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17.06.2020 09:52

Massenbestimmung von RNA-Strukturen

Dr. Julia Weiler Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Forscherinnen und Forscher aus Bochum und Münster haben eine neue Methode entwickelt, um die Strukturen aller RNA-Moleküle in einer Bakterienzelle auf einmal zu bestimmen. Früher musste das für jedes Molekül einzeln gemacht werden. Die Struktur ist neben der genauen Zusammensetzung entscheidend für die Funktion der RNAs. Die neue Hochdurchsatz-Strukturkartierungs-Methode, auch Lead-Seq oder Blei-Sequenzierung genannt, beschreibt das Team in der Zeitschrift Nucleic Acids Research, online veröffentlicht am 28. Mai 2020.

    Für die Arbeit kooperierten Christian Twittenhoff, Vivian Brandenburg, Francesco Righetti und Prof. Dr. Franz Narberhaus vom Lehrstuhl für Biologie der Mikroorganismen der Ruhr-Universität Bochum (RUB) mit der Bioinformatik-Gruppe von Prof. Dr. Axel Mosig an der RUB sowie dem Team um Prof. Dr. Petra Dersch von der Universität Münster, ehemals Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.

    Ohne Struktur keine Funktion

    In allen lebenden Zellen wird die genetische Information in doppelsträngiger DNA gespeichert und in einzelsträngige RNA umgeschrieben, die dann als Bauplan für Proteine dient. Die RNA ist allerdings nicht nur eine lineare Abschrift der genetischen Information, sondern faltet sich häufig in komplexe Strukturen. Die Kombination aus einzelsträngigen und teilweise gefalteten doppelsträngigen Bereichen ist für die Funktion und Stabilität von RNAs von zentraler Bedeutung. „Wenn wir etwas über RNAs lernen wollen, müssen wir auch ihre Struktur verstehen“, sagt Franz Narberhaus.

    Blei-Ionen verraten Einzelstrangpositionen

    Mit der Blei-Sequenzierung stellen die Autorinnen und Autoren eine Methode vor, mit der sich sämtliche RNA-Strukturen in einer Bakterienzelle gleichzeitig untersuchen lassen. Dabei nutzen die Wissenschaftler die Tatsache aus, dass Blei-Ionen Strangbrüche in einzelsträngigen RNA-Abschnitten erzeugen; gefaltete RNA-Strukturen, also Doppelstränge, bleiben von Blei-Ionen hingegen unangetastet.

    Durch die Blei-Behandlung zerlegten die Wissenschaftler die einzelsträngigen RNA-Bereiche an zufälligen Stellen in viele kleinere Fragmente, schrieben diese dann in DNA um und sequenzierten sie. Der Anfang jeder DNA-Sequenz entsprach also einem ehemaligen Strangbruch in der RNA. „Das verrät uns, dass die entsprechenden RNA-Bereiche als Einzelstrang vorgelegen hatten“, erklärt Narberhaus.

    Strukturvorhersagen mittels Bioinformatik

    Die experimentell gewonnenen Informationen über die einzelsträngigen RNA-Abschnitte werteten Vivian Brandenburg und Axel Mosig anschließend bioinformatisch aus. „Wir nehmen dabei an, dass nicht geschnittene RNA-Bereiche als Doppelstrang vorgelegen haben, und versuchen, mit Vorhersage-Programmen zu berechnen, wie die RNA-Moleküle gefaltet sein müssen“, erklärt Vivian Brandenburg. „Das hat mit den Informationen aus der Blei-Sequenzierung deutlich besser geklappt als ohne diese Informationen.“

    Mit diesem Ansatz konnten die Forscherinnen und Forscher gleichzeitig die Strukturen von Tausenden von RNAs des Bakteriums Yersinia pseudotuberculosis auf einen Schlag bestimmen. Das Team verglich die mittels Blei-Sequenzierung gewonnenen Ergebnisse von einigen RNA-Strukturen mit Ergebnissen von klassischen Methoden – sie stimmten überein.

    Neue RNA-Thermometer entdeckt

    Ihre Experimente führte die Gruppe bei 25 und 37 Grad Celsius durch, da einige RNA-Strukturen sich abhängig von der Temperatur verändern. Mithilfe sogenannter RNA-Thermometer bemerken Bakterien wie der Durchfall-Erreger Yersinia pseudotuberculosis, ob sie sich im Wirt befinden. Mit der Blei-Sequenzierung identifizierte das Team nicht nur bereits bekannte RNA-Thermometer, sondern entdeckte auch einige neue.

    Die Etablierung der Blei-Sequenzierung dauerte ungefähr fünf Jahre. „Ich freue mich, dass wir damit nun parallel zahlreiche RNA-Moleküle in einem Bakterium kartieren können“, sagt Projektleiter Franz Narberhaus. „Ein Vorteil der Methode ist, dass die kleinen Blei-Ionen ungehindert in lebende Bakterienzellen gelangen. Deshalb gehen wir davon aus, dass diese Methode universell einsetzbar ist und in Zukunft zur detaillierten Aufklärung des Zusammenhangs zwischen RNA-Struktur und Funktion beitragen wird.“

    Förderung

    Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte die Arbeiten im Rahmen des Projekts mit der Fördernummer DFG NA 240/10-2.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Franz Narberhaus
    Biologie der Mikroorganismen
    Fakultät für Biologie und Biotechnologie
    Ruhr-Universität Bochum
    Tel.: +49 234 32 28100
    E-Mail: franz.narberhaus@rub.de

    Vivian Brandenburg
    Biologie der Mikroorganismen
    Fakultät für Biologie und Biotechnologie
    Ruhr-Universität Bochum
    Tel.: +49 234 32 25623
    E-Mail: vivian.brandenburg@rub.de


    Originalpublikation:

    Christian Twittenhoff, Vivian B. Brandenburg, Francesco Righetti, Aaron M. Nuss, Axel Mosig, Petra Dersch, Franz Narberhaus: Lead-seq: transcriptome-wide structure probing in vivo lead (II)ions, in: Nucleic Acids Research, 2020, DOI: 10.1093/nar/gkaa404


    Bilder

    Franz Narberhaus und Vivian Brandenburg diskutieren über eine der entschlüsselten RNA-Strukturen.
    Franz Narberhaus und Vivian Brandenburg diskutieren über eine der entschlüsselten RNA-Strukturen.
    Katja Marquard
    © RUB, Marquard


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Franz Narberhaus und Vivian Brandenburg diskutieren über eine der entschlüsselten RNA-Strukturen.


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