Die internationalen Kräfteverhältnisse im Bereich des geistigen Eigentums verschieben sich in wichtigen Zukunftstechnologien stark: Die Vereinigten Staaten nehmen noch in fast allen Bereichen die Spitzenposition ein. Europa kann auf einige bewährte Stärken bauen. Aber China und Südkorea holen dank einer viel höheren Dynamik massiv auf – oder sind bereits vorbeigezogen. Das erhöht den Druck auf Deutschland. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie über die Entwicklung, Größe und Stärke nationaler Patentportfolios in Zukunftstechnologien.
Gütersloh, 03. Juni 2020. Innovationen sind eine zentrale Grundlage für gesellschaftlichen Fortschritt und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Das gilt besonders für neue Entwicklungen in wichtigen Zukunftstechnologien wie 3D-Druck, 5G oder Energieumwandlung. Die Studie der Bertelsmann Stiftung "Weltklassepatente in Zukunftstechnologien - Die Innovationskraft Ostasiens, Nordamerikas und Europas" betrachtet auf Grundlagen von wissenschaftlichen Analysen des schweizerischen Wirtschaftsforschung- und Beratungsinstituts EconSight besonders bedeutsame Patente („Weltklassepatenten“) in 58 dieser Zukunftstechnologien. Die Analyse zeigt, wie sich die Innovationskraft von großen Volkswirtschaften und Weltregionen zwischen 2000 und 2019 verändert hat. Das Ergebnis: Innovationspotentiale verschieben sich zuungunsten Europas und Deutschlands.
Die wichtigste globale Entwicklung ist der massive Aufholprozess Ostasiens. Auch wenn die Vereinigten Staaten in den meisten Zukunftstechnologien immer noch unangefochtener Spitzenreiter sind, haben Südkorea und China in den vergangenen Jahren in Sachen Patentqualität einen enormen Sprung nach vorne gemacht. 2019 rangierte China in 42 der 58 untersuchten Technologien unter den drei Ländern mit den meisten Spitzenpatenten. In einigen Technologien in den Bereichen Ernährung und Umwelt ist China bereits führend. 2010 war das Land nicht in einer einzigen Technologie unter den Top 3 vertreten, 2000 kein einziges Mal unter den Top 5.
Der Aufstieg Ostasiens geht bislang vor allem zulasten von europäischen Staaten. Allein verfügt kein einziges europäisches Land über die meisten Weltklassepatente in einer der 58 betrachteten Technologien. Für die Europäische Union als Ganzes reicht es für zwei Spitzenpositionen: bei den Technologien Windkraft und Functional Food. Ohne den Brexit wären es fünf erste Plätze: Wasserkraft, Biozide und Verbundwerkstoffe kämen hinzu. Schwer wiegt der Verlust von Großbritanniens Stärke in der Digitalisierung, denn insbesondere bei neuen Entwicklungen wie 5G oder Blockchain droht Europa den Anschluss zu verlieren.
Innovationsstandort Deutschland unter Druck
Deutschland ist zwar immer noch die stärkste europäische Patentmacht, sehr breit aufgestellt und schlägt sich gemessen an seiner Einwohnerzahl beachtlich. Sein Anspruch, eine führende Technologienation zu sein, gerät aber immer stärker unter Druck. Gehörte Deutschland 2010 in 47 der 58 Technologien noch zu den drei Nationen mit den meisten Weltklassepatenten, hat sich dieser Anteil 2019 auf 22 Technologien mehr als halbiert. Diese Entwicklung betrifft auch Deutschlands traditionell starke Bereiche Industrie und Mobilität. Positiv ist hingegen, gerade vor dem Hintergrund der Corona-Krise, seine hohe Innovationskraft im Gesundheitsbereich zu bewerten. In der zurzeit weltweit im Fokus stehenden Impfstoff-Technologie ist Deutschland das Land mit den zweitmeisten Weltklassepatenten.
"Europa braucht ein klares politisches Engagement für eine gemeinsame Initiative. Der Wettbewerb findet nicht innerhalb der europäischen Länder oder ihrer jeweiligen Organisationen statt. Der Wettbewerb kommt eindeutig aus Asien und den USA. Vor diesem Hintergrund wäre eine gesamteuropäische Innovationsplattform, umgeben von einem transnationalen Ökosystem, das von staatlichen Budgets und finanziellen Anreizsystemen unterstützt wird, ein klares Zeichen, Innovation als Grundlage für die Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Gesellschaften in ihren Ländern ernst zu nehmen2, stellt Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, fest. Der tiefe Einschnitt durch die Pandemie biete jetzt die Chance, gesellschaftliche Prioritäten zu überprüfen und anzupassen, so Mohn. Die Studie plädiert daher vor allem für den Ausbau europäischer und internationaler Kooperationen, für eine bessere Vernetzung von Forschung und Unternehmen, eine stärkere Ermutigung und Unterstützung von Startup-Gründern sowie die gezielte Verbindung von Innovation und gesellschaftlichem Fortschritt.
Der Ansatz der Studie unterscheidet sich von bisherigen Patentanalysen darin, dass er die großen qualitativen Unterschiede berücksichtigt, die es zwischen verschiedenen Patenten gibt. Eine rein quantitative Betrachtung darüber, in welchem Land die meisten Patente angemeldet werden, greift zu kurz, um aussagekräftige Ergebnisse zur Patentstärke eines Landes zu ermitteln. Daher konzentriert sich die vorliegende Studie auf Weltklassepatente in Zukunftstechnologien. Sie betrachtet nur die obersten zehn Prozent der Patente aus wichtigen Technologiegruppen, die besonders oft bei Patentanmeldungen zitiert und in vielen Märkten angemeldet wurden.
Zusatzinformationen
Die Studie „Weltklassepatente - Wie stark die Innovationskraft Ostasiens, Nordamerikas und Europas in Zukunftstechnologien wirklich ist“ ist eine Gemeinschaftsarbeit von zwei Projekten der Bertelsmann Stiftung: Das Projekt „Innovationskraft stärken. Potentiale erschließen.“ sucht nach Möglichkeiten, die Innovationskraft Deutschlands und Europas zu fördern. Das Projekt „Global Economic Dynamics“ betrachtet Deutschland und Europa im Kontext wichtiger Wirtschaftsbeziehungen. Die Studie basiert auf dem methodischen Ansatz des unabhängigen Schweizer Wirtschaftsforschung- und Beratungsinstituts EconSight.
Über den Reinhard Mohn Preis
Die vorliegende Studie ist Teil der weltweiten Recherchen zum Reinhard Mohn Preis 2020 der Bertelsmann Stiftung zum Thema "Innovationskraft stärken. Potenziale erschließen." Der Preis befasst sich mit der Herausforderung, wie Deutschland und Europa den technologischen Wandel zum Wohle der Gesellschaft vorantreiben können. Der Reinhard Mohn Preis 2020 geht an den Vorsitzenden des „Peres Center for Peace and Innovation“, Nechemia ("Chemi") Peres. Damit würdigt die Bertelsmann Stiftung den Unternehmer für sein herausragendes Engagement für Innovationsförderung, das gleichermaßen im Dienst von Wirtschaft und Gesellschaft steht. Die feierliche Preisverleihung findet wegen der Corona-Pandemie im Jahr 2021 statt. Der Reinhard Mohn Preis ist mit 200.000 Euro dotiert und wird seit 2009 von der Bertelsmann Stiftung an international renommierte Persönlichkeiten verliehen, die sich um wegweisende Lösungen für gesellschaftliche und politischen Herausforderungen verdient gemacht haben.
Ansprechpartner:
Dr. Jan C. Breitinger, Telefon: +49 5241 81-81328
E-Mail: jan.breitinger@bertelsmann-stiftung.de
Thomas Rausch, Telefon: +49 5241 81-330
E-Mail: thomas.rausch@bertelsmann-stiftung.de
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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