Position zum wissenschaftlichen Umgang mit Büchern und Filmen von und über Peter Wohlleben
Anlässlich der Veröffentlichung des Filmes „Das Geheime Leben der Bäume“, der auf dem Sachbuch-Bestseller von Peter Wohlleben basiert, möchten die MitarbeiterInnen und die unterzeichnenden BeiratsmitgliederInnen der Naturwald Akademie sowie weitere unterzeichnende Wald-ExpertInnen darauf hinweisen, dass die Kritik an Peter Wohlleben und dem Film über sein Leben und sein Werk nicht nur weitestgehend ungerechtfertigt ist, sondern der Wissenschaft und dem Wald schadet.
1) Kritik mit falschen Maßstäben
Peter Wohllebens Buch beruht auf aktuellen Erkenntnissen der waldökologischen Forschung sowie auf eigenen Beobachtungen und ethischen Betrachtungen. Er versucht dabei, wissenschaftliche Ergebnisse für jedermann verständlich zu übersetzen. Weder hatte er das Ziel, ein wissenschaftliches Buch, noch eine wissenschaftliche Film-Dokumentation zu veröffentlichen. Wohlleben und die AutorInnen des Films bedienen sich eines subjektiven und bewusst emotionalen Erzählstils zur Vermittlung von Inhalten, sie verwenden Bilder und Metaphern – was die Mehrzahl des Publikums zu deuten wissen dürfte.
2) Kritik an Forstwirtschaft ist berechtigt
Peter Wohlleben ist mit seiner Kritik an bestimmten forstwirtschaftlichen Praktiken nicht allein. Naturschutzverbände, zahlreiche Bürgerinitiativen, PolitikerInnen verschiedener Parteien und viele WissenschaftlerInnen sehen den Umgang mit dem Wald äußerst kritisch. Brennende Kiefernmonokulturen und hunderttausende absterbende Fichten in den letzten zwei Jahren belegen die Anfälligkeit vieler forstlicher Systeme, die in Zeiten von klimawandelbedingten Wetterextremen an ihre Grenzen stoßen.
Der Wald in Deutschland wäre von Natur aus ein gänzlich anderer, als wir ihn heute erleben. Er würde primär aus vielfältigen Laubmischwäldern mit hohen Totholzvorräten, einem intensiven Wechsel aus dichten und lichten Strukturen und regelmäßig sehr alten Bäumen bestehen. Doch derzeit ist knapp die Hälfte der Waldfläche mit gleichaltrigen Kiefern und Fichten bewachsen. Rund 90 % der Waldflächen in Deutschland befinden sich in einem schlechten bis sehr schlechten ökologischen Zustand (1) . Die Eichenwälder des norddeutschen Flachlandes sind sogar vom Aussterben bedroht. Dies zu beklagen, entspricht nicht romantischer Träumerei. Vielmehr sind mit den naturnahen Wald-Ökosystemen auch wichtige ökologische Funktionen sowie die Anpassungsfähigkeit der Wälder in erheblichem Maße verlorengegangen. Die vom Klimawandel beförderten und von der forstlichen Nutzung mit verursachten Schäden in den Forsten Deutschlands sind nicht zuletzt auch ein erhebliches ökonomisches Problem.
3) Etablierte WissenschaftlerInnen sollten sich nicht vor neuen Methoden und Erkenntnissen verschließen
Viele der beschriebenen Phänomene in Peter Wohllebens Buch und seinem Film sind durch wissenschaftliche Fachpublikationen untermauert. Entsprechend verwundert die anhaltende starke Kritik seitens einiger ForstwissenschaftlerInnen und forstlich geprägter Publizisten (z.B. Süddeutsche Zeitung vom 22.1.2020: „Im Märchenwald“). Tatsächlich ignorieren die KritikerInnen aktuelle Forschungsbereiche und deren Ergebnisse. Sie agieren damit in bedenklichem Maße unwissenschaftlich und schaden damit dem Ansehen der modernen Wissenschaft. Zur Kommunikation und Kooperation von Bäumen untereinander sowie auch mit anderen Organismen wie etwa Pilzen und Bakterien liegen längst verblüffende Erkenntnisse vor. Die Forschung zu Sinnesleistungen und Intelligenz von Pflanzen hat in den letzten fünf Jahren erheblich an Fahrt aufgenommen und wird von etlichen Forschungsgruppen weltweit vorangetrieben. Die jüngsten Hypothesen und Ergebnisse, veröffentlicht in internationalen Fachzeitschriften und somit durch anonyme Qualitätsgutachten geprüft, übertreffen längst die von Peter Wohlleben vor ca. fünf Jahren in seinem Buch aufgegriffenen Arbeiten. Eine umfangreiche Auswahl jüngerer wissenschaftlicher Arbeiten zu diesen Themen sind beigefügt und unter: https://naturwald-akademie.org/wp-content/uploads/2020/01/Literatur-zur-Pflanzen... abrufbar.
Wissenschaft hat die Aufgabe, neugierig zu bleiben und sich weiterzuentwickeln. Niemals darf moderne Wissenschaft ohne plausible Argumente neuartige Befunde oder Hypothesen einfach zurückweisen. Allenfalls können unsaubere Methoden und voreilige Interpretationen kritisiert oder Hypothesen durch neue Ergebnisse widerlegt werden. Ein Kernbefund dürfte aber vermutlich von Bestand sein: Pflanzen und von Pflanzen beeinflusste Netzwerke in den Ökosystemen sind komplexer und bringen erstaunlichere Leistungen hervor, als die Wissenschaft es bis vor kurzem annahm. Peter Wohllebens Verdienst ist es, einem breiten Publikum hierfür die Augen geöffnet zu haben und zum Nachdenken anzuregen, welche Konsequenzen ein neues ‚Pflanzenbild‘ für den Umgang mit dem Wald haben sollte.
4) Eine offene gesellschaftliche Diskussion zum Wald muss möglich sein
Man kann über den Film und dessen Aussagen oder die eingesetzten Stilmittel unterschiedlicher Ansicht sein, aber zweifellos ist es durch Peter Wohlleben und sein Buch „Das geheime Leben der Bäume“ erst möglich geworden, die Forstwissenschaften aus ihrer gesellschaftlichen Nische zu befreien und Wald zu einem Thema zu machen, das Millionen Menschen begeistert. Ohne Impulsgeber wie die Bücher von Peter Wohlleben und seinen neuen Film würde es in Deutschland vermutlich eine viel schwächere gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft unserer Wälder geben – die immerhin zur Hälfte in öffentlicher Hand sind und per Gesetz nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Natur und dem Wohl der Bevölkerung dienen sollen.
UnterzeichnerInnen
Jana Ballenthien, Waldreferentin bei Robin Wood e.V.
Claudia Blank, Susanne Ecker, Dr. Petra Ludwig Sidow und Silvia Roelcke, Kernteam der BBIWS (BundesBürgerInitiative Waldschutz)
Wilhelm Bode, Leit. Min. Rat a.D. und ehemals Leiter der Saarländischen Forst- und Naturschutzverwaltung
Dr. Lutz Fähser – Leitender Forstdirektor a.D des Stadtwald Lübeck
Prof. Dr. Pierre Ibisch – Prof. für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, Co-Direktor und Mitbegründer des Centre for Econics and Ecosystem Management
Martin Kaiser, Geschäftsführer Deutschland, Greenpeace e.V.
Rainer Kant - Dipl.-Forstwirt und Waldexperte bei B.A.U.M. e.V.
Prof. Dr. Hans D. Knapp – Stellv. Vorsitzender Michael Succow Stiftung, ehemaliger Leiter der Internationalen Naturschutzakademie „Insel Vilm“, Honorarprofessor der Universität Greifswald
Martin Levin, ehemaliger Betriebsleiter Stadtwald Göttingen
László Maráz, Koordination Dialogplattform Wald, Forum Umwelt und Entwicklung
Yvonne Bohr, Loretta Leinen, Pamela Scholz, Dr. Torsten Welle, Naturwald Akademie Berlin/Lübeck
Norbert Panek, Agenda zum Schutz deutscher Buchenwälder
Stefan Schwill, Vorsitzender des NABU Mecklenburg-Vorpommern
Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Umweltstiftung
Knut Sturm, Bereichsleiter Lübecker Stadtwald und Beiratsvorsitzender der Naturwald Akademie
Dr. Christoph Thies – Waldexperte bei Greenpeace e.V. (Wald, Biodiversität, Klima, Globale Landnutzung)
Fußnote: (1)Welle T, Sturm K, Bohr Y. 2018. Alternativer Waldzustandsbericht: eine Waldökosystemtypen-basierte Analyse des Waldzustandes in Deutschland anhand naturschutzfachlicher Kriterien. Heruntergeladen am 28.01.2020 von https://naturwald-akademie.org/wp-content/uploads/2018/04/Alternativer-Waldzusta...
https://naturwald-akademie.org/wp-content/uploads/2020/01/Literatur-zur-Pflanzen... Auswahl anonym begutachteter wissenschaftlicher Publikationen aus internationalen Fachzeitschriften zu den Themen Sinnesleistungen, Kognition bzw. Informationsverarbeitung sowie Intelligenz von Pflanzen
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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