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13.08.2020 10:28

Frühgeborene Kinder: Musiktherapie fördert die Gehirnentwicklung

Nathalie Plüss Unternehmenskommunikation
Universitätsspital Zürich

    Frühgeborene Kinder haben ein hohes Risiko für Hirnschäden. Eine Studie am Universitätsspital Zürich in Kooperation mit dem Universitäts-Kinderspital Zürich zeigte nun, dass Kreative Musiktherapie die Hirnentwicklung der Kinder fördert und einen schützenden Effekt hat.

    Frühgeborene Kinder haben einen schwierigen Start ins Leben. Dank medizinischer Fortschritte sind ihre Überlebenschancen in den letzten Jahren jedoch massiv gestiegen. Die Gehirne von Kindern, die lange vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt kommen, sind aber noch unausgereift und deshalb anfällig für bleibende neurologische Schäden. Die Schädigungen können kognitive und psychische Beeinträchtigungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Bewegungsstörungen zur Folge haben, die über die Kindheit hinaus bis ins Jugend- und Erwachsenenalter bestehen bleiben. Hinzu kommt, dass die Kinder in einer neonatologischen Intensivstation mit Licht, Geräuschen und auch Schmerzen unvermeidlich einem gewissen Stress ausgesetzt sind – und der beruhigende Herzschlag der Mutter fehlt ebenso plötzlich wie die schützende Umgebung der Mutter.

    Musiktherapie für die Frühstarter
    Aus Studien bei Menschen und Tieren ist bekannt, dass positive Hörerlebnisse die Entwicklung des Gehirns fördern und das Hören von Musik neurobiologische Prozesse, neurologisches Lernen und die Aktivität und Bildung der Synapsen unterstützt. Frühere Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass die Kreative Musiktherapie (creative music therapy, CMT) bei frühgeborenen Kindern einen positiven Einfluss auf Störungen und damit Schädigungen in der Gehirnentwicklung haben kann. Dabei nehmen speziell ausgebildete Therapeutinnen das Atemmuster und physische Anzeichen etwa von Schmerz oder Unruhe der Kinder auf und unterstützen die Kinder durch Singen und Summen im Wiegenliederstil dabei, sich selber zu regulieren. Wenn möglich werden auch die Eltern in die Therapie einbezogen und zum eigenen Singen angeleitet; so kann die Therapie z.B. während des «Känguru» im Hautkontakt mit Vater oder Mutter durchgeführt werden, um die Bindung zu unterstützen.

    Die Therapie bewirkt augenscheinlich bei den Kindern eine merkliche Entspannung, was sich in der Atemfrequenz, aber auch an Gesten oder am Gesichtsausdruck zeigt. Die körperliche Nähe zu Mutter und Vater verstärkt die positiven Effekte der Therapie. Zusätzlich ebben die häufig vorhandenen Ängste der Eltern ab, was sich auf die Kinder weiter beruhigend auswirkt. Ob sich die CMT auch nachweisbar kurz- und mittelfristig positiv auf die neuronale Entwicklung und bestimmte Hirnregionen auswirkt, war bisher jedoch nicht untersucht worden.

    MRI-Untersuchung der Kindergehirne im Schlaf
    Die Musikwissenschaftlerin und Pionierin der Kreativen Musiktherapie in der Neonatologie Friederike Haslbeck konnte nun zusammen mit einem Team in der Klinik für Neonatologie am Universitätsspital Zürich und am Universitäts-Kinderspital Zürich in einer Studie die Entwicklung und Veränderungen der Gehirne frühgeborener Kinder unter der Musiktherapie untersuchen. Um die Kinder maximal zu schonen, wurde für die Untersuchung Diffusionsgewichtete Magnetresonanztomografie (DTI) eingesetzt. Das Verfahren wird zur Untersuchung des Gehirns eingesetzt und erlaubt Rückschlüsse auf den Verlauf der grossen Nervenfaserbündel. Wie die bekanntere Magnetresonanztomografie (MRI), ist die DTI nichtinvasiv, sie erfordert weder eine Injektion von Kontrastmitteln noch den Einsatz von ionisierender Strahlung. In die Studie konnten 82 Kinder aufgenommen werden, die Hälfte der Kinder erhielt zusätzlich zur üblichen Therapie zwei- bis dreimal wöchentlich Musiktherapie während ca. 20 Minuten, jedes Kind nach einem individuell erstellten Therapieplan. Die Aufenthaltsdauer der Kinder im Spital betrug drei bis zehn Wochen, die Zahl der Therapieeinheiten acht bis dreissig. Die Untersuchung im MRI wurde jeweils während des natürlichen Schlafes gemacht. Um sie darin nicht zu stören, wurde den Kindern zudem ein Gehörschutz aufgesetzt. Zur Sicherheit wurden während des MRI permanent die Herzfrequenz und die Sauerstoffsättigung im Blut überwacht. Kein Kind zeigte negative Auswirkungen der Untersuchung.

    Sichtbare Effekte der Musiktherapie
    Die Auswertung der Daten zeigte wenig Einfluss der Musiktherapie auf die grundlegenden Strukturen des Gehirns. «Bei den Kindern mit Musiktherapie stellten wir jedoch eine signifikant geringere Verzögerung in den Funktionsprozessen zwischen Thalamus und Hirnrinde, stärkere funktionale Netzwerke und ein verbessertes Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen, unter anderem in den für die Motorik und Sprache relevanten Bereichen fest», fasst Friederike Haslbeck die Ergebnisse zusammen. «Damit konnten wir zum ersten Mal auch mit Bildgebung einen positiven und damit schützenden Effekt der Musiktherapie auf die Hirnentwicklung nachweisen.» In einer gross angelegten Folgestudie in mehreren Neonatologien der Schweiz will Friederike Haslbeck nun untersuchen, ob sich die Musiktherapie auch längerfristig positiv auf die Entwicklung der frühgeborenen Kinder auswirkt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Friederike Haslbeck


    Originalpublikation:

    https://doi.org/10.1016/j.nicl.2020.102171


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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