Nachrichten geht, werden solche Blasen in Politik und Wissenschaft als potenziell „demokratiegefährdend“ diskutiert. Eine weitere Folge der Personalisierung im Internet sind „Echokammern“, in denen ausschließlich und wiederholt Inhalte dargeboten werden, die zur Meinung der Nutzer passen und diese verstärken. Hierfür bieten soziale Medien wie Facebook, wo sich ähnlich denkende Menschen vernetzen, den idealen Nährboden. Allerdings können Nutzerinnen und Nutzer Filterblasen und Echokammern vermeiden, wenn sie sich zum Beispiel aus verschiedenen Quellen informieren. Die Anzahl der konsumierten Nachrichtenquellen und die Kategorie dieser Kanäle (Newsfeed, Online-Nachrichtenseite, Printmedium, TV usw.) können also Hinweise auf das Risiko geben, in eine Blase oder Echokammer zu geraten. Inwiefern demographische Merkmale wie Alter und Geschlecht, die Persönlichkeit und Einstellungen die Auswahl von Informationsquellen beeinflussen, haben Forschende um Dr. Cornelia Sindermann und Professor Christian Montag von der Universität Ulm untersucht.

    Dafür haben die Psychologinnen und Psychologen Daten von 1681 Probanden, die über eine Online-Plattform erhoben wurden, ausgewertet. Die Studienteilnehmenden sind gefragt worden, ob sie Nachrichten im Internet, im TV oder Radio, in Printprodukten oder über den Newsfeed sozialer Medien konsumieren. Dabei sollten sie angeben, wie viele Quellen aus den angegebenen Kategorien sie in den vergangenen sechs Monaten genutzt haben. Ausgehend von diesen Daten konnten die Forschenden die absolute Anzahl der verschiedenen konsumierten Nachrichtenquellen erheben sowie drei Gruppen bilden: Erstens Personen, die sich ausschließlich über den Newsfeed sozialer Medien informieren und zweitens Probanden, die neben dem Newsfeed weitere Online-Medien nutzen. Die dritte Gruppe konsumiert Nachrichten ausschließlich offline, also über Print, TV und/oder Radio. Probanden, die sich sowohl online als auch offline informieren sind nicht in die statistischen Analysen eingegangen, denn diese Gruppe informiert sich offenbar ausgewogen über das Tagesgeschehen. Um die Persönlichkeit und Einstellung der Studienteilnehmenden einschätzen zu können, wurden Ausprägungen in den Big Five -Merkmalen (Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus) ebenso erhoben wie das Ausmaß autoritärer Einstellungen (Right Wing Authoritarianism/RWA). Zuletzt sind die Teilnehmenden gefragt worden, welche Partei sie wählen würden, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre (Optionen: CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP, Linke, AfD, sonstige Parteien, „Ich würde nicht zur Wahl gehen“)

    Die Auswertung ergab, dass ältere Studienteilnehmende insgesamt mehr Nachrichtenquellen nutzen als jüngere. Zudem konsumieren Männer eine höhere Anzahl an Informationskanälen als Frauen. Was ihre Persönlichkeit angeht, scheinen Personen, die mehrere unterschiedliche Quellen nutzen im Vergleich offener und weniger autoritär eingestellt zu sein. Wenig überraschend weist die Newsfeed-Gruppe, die sich ausschließlich in sozialen Medien informiert, mit 24,26 Jahren das geringste Durchschnittsalter auf. Das höchste Durchschnittsalter (36,39 Jahre) haben hingegen Teilnehmende, die sich nur offline (Zeitung, TV oder Radio) informieren. Außerdem zeigt diese „Offline-Gruppe“ die höchsten Werte in Gewissenhaftigkeit und die geringsten in Neurotizismus. „Die Newsfeed-Gruppe hat das größte Risiko, in einer Filterblase oder Echokammer gefangen zu werden: Mitglieder nutzen nur eine Art von Nachrichtenquelle, in der auch noch potenziell stark selektierte Informationen angeboten werden. Dazu kommt die für soziale Medien typische eigene Selektion, die die Vorauswahl durch Algorithmen noch einmal potenzieren kann“, erklärt Cornelia Sindermann. Allerdings seien weniger als 5 Prozent der Befragten dieser ausschließlichen „Newsfeed-Gruppe“ zuzurechnen.
    Doch wie hängen diese Ergebnisse mit Wahlpräferenzen zusammen? In der Studie geben Personen, die die AfD, eine sonstige Partei oder gar nicht wählen würden, die niedrigste Anzahl konsumierter Nachrichtenquellen an. Im Vergleich zu anderen Probandinnen und Probanden zeigen AfD-Wähler zudem die höchsten Werte bei autoritären Einstellungen.

    Die Psychologinnen und Psychologen kommen zu dem Ergebnis, dass demographische Variablen, Persönlichkeitsmerkmale und die individuelle Einstellung mit der Anzahl genutzter Nachrichtenquellen zusammenhängen. Allerdings sehen die Forschenden nur bei einer relativ kleinen Gruppe die große Gefahr, tatsächlich in Filterblasen oder Echokammern zu geraten (<5 Prozent). Die Autoren weisen darauf hin, dass hierzu weitere Studien durchgeführt werden sollten, die Methoden der Psychologie und Informatik („Psychoinformatik“) kombinieren. So könnte beispielsweise der Inhalt der konsumierten Nachrichten analysiert und dessen Zusammenhang mit Wahlpräferenzen untersucht werden. Bei der aktuellen wissenschaftlichen Arbeit wurde Christian Montag von der Universität Ulm durch eine Heisenberg-Professur der DFG unterstützt.

    In einem neuen Projekt wollen die Psychologinnen und Psychologen der Uni Ulm untersuchen, ob das Erkennen von „Fake News“ im Gegensatz zu „wahren Nachrichten“ ebenfalls mit dem Nachrichtenkonsum zusammenhängt. Die Datenerhebung ist bereits angelaufen. Interessierte können unter www.fake-news-test.de teilnehmen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Cornelia Sindermann, Tel.: 0731/50-26558,
    cornelia.sindermann@uni-ulm.de

    Prof. Dr. Christian Montag. Tel.: 0731/50-26550,
    Christian.Montag@uni-ulm.de

    Wir bitten Medienvertreter/innen aufgrund der momentan besseren Erreichbarkeit darum, bevorzugt Frau Dr. Sindermann zu kontaktieren.


    Originalpublikation:

    Cornelia Sindermann, Jon D. Elhaib, Morten Moshagen, & Christian Montag:
    Age, gender, personality, ideological attitudes and individual differences in a person’s news spectrum: How many and who might be prone to “filter bubbles” and “echo chambers” online? Heliyon. https://doi.org/10.1016/j.heliyon.2020.e03214


    Bilder

    Dr. Cornelia Sindermann forscht in der Abteilung für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm
    Dr. Cornelia Sindermann forscht in der Abteilung für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm
    Foto: Eberhardt/ Uni Ulm
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    Prof. Christian Montag leitet als Heisenberg-Professor die Abteilung für Molekulare Psychologie
    Prof. Christian Montag leitet als Heisenberg-Professor die Abteilung für Molekulare Psychologie
    Foto: Eberhardt/ Uni Ulm
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Geschichte / Archäologie, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Pädagogik / Bildung, Politik, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Dr. Cornelia Sindermann forscht in der Abteilung für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm


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    Prof. Christian Montag leitet als Heisenberg-Professor die Abteilung für Molekulare Psychologie


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