Biologin und Biologe der Universität Tübingen entwickeln und testen erfolgreich ein neues Modell zur Auswirkung von Stress auf Populationen
Je dichter Gewächse stehen, desto geringer sind die Chancen der einzelnen Pflanze auf gutes Gedeihen – so lautet eine allgemeine Erkenntnis in der Ökologie. Nun haben Dr. Ruichang Zhang und Professorin Katja Tielbörger vom Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen die Allgemeingültigkeit dieses Zusammenhangs in Frage gestellt. Sie haben ein neues theoretisches Modell entwickelt, in dem sich Pflanzen an einem Standort in Stresssituationen gegenseitig auch positiv beeinflussen können. Die Vorhersagen, die sich aus ihrem mathematischen Modell ergeben, fanden sie in Experimenten mit Pflanzen bis ins Detail bestätigt. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Konkurrenz führt bei allen Lebewesen dazu, dass für jeden Einzelnen weniger Ressourcen zur Verfügung stehen. „Wenn die Drängelei zu groß wird, können einzelne Pflanzen sogar sterben“, sagt Katja Tielbörger. Es gebe jedoch viele empirische Arbeiten, die zeigten, dass sich Pflanzen untereinander auch helfen können. Dies sei besonders häufig der Fall, wenn Pflanzen unter stressreichen Bedingungen wachsen, etwa wenn der Boden sehr salzig oder die Temperaturen sehr hoch sind. „Bei großer Hitze können zum Beispiel große Pflanzen den kleineren Schatten spenden, die dann besser wachsen können“, sagt die Forscherin. Es sei bereits früher gefolgert worden, dass solche Beziehungen unter bestimmten Bedingungen in Konkurrenz umschlagen können.
Experimente mit der Ackerschmalwand
Das Tübinger Team aus der Ökologie hat die Faktoren Dichte und Stress in einem neuen mathematischen Modell kombiniert. „Daraus ergab sich, dass es unter intensivem Stress vorteilhaft sein kann, viele Nachbarn zu haben. Erst bei sehr hoher Dichte tritt Konkurrenz auf“, fasst Tielbörger die Ergebnisse zusammen. Aus dem Blickwinkel einer Einzelpflanze verlaufe die Beziehung zwischen Dichte und Gedeihen wie eine Optimumskurve. Ihre Ergebnisse überprüften die Forscherin und der Forscher in Experimenten mit der Ackerschmalwand, einer in der molekularbiologischen Forschung häufig verwendeten Pflanze. „Wir konnten alle Vorhersagen unseres Modells im Experiment bestätigen“, sagt Tielbörger. Die Pflanzen litten deutlich weniger unter künstlich herbeigeführtem Salzstress, wenn sie viele Nachbarn hatten. Wenn die Pflanzen nicht unter solchem Stress standen, erschienen jedoch die Nachbarn als Konkurrenten, die sie be-einträchtigten.
Wegen der Komplexität von ökologischen Systemen seien Modelle in der Forschung eine beliebte Methode, um die Natur besser zu verstehen. „Unser eigentlich recht einfaches Modell hat sich als robust und allgemeingültig erwiesen. Eine solch genaue Übereinstimmung zwischen Theorie und Wirklichkeit sind in der ökologischen Forschung schwer zu erreichen“, sagt sie. Das Modell könne helfen, die Reaktion von Pflanzen auf Stress besser vorherzusagen – auch auf steigende Tempera-turen oder Dürren, wie sie durch die fortschreitende Klimaerwärmung zu erwarten sind.
Prof. Dr. Katja Tielbörger
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Institut für Evolution und Ökologie
Fachbereich Biologie, Vegetationsökologie
Telefon +49 7071 29-74246
katja.tielboerger[at]uni-tuebingen.de
Zhang, R. & Tielbörger, K. 2020. Density-dependence tips the change of plant-plant interactions under environmental stress. Nature Communications. doi 10.1038/s41467-020-16286-6
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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