Wenn Sie Appetit auf Süßes haben und Ihr suchender Blick auf eine Tafel Ihrer Lieblingsschokolade fällt, werden Sie nicht weitersuchen, sondern beginnen sie genüsslich zu verzehren. Wie funktioniert so ein Umschalten von Sehnen und Suchen zu Genuss und Gebrauch? Ein LIN-Forschungsteam um Dr. Michael Schleyer hat herausgefunden, dass ein einzelnes Neuron diesen Prozess bewirken kann. Ihre Forschungsergebnisse wurden im „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht und legen eine neue Rolle für den „Glücksbotenstoff“ Dopamin nahe.
Dopamin ist ein belohnender Botenstoff, der sowohl beim Menschen als auch bei Tieren eine wichtige Rolle spielt. Das ist sogar bei den extrem einfach gebauten Larven der Fruchtfliege Drosophila melanogaster der Fall. Nur wenn die Dopamin-Neurone intakt sind, können sie lernen einen Duft mit einer Futterbelohnung zu verbinden. Und tatsächlich kann die Aktivierung schon eines einzelnen Dopamin-Neurons im Gehirn der Larve als Belohnung wirken. Präsentiert man einen Duft und das von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern so benannte DAN-i1 Neuron feuert zur gleichen Zeit, folgen die Larven später der Duftspur. Neu ist, dass dieses „Glücksneuron“ auch eine zweite Funktion hat: Es kann das gelernte Suchverhalten auch abschalten. Aber wie kann ein und dieselbe Nervenzelle zwei so unterschiedliche Funktionen ausüben?
Eine Zelle, zwei Funktionen
Bei ihrer Untersuchung kombinierten die Forschenden das Prinzip des Pawlowschen Lernens mit Verfahren der Optogenetik und mit der Kartierung jeder einzelnen Synapse des DAN-i1 Dopamin-Neurons, also aller seiner Verbindungsstellen mit anderen Nervenzellen. Beim Pawlowschen Lernen verknüpfen die Tiere einen Hinweisreiz wie zum Beispiel einen Duft mit einer Futterbelohnung. Optogenetische Verfahren ermöglichen es mit genetischen Methoden einzelne Zellen im Larvengehirn lichtempfindlich zu machen. Schaltet man das Licht an, feuert die Zelle. Das Forschungsteam stellte fest, dass eine solche optogenetische Aktivierung des DAN-i1 Dopamin-Neurons nicht nur als Belohnung wirkt, sondern auch das erlernte Verfolgen der Duftspur abschalten kann. Die angeborenen Verhaltensweisen der Fliegenlarven bleiben jedoch unverändert. Bei der Kartierung der Synapsen des DAN-i1 Neurons zeigte sich dann, dass das DAN-i1 Neuron zwei Zielgebiete hat. Das erste Ziel sind die Zellen im „Gedächtniszentrum“ in denen das Lernen stattfindet. Das zweite Ziel sind die Zellen, die das Gedächtniszentrum mit der Ausführung des gelernten Verhaltens verbinden. Angesichts der in der Evolution tief verwurzelten Rolle der Dopamin-Neurone bei Mensch und Tier stellt sich die Frage, ob ein solches Verschaltungsmotiv und eine solche Doppelfunktion von Dopamin-Neuronen ein allgemeines Prinzip widerspiegelt.
Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg
Das LIN ist ein Grundlagenforschungsinstitut, das sich Lern- und Gedächtnisprozessen im Gehirn widmet. Das LIN wurde 1992 als Nachfolgeeinrichtung des Institutes für Neurobiologie und Hirnforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR gegründet und ist seit 2011 Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es bildet einen der Eckpfeiler des Neurowissenschaftsstandortes Magdeburg. Das LIN beherbergt moderne Labore für die neurowissenschaftliche Forschung – vom Hightech-Mikroskop bis zum Kernspintomographen.
Aktuell arbeiten rund 230 Personen am LIN, davon ungefähr 150 Wissenschaftler aus rund 28 Ländern. Sie erforschen kognitive Prozesse und deren krankhafte Störungen im Gehirn von Mensch und Tier.
Dr. Michael Schleyer
https://www.jneurosci.org/content/early/2020/06/25/JNEUROSCI.0290-20.2020
Dr. Michael Schleyer mit Aliće Weiglein und Juliane Thöner
Reinhard Blumenstein
LIN
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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