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29.07.2020 18:14

Im Einsatz für eine Welt ohne Narben

Verena Schulz Kommunikation
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt

    Hinter jeder Narbe steht eine Geschichte. Manchmal ist diese mit einer dramatischen Erfahrung verbunden: schwere Verletzungen, Operationen oder chronische Erkrankungen. Wenn es nach Dr. Yuval Rinkevich ginge, würden wir anstelle von Narben vielmehr über Regeneration sprechen, also der spurenlosen Wundheilung. Damit dies eines Tages Wirklichkeit wird, untersucht Rinkevich mit seinem Team am Helmholtz Zentrum München jeden einzelnen Aspekt der Wundheilung von Säugetieren, beginnend beim Embryo bis hin zum hohen Erwachsenenalter. Yuval Rinkevich erklärt, wie er sich eine Welt ohne Narben vorstellt.

    Narben gehören zum natürlichen Wundheilunsgprozess des Körpers nach einer Verletzung. Warum wollen wir sie vermeiden?
    Rinkevich: Das stimmt schon, Narben können Lebensretter sein. Egal, ob wir uns in den Finger schneiden oder eine schwere Verbrennung erleiden – unser Körper muss offene Wunden schnell schließen. Nichtdestotrotz ist Narbengewebe deshalb ungünstig, weil es nicht vollständig funktional ist. Je schwerwiegender die Narbe, umso geringer ihre Funktion. Brandopfer können beispielsweise oftmals ihren Arm oder ihre Finger nicht mehr richtig bewegen, da sie vernarbte Gewebe auf ihrer Haut darin hindert. Narben im Inneren unseres Körpers, auf Organen, können sogar zum Organversagen führen. Dann hilft nur noch eine Transplantation. Könnten wir dieses Problem lösen, würde das vielen Patientinnen und Patienten sehr helfen. Operationen könnten mit viel geringeren Komplikationen und deutlich schneller durchgeführt werden. Vielleicht wären dann sogar Operationen möglich, die man heute aufgrund der starken Vernarbung noch nicht machen kann.

    Neue Narben vermeiden ist das eine. Aber könnte man bestehende Narben auch „rückgängig“ machen?
    Rinkevich: Eines Tages wird dies hoffentlich möglich sein! Wenn Narbengewebe mit der umliegenden Haut wieder in Einklang gebracht werden und genauso empfindlich sein könnte, wäre dies ein gewaltiger Schritt. Dann könnten wir Personen mit schwerer Vernarbung dabei helfen, ihren Tastsinn zurückzubekommen. Momentan fokussieren wir uns in unserer Forschungsarbeit darauf, die richtige Balance zwischen schneller Wundschließung und der Regeneration des verletzten Gewebes zu finden. Dabei beschäftigen wir uns insbesondere mit Verwachsungen im Bauchraum, soggenannten abdominalen Adhäsionen. Meistens bilden sich diese Verwachsungen, die aus Bändern von faserigem Narbengewebe bestehen, nach einer Operation und können dazu führen, dass Organe im Bauchraum zusammenkleben. Dies schränkt die Bewegungsfreiheit der Organe ein und ist zum Beispiel die Hauptursache für Unfruchtbarkeit bei Frauen und für postoperative Komplikationen. Operationen im Bauchraum könnten also wesentlich einfacher und schneller durchgeführt werden, wenn es keine Narbenbildung gäbe! Aus den Kliniken hören wir immer wieder von stundenlangen Verzögerungen bei Bauchoperationen nur wegen der Entfernung von Verwachsungen. Eine Lösung würde nicht nur das Leben der Patientinnen und Patienten, sondern auch das der Chirurginnen und Chirurgen deutlich vereinfachen.

    Wie könnten wir die Bildung von Narben verhindern?
    Rinkevich: Wenn wir erst einmal vollständig verstehen, wie Narben natürlich entstehen, können wir diesen Prozess vielleicht manipulieren und herunterfahren oder ganz blockieren. Hier ist ein Beispiel: Wir wissen, dass sich Narben bilden, wenn Fibroblasten, also ein bestimmter Zelltyp des Bindegewebes, zur verletzten Stelle in der Haut wandern. Wenn wir jung sind, haben diese Fibroblasten eine regenerative Funktion. So heilen Wunden viel besser. Wenn wir jedoch älter werden, bilden Fibroblasten mehr Narben. Bereits vor zwei Jahren ist es uns gelungen, Fibroblasten von sehr jungen Mäusen in die Wunden älterer Mäuse zu transplantieren. Das Ergebnis: deutlich weniger Narbenbildung. Wenn wir dies auf den Menschen übertragen könnten, wäre das ein Durchbruch für die regenerative Medizin – nicht nur bei der Narbenbildung, sondern auch bei chronischen Erkrankungen wie der Lungenfibrose. Je mehr wir über Narbenbildung lernen, desto besser. Vor kurzem haben wir den anatomischen Ursprung der Fibroblasten, nämlich die Faszie, entdeckt. Dieses Wissen eröffnet uns neue Möglichkeiten und wird uns enorm dabei helfen, unser Ziel zu erreichen.

    Helmholtz Zentrum München
    Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Forschungszentrum die Mission, personalisierte medizinische Lösungen zur Prävention und Therapie von umweltbedingten Krankheiten für eine gesündere Gesellschaft in einer sich schnell verändernden Welt zu entwickeln. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.500 Mitarbeitende und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands mit mehr als 40.000 Mitarbeitenden in 19 Forschungszentren.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Yuval Rinkevich
    Helmholtz Zentrum München
    Institut für Lungenbiologie
    Comprehensive Pneumology Center
    Email: yuval.rinkevich@helmholtz-muenchen.de


    Originalpublikation:

    Fischer et al., 2020: Post-surgical adhesions are triggered by calcium-dependent membrane bridges between mesothelial surfaces. Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-020-16893-3
    Correa-Gallegos et al., 2019: Fascia is a repository of mobile scar tissue. Nature, DOI: 10.1038/s41586-019-1794-y


    Bilder

    Mikrocarrier (grün und blau), die mit humanen Mesothelzellen (rot) bedeckt sind und in vitro Adhäsionen bilden. Gestresste Mesothelzellen binden sich über Zell-Zell-Kontakte aneinander und verkleben die Mikrocarrier miteinander.
    Mikrocarrier (grün und blau), die mit humanen Mesothelzellen (rot) bedeckt sind und in vitro Adhäsio ...

    Helmholtz Zentrum München


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Mikrocarrier (grün und blau), die mit humanen Mesothelzellen (rot) bedeckt sind und in vitro Adhäsionen bilden. Gestresste Mesothelzellen binden sich über Zell-Zell-Kontakte aneinander und verkleben die Mikrocarrier miteinander.


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