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10.06.2020 15:29

Künstliche Intelligenz in der Notaufnahme soll Herzinfarkt-Diagnose verbessern

Christine Vollgraf Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e.V.

    Wenn Patienten mit einem Engegefühl in der Brust ins Krankenhaus kommen, ist es überlebenswichtig, so schnell wie möglich festzustellen, ob ein Herzinfarkt vorliegt oder nicht. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) haben durch die Kombination von künstlicher Intelligenz und RNA-Molekülen eine Methode entwickelt, mit der eine Vorstufe des Herzinfarkts, die instabile Angina pectoris, zukünftig früher und sicherer erkannt werden könnte.

    Die Entdeckung des Troponins als Biomarker hat die Herzinfarkt-Diagnose revolutioniert und rettet jährlich hunderttausende Leben. Dennoch gibt es Bereiche, in denen dieser Test an seine Grenzen kommt. Dazu gehört die instabile Angina pectoris, bei der die Patienten Herzinfarkt-typische Beschwerden haben, die Troponin-Werte aber nicht ansteigen und auch das EKG oft unauffällig ist. Für das medizinische Personal ist es schwer zu entscheiden, wie der Patient am besten weiter behandelt werden soll. Denn ähnliche Schmerzen können bei einer Vielzahl von Erkrankungen auftreten, zum Beispiel bei orthopädischen Problemen.

    Damit ausgeschlossen werden kann, dass es sich um eine Vorstufe des Herzinfarkts handelt, muss mehrere Stunden lang immer wieder Blut abgenommen und beobachtet werden, ob der Troponinwert sich doch noch verändert. Zusätzlich sind eine Belastungsuntersuchung und eine Echokardiographie notwendig. In einer Notaufnahme mit vielen Patienten, die dringend auf eine Diagnose warten, ist das eine schwierige Situation.

    Prof. Benjamin Meder und seine Mitarbeiterin Dr. Elham Kayvanpour vom Universitätsklinikum Heidelberg haben durch die Verknüpfung von künstlicher Intelligenz, also neuronalen Netzwerken, und bestimmten RNA-Molekülen, den microRNAs, einen neuen Ansatz für eine frühe und sichere Diganose der instabilen Angina pectoris bei Patienten mit Brustschmerzen gefunden.

    So robust wie unser Gehirn

    Meder veranschaulicht mit einem Vergleich, wie neuronale Netze funktionieren: Ähnlich wie die zigtausenden Nervenzellen in unserem Gehirn sind bei dieser künstlichen Intelligenz mathematische Funktionen in mehreren Schichten miteinander verschaltet. Sehen wir beispielsweise einen Hamburger, erfasst das Gehirn dieses Muster und uns läuft als Reaktion das Wasser im Mund zusammen. Dabei erkennen wir das Fastfood-Brötchen, egal wie viele Fleischklopse, Salatblätter oder Tomatenscheiben aufeinandergestapelt sind.

    Die neuronalen Netze der Heidelberger Forscher berechnen mit Daten über eine bestimmte Gruppe von microRNAs, ob eine instabile Angina pectoris vorliegt oder nicht. Dabei funktionieren sie ebenso robust wie unser Gehirn, selbst bei Abweichungen kommen sie zum richtigen Ergebnis. „Es ist schon fast erschreckend wie leistungsfähig neuronale Netze sind“, sagt Meder.

    34 Moleküle liefern entscheidende Informationen

    microRNAs sind innerhalb der Zelle wichtige Akteure in einem komplexen Netzwerk, das regelt, welche Gene aktiv sind. Wenn Störungen auftreten, wirft die Zelle dieses Regulationsnetzwerk an. Das geschieht zum Beispiel, wenn sich ein Herzinfarkt anbahnt: Geschädigte Blutgefäße, Entzündungsvorgänge oder Blutgerinnungsereignisse führen dazu, dass andere microRNAs als im gesunden Zustand aktiv sind. Sowohl Meders als auch andere Arbeitsgruppen haben bereits zahlreiche solcher Moleküle entdeckt.

    Erstautorin Kayvanpour hat zunächst ermittelt, welche microRNAs bei Patienten mit Verdacht auf einen Herzinfarkt generell aktiv sind und so eine Art Schnappschuss der zellulären Vorgänge erstellt. Über 2000 microRNAs hat sie dann weiter analysiert und bereits aus der Literatur bekannte Kandidaten bestätigt. Es kristallisierten sich 34 microRNAs heraus, anhand deren Vorkommen und Konzentration die neuronalen Netze eine instabile Angina pectoris sicher diagnostizieren können. Die Arbeit von Kayvanpour ist eine der ersten Studien, die künstliche Intelligenz nutzt, um die Profile von RNA-Molekülen auszuwerten und miteinander zu verknüpfen.

    Informationsflut erwünscht

    Neuronale Netzwerke sind auch deshalb ein vielversprechender Ansatz für die Klinik, weil sie innerhalb kürzester Zeit unzählige Informationen verarbeiten können, vielmehr als ein Mensch leisten kann, vor allem in einer Notsituation. Zukünftig könnte diese künstliche Intelligenz daher genutzt werden, um Daten aus mehreren Quellen wie Bildgebung, Biomarkern und EKG zusammen auszuwerten und damit noch präzisere Diagnosen ermöglichen.

    „Noch können wir mit unserem Ansatz in der Klinik keinen Blumentopf gewinnen“, sagt Meder. Denn obwohl die neuronalen Netze die eingegebenen Informationen innerhalb von Sekunden bewerten, dauert es zwei bis drei Tage, bis das microRNA-Profil eines Patienten erstellt ist. Meders Mitarbeiter entwickeln deshalb Verfahren, mit denen sie microRNAs sehr schnell messen können. Außerdem müssen die Ergebnisse noch mit Daten von größeren Patientengruppen sowie von anderen Kliniken bestätigt werden, bevor die Methode in die medizinische Praxis gelangen kann.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Benjamin Meder, Universitätsklinikum Heidelberg, benjamin.meder@med.uni-heidelberg.de


    Originalpublikation:

    microRNA neural networks improve diagnosis of acute coronary syndrome (ACS).
    Kayvanpour E, Gi WT, Sedaghat-Hamedani F, Lehmann DH, Frese KS, Haas J, Tappu R, Samani OS, Nietsch R, Kahraman M, Fehlmann T, Müller-Hennessen M, Weis T, Giannitsis E, Niederdränk T, Keller A, Katus HA, Meder B. J Mol Cell Cardiol. 2020 Apr 17:S0022-2828(20)30097-3. https://www.jmmc-online.com/article/S0022-2828(20)30097-3/pdf


    Bilder

    Medizinerin Elham Kayvanpour und KI-Forscher David Lehmann bei der Arbeit an der microRNA KI.
    Medizinerin Elham Kayvanpour und KI-Forscher David Lehmann bei der Arbeit an der microRNA KI.
    Foto: Benjamin Meder
    Foto: Benjamin Meder


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
    Biologie, Chemie, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Medizinerin Elham Kayvanpour und KI-Forscher David Lehmann bei der Arbeit an der microRNA KI.


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