Wo verschiedene ethnische Gruppen zusammenleben, wachsen Städte langsamer. Dies belegt ein Forscher der Universität Basel mit Kollegen anhand weltweiter Daten, die zeigen, wie sich die Vielfalt von Sprachgruppen im Jahr 1975 vierzig Jahre später auf das Städtewachstum ausgewirkt hat. Von ihren Ergebnissen berichten die Wissenschaftler im Fachjournal «Proceedings of the National Academy of Sciences».
Das Wachstum von Städten spielt eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region. Obwohl viele Faktoren, welche die Stadtentwicklung beeinflussen, gut untersucht sind, hat einer in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung bisher wenig Aufmerksamkeit erhalten: die ethnisch-sprachliche Vielfalt.
Studien aus der Konfliktforschung belegen, dass ein enges Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen das Risiko für Konflikte erhöht. Dass dies sich aber auch auf das Städtewachstum auswirkt, wurde bisher nicht direkt untersucht. Prof. Dr. Kurt Schmidheiny von der Universität Basel hat diesen Zusammenhang gemeinsam mit Kollegen von der Universität Lausanne und der London School of Economics nun erstmals empirisch belegt.
Die Forscher stützten sich auf der einen Seite auf eine Art Weltkarte, welche zeigt, wo im Jahr 1975 verschiedene Sprachgruppen lebten, um daraus den damaligen Grad der ethnisch-sprachlichen Vielfalt von 3540 Provinzen in 170 Ländern abzuleiten. Auf der anderen Seite nutzten sie einen neuen Datensatz der EU und der OECD, der für das Jahr 2015 Satellitendaten mit Populationsdaten verknüpft, um weltweit Städte als zusammenhängende Siedlungsgebiete zu definieren und ihnen Bevölkerungszahlen zuzuordnen.
Anreiz, im ländlichen Raum zu bleiben
Die Verknüpfung dieser beiden geografischen Datensätze hat ergeben, dass in ethnisch vielfältigeren Provinzen ein kleinerer Anteil der Gesamtbevölkerung in Städten lebt und dass die grösste Stadt der Provinz kleiner ist. Dabei kontrollierten die Wissenschaftler für alternative Faktoren, die den Grad an Urbanisierung beeinflussen, beispielsweise die Bevölkerungsdichte und Topografie.
In einem weiteren Schritt prüften die Forscher, welcher Grad an Urbanisierung bereits im Jahr 1975 vorhanden war. «Durch diese Kontrolle können wir mit höherer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ethnisch-sprachliche Vielfalt das Städtewachstum beeinflusste und nicht umgekehrt», so Schmidheiny.
Laut Modellen aus der Spieltheorie werden Konflikte zwischen ethnisch-sprachlichen Gruppen umso kostspieliger, je enger sie zusammenleben. «Demnach gäbe es für die Angehörigen dieser Gruppen also Anreize, im ländlichen Raum zu bleiben. Unsere Analyse bestätigt dies erstmals empirisch», sagt der Ökonom.
Weniger Einfluss in etablierten Demokratien und Diktaturen
Einer ethnischen Durchmischung entgegenzuwirken, um das Städtewachstum und damit die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, wäre jedoch die falsche Schlussfolgerung für die Politik, betont Schmidheiny: «Diversität ist ein zentraler Innovationstreiber in Städten, in denen die verschiedenen Ethnien friedvoll zusammenleben und -arbeiten.»
Die empirische Analyse zeigte, dass sich ethnisch-sprachliche Vielfalt in gut funktionierenden Demokratien (und starken autokratischen Systemen) weniger negativ auf das Städtewachstum auswirkt als in instabilen Demokratien.
«Der Effekt kommt weniger zu tragen in Systemen, in denen verschiedene ethnisch-sprachliche Gruppen gut etablierte Möglichkeiten haben, ihre Konflikte zu lösen, und solche, in denen Konflikte unterdrückt werden», erklärt Schmidheiny. Anfällig seien insbesondere fragile Demokratien. «Länder mit einer gut funktionierenden Demokratie können deshalb den Innovationsvorteil durch Diversität voll ausschöpfen.»
Prof. Dr. Kurt Schmidheiny
Universität Basel
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Tel. +41 61 207 33 72
E-Mail: kurt.schmidheiny@unibas.ch
Ulrich J. Eberle, J. Vernon Henderson, Dominic Rohner, and Kurt Schmidheiny
Ethnolinguistic diversity and urban agglomeration
Proceedings of the National Academy of Sciences (2020), doi: 10.1073/pnas.2002148117
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