Seegraswiesen geraten zunehmend in Bedrängnis durch ungeklärte Abwässer, die ins Meer geleitet werden. In einer aktuellen Studie im Fachjournal Marine Environmental Research benennen der Biogeochemiker Tim Jennerjahn vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) und sein Team erstmals jenen kritischen Punkt, ab dem dieser für die Umwelt so wichtige Lebensraum unrettbar verlorengeht.
Seegraswiesen wachsen in den flachen Küstenmeeren und bedecken weltweit eine Fläche von nahezu 18 Millionen Hektar. Vor einigen Jahren schätzten Wissenschaftler den ökonomischen Wert dieses Lebensraums auf 19.000 US-Dollar pro Jahr und Hektar – mehr als doppelt so viel wie Mangroven, Korallenriffen oder dem tropischen Regenwald zugeschrieben wurde.
Doch wie andere Küstenökosysteme sind auch Seegraswiesen stark bedroht durch die Eutrophierung der Küstengewässer und die fortschreitende Nutzung und Entwicklung der Küstenzonen. Über ein Jahrzehnt erforschten Tim Jennerjahn, Biogeochemiker am ZMT, und sein Team Seegraswiesen vor der Insel Hainan im südchinesischen Meer, die seit den 80er Jahren zunehmend durch Abwässer aus Aquakulturanlagen beeinträchtigt werden.
Die lange Zeitspanne ermöglichte es den Forschern, den langsamen Verfall dieses Ökosystems zu verfolgen und genaue Aussagen zu machen über den Einfluss der stickstoffreichen Abwässer aus den Zuchtanlagen. „Es gelang uns erstmalig einen Grenzwert der Stickstoffbelastung zu ermitteln, ab dem der Lebensraum Seegraswiese sich nicht mehr von diesem Umweltstress erholen kann und stirbt“, so Jennerjahn. „Er liegt bei einer Konzentration von 112 Mikrogramm gelöstem anorganischen Stickstoff pro Liter Wasser, der über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren einwirkt.“
Die Anzahl der Aquakulturanlagen vor allem für Garnelen und Zackenbarsche hat als lukrative Einnahmequelle in den letzten Jahrzehnten in ganz Südostasien explosiv zugenommen. Im Untersuchungsgebiet der Forscher auf Hainan säumen über 40 km² an Zuchtteichen mit sehr hohen Besatzdichten die Küste. Überschüssige Nahrung und die Ausscheidungen der Tiere reichern sich in den Teichen an, wobei viel anorganischer Stickstoff freigesetzt wird. Das stickstoffreiche Wasser der Anlagen wird unbehandelt in das Küstenmeer abgeleitet.
An unterschiedlich stark belasteten Standorten in den Seegraswiesen entlang der Küste trugen die Forscher einen großen Datensatz von über 1.000 Messwerten zusammen. Dazu zählten Daten zu Biomasse und Artenvielfalt der Seegräser, zur Menge an Algenbewuchs auf den Seegräsern und zum Nährstoffgehalt im Wasser.
Da Stickstoff auch durch landwirtschaftliche Düngemittel und Abwässer aus dem Hinterland ins Küstenmeer gelangen kann, führten die Wissenschaftler eine Isotopenanalyse durch und konnten so die Zuchtanlagen als Hauptquelle für den Stickstoffeintrag identifizieren. Die hohen Stickstoffkonzentrationen aus den Teichen kurbeln das Wachstum von Phytoplankton und Epiphyten an – Kleinalgen, die auf den Seegräsern wachsen. Sie beschatten die Seegräser und behindern die lebensnotwendige Photosynthese.
„Wir konnten feststellen, dass unter dieser chronischen Belastung in nur zehn Jahren 87% der Biomasse der Seegraswiesen verschwunden ist und ihr Artenreichtum enorm abgenommen hat,“ erklärt Esther Thomsen, Biologin am ZMT und Erstautorin der Studie.
Man geht davon aus, dass Seegräser im Laufe ihrer Evolution vor 100 Mio. Jahren vom Land zurück ins Meer gewandert sind. Daher zeigen sie noch typische Merkmale von Landpflanzen, ihre nächsten Verwandten sind die Lilien. Im Gegensatz zu Algen besitzen Seegräser ein Wurzelwerk, das ihnen im Meeressediment Halt bietet. Man findet sie in den Flachwasserbereichen der Tropen, Subtropen und gemäßigten Breiten, so etwa auch im Mittelmeer und in Nord- und Ostsee.
Seegraswiesen reichern ihre Umgebung mit Sauerstoff an und binden gleichzeitig große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid, mehr sogar als Regenwälder. Sie dienen einer großen Anzahl von Speisefischen und Schalentieren als Kinderstube und sind eine Futterquelle für große Meerestiere wie Schildkröten und Seekühe. Mit ihren Wurzeln festigen die Seegräser das Sediment am Meeresboden und verhindern so die Küstenerosion.
„Wir möchten mit unserem Projekt einen Beitrag zum Erhalt dieses wertvollen Ökosystems leisten und stehen daher in engem Austausch mit Entscheidungsträgern und der breiten Öffentlichkeit vor Ort. Unter anderem organisieren wir Citizen Science Projekte und Trainings für Aquakulturfarmer, um für die Problematik zu sensibilisieren“, berichtet Tim Jennerjahn. „Mit den hier ermittelten konkreten Werten zur Stickstoffbelastung können wir nun auch Entscheidungshilfen geben.“
Kontakte
Dr. Tim Jennerjahn
Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Tel: 0421 / 23800-44
E-Mail: tim.jennerjahn@leibniz-zmt.de
Esther Thomsen
Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Tel: 0421 / 23800-79
E-Mail: esther.thomsen@leibniz-zmt.de
Thomsen, E., Herbeck, L.S., Jennerjahn, T.C. (2020). The end of resilience: Surpassed nitrogen thresholds in coastal waters led to severe seagrass loss after decades of exposure to aquaculture effluents: Long-term aquaculture effluents exposure causes seagrass loss. Marine Environmental Research 160, 104986.
https://doi.org/10.1016/j.marenvres.2020.104986
Auf den Seegräsern vor der chinesischen Insel Hainan wuchern Kleinalgen, die durch stickstoffreiche ...
Foto: Lucia Herbeck
Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung
Vor Sansibar finden sich noch weitgehend gesunde Seegraswiesen
Dieuwke Hoeijmakers
Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
Auf den Seegräsern vor der chinesischen Insel Hainan wuchern Kleinalgen, die durch stickstoffreiche ...
Foto: Lucia Herbeck
Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung
Vor Sansibar finden sich noch weitgehend gesunde Seegraswiesen
Dieuwke Hoeijmakers
Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).