Es ist einer der kleineren Kontinente, auf dem über 700 Mio. Menschen in fast 50 Ländern leben. Wie aber sehen sich seine Einwohner? Als Bürger einzelner Staaten? Oder eines geeinten Europas? Und wie stark stehen die Städte in Kontakt miteinander und seit wann? Das untersucht Nina Szidat vom Historischen Institut der Universität Duisburg-Essen (UDE) an ausgewählten Städtepartnerschaften. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt mit 186.000 Euro.
Zwischen Deutschland und Großbritannien existieren kommunale Partnerschaften seit den 1950er Jahren. Sie sollten nach dem Zweiten Weltkrieg u.a. helfen, den Frieden zu sichern. Ausgewählt wurden Städte, die einander glichen oder ähnliche Probleme hatten. Vor Beginn des Massentourismus ermöglichten sie auch erste Auslandsreisen. Zudem halfen sie, das Profil der Stadt bzw. die außenpolitischen Beziehungen des Staates zu stärken.
„Essen nahm mit seiner ersten Partnerstadt Sunderland 1949 Kontakt auf. Sie es entsprach sehr einer klassischen Industriestadt und hatte später wie das Ruhrgebiet mit dem Strukturwandel zu kämpfen“, sagt Nina Szidat. Beim französischen Grenoble habe man später dessen technologische Ausrichtung betont. „Als Essen sich industriell neu ausrichten musste, orientierte sich die Stadt daran. Die Strategie war, sich eher als Dienstleistungsmetropole und Forschungsstandort zu etablieren.“
Szidat stellt die Partnerschaften zwischen Kiel und Coventry sowie zwischen Frankfurt am Main und Birmingham exemplarisch in den Mittelpunkt des Projekts; es ist zugleich ihre Promotion. Dazu erforscht sie in britischen und deutschen Archiven, was die Verbindungen zwischen den Kommunen auszeichnete. Waren es wirtschaftliche Interessen oder politische bzw. diplomatische Motive? Und welche Rolle spielte der europäische Gedanke? Als weitere Quellen verwendet Szidat Interviews, private Überlieferungen und nutzt Social Media-Kanäle.
Frankfurt und Birmingham suchten in den Sechzigern noch mehr Kontakte in Europa und verbanden sich mit Lyon und Mailand. „An dieser Ringpartnerschaft lässt sich ideal analysieren, wie wichtig städtische Beziehungen schon damals für eine frühe europäische Vernetzung waren“, sagt die 31-Jährige. Sie sei zudem Basis für das Städtenetzwerk Eurocities, das heute für die Kommunen als Lobby-Verband gegenüber der EU auftritt.
Außenpolitisch hatten die kommunalen Partnerschaften ebenso Handlungsmacht. Das britische Manchester etwa hat seit 1983 eine Beziehung zu Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt (DDR). „Zu einer westdeutschen gab es nie eine Verbindung, das ist im Vergleich mit anderen britischen Städten sehr ungewöhnlich“, konstatiert die Historikerin. Und auch Birmingham und Coventry pflegten Kontakt zu DDR-Städten (Birmingham – Leipzig; Coventry – Dresden).
„Die DDR versuchte damit, im Ausland mehr Anerkennung zu bekommen und die Kontakte westdeutscher Kommunen zu Städten anderer Länder zu stören“, so Szidat. Dazu habe sie sich aber auf gegenseitige Besuche und die Beteiligung der „einfachen Bevölkerung“ einlassen müssen, das sei sehr herausfordernd gewesen.
Wegen des Brexits zeigen sich einige britische Kommunen aktuell irritiert, sagt Nina Szidat: „Im Fahrwasser des Referendums bekundeten sie ihre Solidarität mit den Partnergemeinden auf dem europäischen Festland nach dem Motto ‚Jetzt brauchen wir die Städtepartnerschaften erst recht!‘. Andere haben aber aufgegeben und die Städtepartnerschaften tatsächlich aufgekündigt.“
Redaktion: Alexandra Nießen, 0203/37 9-1487, alexandra.niessen@uni-due.de
Nina Szidat, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Tel. 0201/18 3-3596, nina.szidat@uni-due.de
https://www.uni-due.de/geschichte/nina_szidat.php
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