Die juristische Klärung des Abgasskandals steuert auf neue, entscheidende Schritte zu: Bis 20. April 2020 müssen sich Käufer betroffener Autos, die sich der Klage der Verbraucherzentralen angeschlossen haben, entscheiden, ob sie das daraus resultierende Vergleichsangebot annehmen oder noch individuell Klage erheben. Im Mai wird der Bundesgerichtshof die ersten Einzelverfahren behandeln. Prof. Dr. Renate Schaub, Spezialistin unter anderem für Haftungsrecht an der Ruhr-Universität Bochum (RUB), lotet in einem Aufsatz Möglichkeiten und Grenzen des maßgeblichen Paragrafen 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – vorsätzliche sittenwidrige Schädigung – aus
und zeigt Lösungen für offen gebliebene und umstrittene Fragen auf. Ihre Arbeit ist am 2. April 2020 in der Neuen Juristischen Wochenschrift erschienen.
Immer mehr Käufer fordern Schadensersatz
Im Herbst 2015 wurde bekannt, dass Volkswagen (VW) in die Motorsteuerung seiner Dieselfahrzeuge eine Abschalteinrichtung einbaute, die sich als illegal erwies. Sie sorgte dafür, dass bestimmte Abgasnormen nur in einem speziellen Prüfstandmodus erreicht wurden, nicht aber im Normalbetrieb. Die entsprechende Software kam weltweit bei etwa elf Millionen Fahrzeugen zum Einsatz. Volkswagen hatte zuvor die betroffenen Autos als besonders saubere „Clean-Diesel“ beworben.
Der Abgasskandal zieht inzwischen Kreise weit über die ursprünglichen VW-Fälle hinaus: Immer mehr Käufer von Fahrzeugen mit Abschaltvorrichtungen verlangen vom Kraftfahrzeughersteller Schadensersatz oder die Rückabwicklung ihres ursprünglichen Vertrags. Dabei stellen sich eine Reihe von Rechts-, aber auch Beweisfragen.
Knifflige Fragen
Kann beispielsweise der Nutzen, den ein Fahrzeugeigentümer seit dem Kauf des Autos davon hatte, bei der Bemessung des Schadensersatzes geltend gemacht werden? Welche Folgen hat es für die Ansprüche des Kunden, wenn er ein Softwareupdate nicht hat aufspielen lassen, das die ungesetzliche Funktion der Motorsteuerung behebt? Was, wenn das Auto erst gekauft wurde, nachdem der Abgasskandal öffentlich geworden war? Ist es zumutbar, dass sich Autokäuferinnen und -käufer selbst Informationen beschaffen müssen, bevor sie ein Auto kaufen? Ab wann läuft die Verjährungsfrist von drei Jahren?
Flexibel genug für differenzierende Lösungen
„Eine der zentralen Anspruchsgrundlagen in den Verfahren gegen VW und weitere Fahrzeughersteller ist der Paragraf 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sittenwidrige vorsätzliche Schädigung“, erklärt Renate Schaub. Nach ihrer Analyse stellt sie fest: „Die gesetzliche Regelung gibt für viele zentrale Fragen keine eindeutige Entscheidung vor. Auch in künftigen Verfahren werden noch zahlreiche Beweis- und Wertungsfragen zu klären sein, zum Beispiel wer innerhalb des jeweiligen Konzerns die Verantwortung für den Einbau der Abschaltsoftware trägt oder wann eine Abschaltvorrichtung unzulässig ist.“
Eine schematische Lösung für alle Fälle sieht sie daher nicht: Die Bandbreite der einzelnen Fälle ist zu groß. „Die Leistungsfähigkeit eines Regelungssystems erweist sich aber gerade darin, dass es differenzierende Lösungen ermöglicht“, so Schaub. „Es ermöglicht in Fällen, in denen sich nicht alle Fakten aufklären lassen, auch vermittelnde Lösungen, die den Interessen beider Seiten Rechnung tragen.“
So geht es mit den Gerichtsverfahren weiter
In den VW-Fällen wurde im Musterfeststellungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig zwischen dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände und VW ein Vergleich geschlossen. Die Verbraucher, die sich diesem Verfahren angeschlossen hatten, müssen sich bis zum 20. April 2020 entscheiden, ob sie das Vergleichsangebot annehmen oder noch individuell Klage erheben.
Daneben laufen zahlreiche einzelne Verfahren, in denen VW-Kunden den Autohersteller verklagt haben. Nach einer mittlerweile dreistelligen Zahl von Entscheidungen deutscher Oberlandesgerichte, die von der vollständigen Klageabweisung bis zum Ermöglichen einer vollständigen Rückabwicklung des Kaufvertrags reichten, wird demnächst der Bundesgerichtshof über einige dieser Fälle entscheiden. Bisher sind Verhandlungstermine angesetzt für den 5. Mai 2020, den 21. und den 28. Juli 2020. Voraussichtlich werden weitere folgen, wenn in den ersten Verfahren nicht alle Rechtsfragen geklärt werden.
Originalveröffentlichung
Renate Schaub: Die Abgasproblematik – Möglichkeiten und Grenzen von § 826 BGB, in: Neue Juristische Wochenschrift, 2020, online abrufbar, https://zrsweb.zrs.rub.de/lehrstuhl/schaub/2020/04/02/neuer-beitrag-von-prof-dr-...
Pressekontakt
Prof. Dr. Renate Schaub
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Handels- und Wirtschaftsrecht
Juristische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 28842
E-Mail: ipr@rub.de
Prof. Dr. Renate Schaub
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Handels- und Wirtschaftsrecht
Juristische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 28842
E-Mail: ipr@rub.de
Renate Schaub: Die Abgasproblematik – Möglichkeiten und Grenzen von § 826 BGB, in: Neue Juristische Wochenschrift, 2020, online abrufbar, https://zrsweb.zrs.rub.de/lehrstuhl/schaub/2020/04/02/neuer-beitrag-von-prof-dr-...
Renate Schaub
RUB, Marquard. Das Foto darf nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Presseinformation "Entscheidungshilfen im Dieselskandal" vom 7.4.2020 verwendet werden.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Recht, Verkehr / Transport, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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