Normalerweise enthält jede somatische Zelle in einem Organismus die gleiche Erbinformation. Forscher haben nun erstmalig einen Prozess aufgeklärt, der zu gewebespezifischen Unterschieden in der DNA-Zusammensetzung in Pflanzen führt. Mit einer ungewöhnlich hohen Effizienz von 100 Prozent könnte der Mechanismus der programmierten Chromosomen-Eliminierung zu einem wertvollen Werkzeug in der Züchtung und Medizin werden.
Prinzipiell sind die genetische Information und die Anzahl von Chromosomen eines Individuums in allen Körperzellen identisch. Daher ist es überraschend, dass dies nicht immer der Fall ist. Beim Menschen können Unterschiede in der Chromosomenanzahl zwischen Zelllinien auftreten. Dieser genetische Mosaizismus kann zu Krankheiten führen. Einige Pflanzen und Tiere sind hingegen dafür bekannt, dass sie systematisch dafür sorgen, dass sich die Erbinformation zwischen einigen ihrer Organe unterscheidet. Während das Phänomen der "programmierten DNA-Eliminierung" seit 1887 bekannt ist, blieb der zugrundeliegende Prozess in Pflanzen bisher unerklärt. Forschern des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben ist es nun endlich gelungen, den zugrunde liegenden Mechanismus aufzuklären.
Die Wissenschaftler konzentrierten sich bei ihren Untersuchungen auf die organspezifische Eliminierung von B-Chromosomen im Ziegengras, Aegilops speltoides. B-Chromosomen sind "egoistische" Chromosomen, die dem Organismus keinen offensichtlichen Nutzen bringen. Ziegengras, ein Vorfahre unseres Kulturweizens, kann bis zu acht dieser überzähligen Chromosomen besitzen. Während B-Chromosomen in den Blättern, im Stängel und in der Blüte des Grases zu finden sind, sind die Wurzeln des Grases frei von zusätzlichen B-Chromosomen.
Mit Hilfe der vergleichenden Genomanalyse von Ae. speltoides Pflanzen mit und ohne B-Chromosomen gewannen die Forscher neue Erkenntnisse über den Ursprung der B-Chromosomen. Ferner zeigten ihre Beobachtungen, dass die Eliminierung dieser Chromosomen ein streng kontrollierter wurzelspezifischer Prozess ist. Die Eliminierung beginnt mit dem Beginn der embryonalen Gewebedifferenzierung und kann bis zu 100 % der B-Chromosomen auslöschen. Wie Prof. Andreas Houben uns wissen ließ: "Die Eliminierung der B-Chromosomen erfolgt aufgrund einer mitotischen Fehlverteilung. Das bedeutet, dass der zelluläre Transport der B-Chromosomen gestört ist und als Folge davon die B-Chromosomen von den regulären Chromosomen getrennt werden. Im letzten Schritt der Eliminierung wird die DNA der B-Chromosomen abgebaut.“
Dank des außergewöhnlich hohen Wirkungsgrads könnte der Prozess der programmierten Chromosomen-Eliminierung zukünftig ein nützliches Werkzeug zur Manipulation von Genomen werden. Künstlich induziert, könnte der Prozess die Eliminierung von Chromosomen oder Chromosomensätzen zu medizinischen und pflanzenzüchterischen Zwecken ermöglichen. Doch bis dahin profitieren nur Ae. speltoides Pflanzen von dieser Fähigkeit. Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass die Entfernung der überzähligen Chromosomen die Wurzelzellen vor dem Besitz potenziell schädlicher B-Chromosomengene schützt.
Prof. Dr. Andreas Houben
Phone: +49 39482 5-486
houben@ipk-gatersleben.de
Ruban et al. (2020), Supernumerary B chromosomes of Aegilops speltoides undergo precise elimination in roots early in embryo development. Nature Communications.
DOI: 10.1038/s41467-020-16594-x
Mitotische Zellen während der Eliminierung von B Chromosomen
Dr. Alevtina Ruban
IPK
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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