Start-ups in Existenznot und Messe Gamescom rein digital: Prof. Dr. Lutz Anderie von der Frankfurt UAS verweist auf Chancen und Herausforderungen für die Spieleindustrie
Im Zuge der Corona-Pandemie lockert die Politik schrittweise die Einschränkungen für die Wirtschaft, und es zeichnet sich ab, wer als Gewinner oder Verlierer aus dieser Krise hervorgeht. Die Computer- und Videospielindustrie, die vermeintlich zu den Profiteuren zählt, zeigt bei differenzierter Betrachtung ein sehr gemischtes Bild. Spieleentwickler Start-ups müssen um ihre Existenz bangen, Messen werden abgesagt oder finden nur digital statt. Der Deutsche Computerspielpreis, wichtigste Auszeichnung für Games in Deutschland, wird am 27. April 2020 ausschließlich im Livestream verliehen. Prof. Dr. Lutz Anderie, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) und Branchenkenner, erläutert in seinem Statement die Herausforderungen und Chancen der Corona-Pandemie für die Gamesindustrie.
„Zu den Verlierern durch Covid-19 zählen sicherlich die zahlreichen Start-ups, die vor Finanzierungsproblemen stehen, denn Löhne und Gehälter müssen gezahlt werden“, so Anderie. In Deutschland bestehe die Computer- und Videospielbranche vor allem aus kleinen und mittelgroßen Unternehmen; ihre Zahl stieg von 524 Unternehmen in 2018 auf 614 im Folgejahr. Zu diesem starken Anstieg haben laut dem Jahresreport der deutschen Games-Branche 2019 vor allem Neugründungen kleiner Spiele-Entwickler beigetragen, die in der Regel weniger als fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen. „Wer jetzt kein erfolgreiches Game im Markt hat, das Cashflow generiert, hat ein Problem. Da hilft auch kein Home-Office, das für die Branche relativ einfach zu bewältigen ist – ohnehin sind hier alle Beschäftigten technikaffin und digitalisiert. Aber Investoren-Gespräche gestalten sich durch das Herunterfahren der Wirtschaft als schwierig.“ Auswirkungen haben auch die Absagen von Messen wie der Gamesweekberlin oder den German Dev Days in Frankfurt, die üblicherweise als Kontaktbörse genutzt werden, um Finanzierungspartner für künftige Projekte zu finden.
„Durch die Beschränkungen von Großveranstaltungen wird auch die Gamescom in Köln, das weltweit größte Event für Computer- und Videospiele mit Publikumsverkehr, im August nur digital stattfinden“, so Anderie. „Die Ticketeinnahmen von über 370.000 erwarteten Besucherinnen und Besuchern, die Standgebühren der über 1.100 Aussteller und die Hotelbuchungen fallen weg. Der Schaden ist signifikant und kann durch die Digitalisierung nur anteilig kompensiert werden“, sagt der Betriebswirt. Zuvor wurden schon weitere internationale Veranstaltungen der Gamesbranche wie die Game Developers Conference (GDC) in San Francisco und die Electronic Entertainment Expo (E3) in Los Angeles von den Veranstaltern abgesagt. Doch Anderie sieht auch Chancen: „Der wirtschaftliche Schaden mag schwerwiegend sein, dass die Gamescom jedoch nicht abgesagt wurde, zeigt einmal mehr die Innnovationskraft der Branche. Computerspiele sind ein voll digitalisiertes Produkt, da bietet es sich an, auch die Zielgruppe mit einem digitalisierten Messeformat anzusprechen. Schlussendlich werden die Gamer über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.“
Noch nicht abzusehen ist laut Anderie die Situation der großen Hardware-, Konsolen- und Peripherie- Hersteller, die in Asien produzieren. Sowohl Sony (PlayStation 5) als auch Microsoft (Xbox Series X) haben die Markteinführung einer neue Konsolen-Generationen angekündigt, Nischenanbieter Intellivision (Amico) plant den Rollout seiner Konsole für Herbst 2020. „Ob die Konsolen-Hardware und die dazugehörigen Peripherie-Geräte rechtzeitig zur Markteinführung in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, ist auch abhängig von komplexen länderübergreifenden Lieferketten für Halbfertigfabrikate und Bauteile“, gibt Anderie zu bedenken.
Zu den Krisen-Gewinnern der Gamesbranche gehören laut Anderie die großen Softwareentwickler und Publisher, also jene Unternehmen, die Games entwickeln und vermarkten. „Durch die Kontaktverbote haben die Menschen viel Zeit und einen erhöhten Bedarf an Computerspielen. Das macht sich an Kenngrößen wie Downloads, DAU und MAU (Daily bzw. Monthly Active User), Absatz- und Umsatzzahlen bemerkbar“, sagt Anderie. „Die marktführende Internet-Vertriebsplattform für elektronische Spiele Steam verzeichnete durch Covid-19 ein Allzeithoch mit über 20 Millionen Menschen, die zeitgleich spielen. Weiterhin verbuchten die Spiele-Apps außergewöhnlich hohe Downloadzuwächse“, sagt Anderie. „Ob es in Deutschland zu einem Anstieg an Spiele-Downloads um 80 Prozent wie in China kommt, bleibt abzuwarten. Der Trend zeigt jedoch eindeutig nach oben, im ersten Quartal 2020 stieg bei uns die Zahl der Spiele-Downloads um 10 Prozent. Die Menschen verbringen deutlich mehr Zeit am Smartphone, die durchschnittliche Nutzungsdauer ist in Deutschland allein im März 2020 seit dem vierten Quartal 2019 um 10 Prozent gestiegen, in Italien im Vergleichszeitraum sogar um 30 Prozent; das belegen die Statistiken des Mobile-Analytics-Dienstleisters App Annie. Auch Nischenanbieter, wie die sogenannten ‚Key-Reseller‘, die im Graumarkt Computerspiele anbieten, verbuchen Umsatzzuwächse von 40 Prozent“, berichtet Anderie.
Insgesamt zeichnet der Wissenschaftler ein positives Bild für die wirtschaftliche Zukunft: „Die User werden vermehrt Games spielen, bei einem Kontaktverbot auch problemlos online mit anderen. Durch innovative Produkte und Vermarktungsmodelle wird die Gamesbranche gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen – unabhängig davon, wie lange diese anhält.“
Zur Person Anderie:
Prof. Dr. Lutz Anderie ist Professor für Wirtschaftsinformatik und BWL an der Frankfurt University of Applied Sciences und vertritt dort insbesondere den Bereich E-Commerce. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören u. a. Games sowie die digitale Transformation. Er ist Autor von drei Fachbüchern, zahlreichen wissenschaftlichen Schriften und regelmäßig als Referent auf internationalen Fachkonferenzen, in Hochschulen und in der Praxis tätig.
Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 3: Wirtschaft und Recht, Prof. Dr. Lutz Anderie, Telefon: +49 69 1533-2939, Mobil: +49 173-6585491, E-Mail: l.anderie@fb3.fra-uas.de
http://www.frankfurt-university.de/fb3 (Informationen zum Fachbereich Wirtschaft und Recht)
Prof. Dr. Lutz Anderie, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Frankfurt UAS.
Foto: © Anderie
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Forschungs- / Wissenstransfer
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