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07.04.2020 13:38

Wie wirkt sich die Corona-Epidemie auf lokale Lieferketten aus? Ist eine Rückverlagerung der Produktion zu erwarten?

Holger Gust M. A. Pressestelle
Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft

    Online-Umfrage der Hochschule Karlsruhe bei 655 produzierenden Unternehmen aus 16 führenden Industrienationen

    Die weltweite Corona-Epidemie hat auch ungeahnte Auswirkungen auf die globale Wirtschaft. Führende Ökonomen sind sich in der Einschätzung der Auswirkungen auf die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sehr unsicher. Ihre Prognosen für Deutschland reichen beispielsweise, abhängig von der Länge des „Lockdown“ und der Geschwindigkeit der Wiederaufnahme der Wirtschaftstätigkeit, für das Jahr 2020 von minus 2,8 % im Basisszenario des Sachverständigenrats bis zu minus 20 % im Worst-Case-Szenario des Ifo-Instituts. Diese riesigen Unterschiede in den Szenarien zeigen das große Maß der Unsicherheit.

    Auch der Einfluss der umfassenden Störungen globaler Lieferketten auf transnationale Geschäftstätigkeiten ist hochgradig ungewiss. Eine Einschätzung der Auswirkung der Lieferkettenprobleme auf lokale und globale Produktionsstrategien lässt eine im September und Oktober 2019 durchgeführte Online-Umfrage der Hochschule Karlsruhe bei 655 produzierenden Unternehmen aus 16 führenden Industrienationen (Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Indien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Polen, Russland, Schweden, Spanien, Südkorea, USA und Vereintes Königreich) zu.

    „Demnach wirken sich die Störungen globaler Lieferketten insbesondere auf die Neigung der Unternehmen aus, Produktion aus dem Ausland zurück an den heimischen Standort zu verlagern“, so der Leiter der Studie, Dr. Steffen Kinkel, Professor an der Fakultät für Informatik und Wirtschaftsinformatik der Hochschule Karlsruhe und Leiter des Instituts für Lernen und Innovation in Netzwerken (ILIN). „Von den befragten Unternehmen, die einen ziemlich hohen bis sehr hohen Einfluss der Störungen globaler Lieferketten auf ihre Geschäftstätigkeit erwarten, gehen fast 50 % davon aus, dass sie in den kommenden Jahren Teile ihrer Produktion aus dem Ausland wieder ins Inland zurückverlagern werden. Bei Unternehmen, die einen geringen bis mittelmäßigen Einfluss der Störungen globaler Lieferketten auf ihre Geschäftstätigkeit erwarten, sind dies nur etwa 15 %. Demnach ist infolge der Corona-Epidemie, die umfassende Störungen der globalen Lieferbeziehungen mit sich bringt, mit einer Zunahme der Rückverlagerungstätigkeiten zu rechnen.“

    Diese Ergebnisse haben auch in einem statistischen Modell unter Kontrolle vielfältiger Merkmale und Strategien der teilnehmenden Unternehmen sowie deren Erwartungen zu externen Entwicklungen bestand. Industrieunternehmen, die den Einfluss der Störungen globaler Lieferketten auf ihre Geschäftstätigkeit als ziemlich hoch bis sehr hoch einschätzen, zeigen eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, Produktion aus dem Ausland zurückzuholen.

    Aktuelle Meldungen zu möglichen Rückverlagerungen betreffen insbesondere die Herstellung medizinischer Produkte, Medikamente und ihrer Wirkstoffe. So kündigte kürzlich die US-Regierung an, die Herstellung wichtiger medizinischer Produkte wieder verstärkt zurück in die Vereinigten Staaten zu verlagern, um weniger von Lieferungen aus dem Ausland abhängig zu sein. Angesichts verwundbarer Lieferketten fordert nicht nur die deutsche Politik, die Produktion von Wirkstoffen und Medikamenten zumindest teilweise wieder zurück nach Deutschland oder Europa zu holen. Dadurch soll die starke Abhängigkeit von Lieferanten aus China und Indien reduziert werden, was aber zu steigenden Preisen der Medikamente führen kann. Auch die Modellrechnungen der Hochschule Karlsruhe zeigen, dass insbesondere Sektoren der Grundversorgung wie die Hersteller von Nahrungsmitteln, Bekleidung, Chemie und Pharmazie zukünftig verstärkt Rückverlagerungen in Erwägung ziehen.

    Indes zeigt sich kein signifikanter Einfluss der Störungen globaler Lieferketten auf die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagern. Vermehrte Auslandsverlagerungen infolge der Corona-Krise sind daher unwahrscheinlich. Bei der Frage nach den Strategien zum Ausbau lokaler oder globaler Lieferketten infolge der wahrgenommenen Störungen sind die Ergebnisse differenzierter. „Wird ein sehr hoher Einfluss der Lieferkettenstörungen auf die Geschäftstätigkeit erwartet, dann wirkt sich dies sowohl signifikant positiv auf den weiteren Ausbau lokaler Lieferketten als auch globaler Lieferketten aus“, so Prof. Dr. Steffen Kinkel. „Die Unternehmen scheinen dann eine Dual-Sourcing-Strategie mit sowohl inländischen als auch transnationalen Lieferantenbeziehungen anzustreben, um sich von den globalen Verwerfungen der Lieferketten unabhängiger zu machen.“

    Insgesamt lassen die Modellrechnungen der Hochschule Karlsruhe den Schluss zu, dass die im Zuge der Corona-Krise zunehmenden Verwerfungen der globalen Lieferketten in absehbarer Zeit zu verstärkter Rückverlagerung von Produktionsaktivitäten aus dem Ausland sowie zum parallelen Ausbau lokaler und globaler Lieferketten beitragen dürften. Damit reagieren die Unternehmen auf die zunehmende Unsicherheit in der grenzüberschreitenden Belieferung, um ihre Produktion nach Wiedererstarkung der Wirtschaftstätigkeiten im Inland zügig wieder anfahren zu können.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Steffen Kinkel
    Leiter ILIN Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken (www.ilin.eu)
    Fakultät für Informatik und Wirtschaftsinformatik
    Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft
    Moltkestr. 30, 76133 Karlsruhe
    Tel.: 0721 925-2915, Fax: -2965
    steffen.kinkel@hs-karlsruhe.de


    Bilder

    Prof. Dr. Steffen Kinkel (re.) diskutiert mit Studierenden Untersuchungsergebnisse
    Prof. Dr. Steffen Kinkel (re.) diskutiert mit Studierenden Untersuchungsergebnisse
    Foto: Tobias Schwerdt
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wirtschaftsvertreter, jedermann
    Informationstechnik, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Prof. Dr. Steffen Kinkel (re.) diskutiert mit Studierenden Untersuchungsergebnisse


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