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06.04.2020 08:55

Experten-Interview mit Psychologie-Professorin und mit Professor für Sozialwissenschaft zur Corona-Krise

Andre Hellweg Pressestelle
SRH Hochschule Hamm

    Die Corona-Krise hat die Welt verändert und man muss konstatieren, dass es für diese Situation keine einfache und schnelle Lösung geben wird, jedoch zum Teil massive Auswirkungen auf jeden einzelnen von uns hat. Einige Menschen leiden mehr, andere weniger, einige kommen gut mit der veränderten Situation zu Recht, andere hadern stark mit dem Schicksal. Der Dekan des Fachbereichs Sozialwissenschaft Prof. Dr. Johannes Emmerich und die Studiengangleiterin für Psychologie Prof. Dr. Sabrina Krauss lehren und forschen an der SRH Hochschule Hamm und standen uns für ein Interview zur Corona-Krise zur Verfügung.

    Prof. Krauss, Ausgangssperren, Kontaktverbote und soziale Isolation widersprechen dem Wesen des Menschen. Welche Auswirkungen hat die soziale Isolation auf jeden Einzelnen?

    Das ist schwer zu sagen, einfache „wenn-dann-Zusammenhänge“ gibt es in der Psychologie nicht. Der Wunsch nach Voraussagen und Prognosen ist dieser Tage noch größer als sonst, dennoch ist das Verhalten und auch das Erleben eines einzelnen Menschen immer gebunden an ein komplexes Zusammenspiel von eigner Persönlichkeit, Lebensgeschichte und aktueller Situation. Wenn Menschen zur Mittagszeit zum Beispiel in die Küche oder Kantine gehen, werden die meisten von ihnen dies wohl tun, um etwas zu essen. Es kann aber auch Personen geben, die lediglich etwas trinken oder jemanden suchen, etc. Die Psychologie lässt immer nur Prognosen für die Mehrheit zu – bei dem Versuch etwas für einen einzelnen Menschen voraus zusagen, bedarf es viel mehr Informationen und die Prognose ist immer sehr fehleranfällig. Die meisten Menschen werden durch die Isolation wahrscheinlich nur ein leichtes Unwohlsein oder genervt-sein erfahren. Aber selbst das hängt davon ab, wie sie gerade leben, in welcher Verfassung sie sich befinden.

    Wie kann man die soziale Isolation erträglicher machen, welche Strategien gibt es?

    Hier sollte man nicht nur – wenn auch gerade beliebt auf digitales zurückgreifen. Die Digitalisierung macht die jetzige Situation sicherlich an vielen Stellen besser, die Nutzung technischer Hilfsmittel ist allerdings kein Allheilmittel. Menschen sind soziale Wesen, denen Beschäftigung und Gespräche mit anderen gut tun. Sofern man in einer Familie oder WG lebt, könnte man zum Beispiel Gespräche zu vorher festgelegten Themen führen. Die Themen können frei gewählt werden: Tolle Erlebnisse aus dem letzten Jahr, eigene Ziele und Wünsche, etc. Aber auch kreative und handwerkliche Tätigkeiten wirken sich positiv auf die Psyche aus. Warum nicht einmal wieder etwas malen? Ein Gedicht schreiben oder die Nähmaschine aus dem Keller holen?

    Kann man aus dieser Situation irgendwelche positiven Rückschlüsse für die Psyche ziehen?

    Grundsätzlich ist das möglich, wichtig ist, sich nicht nur auf die Sorgen und Ängste zu fokussieren, sondern die gewonnene Zeit zu nutzen, um (wie oben benannt) handwerklich und oder kreativ tätig zu werden und sich auf die Ressourcen zu besinnen. Es liegt in der menschlichen Natur zuerst die Defizite und Mangelzustände zu sehen. In einer Krise wie der jetzigen natürlich besonders. Man könnte den Kreislauf aus Sorgen und Grübeln gezielt und willentlich unterbrechen, in dem man sich jeden Tag aufschreibt, was momentan gut ist – zum Beispiel: ich bin gesund, meine Familie ist bei mir, ich bekomme so viele Nachrichten von Menschen, die mich mögen, etc..

    Welche Auswirkungen haben Kontaktverbote und Soziale Distanz auf Menschen mit Angststörungen oder Depressionen?

    Auch hier ist eine Generalaussage schwierig. Nicht jede Angststörung gleicht der anderen und auch das depressive Spektrum hat viel Varianz in der Symptomatik. Günstig ist sicherlich: in Kontakt bleiben. Mit Ärzten, Beratern und – sofern möglich – mit der Familie.

    Prof. Emmerich, schwelende soziale Konflikte brechen aus, Kinder verlieren das Gefühl für Gleichaltrige und weitere Auswirkungen im sozialen, zwischenmenschlichen Bereich werden offensichtlich. Sehen sie ein Zusammenrücken der Gesellschaft durch die Corona-Ereignisse oder in dieser bedrohlichen Situation eher den Hang zum Egoismus?

    Dem Anschein nach scheint die Gesellschaft trotz Hamsterkäufen und Corona-Partys augenblicklich eher zusammenzurücken. Dafür spricht die hohe Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement und zur Nachbarschaftshilfe. Dieses Szenario ist für Krisenzeiten auch durchaus typisch. Der Grad der Solidarität hängt aber sicherlich vom Verlauf der Krise ab. Verschärft sich die Krise, werden viele Menschen vermutlich wieder vermehrt den Blick auf das eigene Wohl richten.

    Glauben sie, dass die soziale Ungleichheit auch zu einer potentiell tödlichen Ungleichheit werden kann

    Nicht nur die Infektionswahrscheinlichkeit, sondern auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind ungleich verteilt. Putzdienste, Müllabfuhr, Supermarkt – hier ist die Ansteckungsgefahr größer und die Bezahlung vergleichsweise gering. Auch der Unterrichtsausfall trifft Familien je nach beruflicher Stellung unterschiedlich. Alleinerziehende und Familien, in denen beide Elternteile arbeiten müssen, können die gerade jetzt wichtige Begleitung der Kinder bei den Schularbeiten nur schwer gewährleisten.

    Welche Auswirkungen sind in Flüchtlingsheimen und bei Obdachlosen zu befürchten?

    Für Obdachlose sind die Folgen der Krise dramatisch. In den oft sehr engen Obdachlosenunterkünften herrscht hohe Ansteckungsgefahr, sodass einige Einrichtungen bereits geschlossen wurden. Als Ausweichmöglichkeit bleibt aber nur die Straße. In Flüchtlingsunterkünften erschweren räumliche Enge und teilweise auch Sprachbarrieren die Prävention. Zudem wirken Abgeschiedenheit, fehlende Freizeitaktivitäten und Zukunftssorgen gewaltfördernd, aber keineswegs nur in Flüchtlingsheimen. Viele Fachkräfte der Sozialen Arbeit befürchten eine Zunahme der häuslichen Gewalt im Zuge der Corona-Krise.

    Vielen Dank für das Interview.

    Zur Person Prof. Dr. Sabrina Krauss:
    Prof. Krauss ist Professorin für Psychologie und Studiengangleiterin für die Studiengänge „Arbeits- und Organisationspsychologie“ und „Psychologie“ an der SRH Hochschule Hamm. Sie ist seit mehr als 10 Jahren psychologische Beraterin unterschiedlicher Wirtschaftsunternehmen, insbesondere zu den Themen Digitalisierung und Change Management.

    Zur Person Prof. Dr. Johannes Emmerich:
    Prof. Emmerich ist studierter Sozialpädagoge und promovierter Soziologe und seit mehr als 10 Jahren in der Lehre und Forschung im Hochschulwesen tätig. Er ist u.a. Mitglied der Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit e.V. und seit 2017 ist er Dekan des Fachbereichs „Sozialwissenschaft“ an der SRH Hochschule Hamm.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Psychologie, Wirtschaft
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Studium und Lehre
    Deutsch


     

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