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02.09.2020 10:08

Differenzierte Tarifpolitik je nach Corona-Betroffenheit, Tariflöhne steigen 2020 durchschnittlich um 2,1 Prozent

Rainer Jung Abt. Öffentlichkeitsarbeit
Hans-Böckler-Stiftung

    Zwischenbilanz zur Tarifrunde 2020

    Differenzierte Tarifpolitik je nach Corona-Betroffenheit der Branchen, Tariflöhne steigen 2020 durchschnittlich um 2,1 Prozent

    Angesichts der Corona-Krise agiert die Tarifpolitik in diesem Jahr besonders differenziert. In Branchen, die stark vom wirtschaftlichen Einbruch durch die Pandemie betroffen sind, liegen die Schwerpunkte auf Beschäftigungssicherung.

    Außerdem steht in vielen Bereichen die Stabilisierung der Einkommen von Beschäftigten in Kurzarbeit im Fokus von tariflichen Vereinbarungen. So erhielten im Juni 54 Prozent der Kurzarbeitenden in Unternehmen mit Tarifvertrag eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, in Unternehmen ohne Tarifbindung hingegen nur eine Minderheit von 31 Prozent. In Wirtschaftsbereichen, deren Geschäfte weniger leiden, die möglicherweise sogar florieren und/oder in denen sich eine besondere „Systemrelevanz“ der geleisteten Arbeit erwiesen hat, geht es dagegen in der Tarifrunde 2020 auch um spürbare Lohnerhöhungen. Das gilt zum Beispiel für den öffentlichen Dienst der Kommunen und beim Bund, bei der Deutschen Post und im Gebäudereinigerhandwerk, wo die Tarifverhandlungen in diesen Tagen starten. In der Tarifrunde des Bauhauptgewerbes beginnt die Schlichtung.

    Die deutlichen Unterschiede zeigten die Stärken des deutschen Tarifsystems, betont Prof. Dr. Thorsten Schulten, Tarifexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung: „Unter den Bedingungen der Corona-Pandemie hat sich die Tarifpolitik einmal mehr als ein effizientes und flexibles Regelungssystem erwiesen, das in der Lage ist, differenzierte Antworten auf die unterschiedlichen Herausforderungen der verschiedenen Branchen zu geben“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs. Dazu gehöre auch, dass die Tariflöhne unter Berücksichtigung der im 1. Halbjahr 2020 abgeschlossenen Tarifverträge und der in den Vorjahren für 2020 bereits vereinbarten Tarifabschlüsse in diesem Jahr um durchschnittlich 2,1 Prozent steigen. Dies ergibt sich aus der aktuellen Halbjahresbilanz, die das Tarifarchiv heute vorlegt.

    Werden lediglich die im 1. Halbjahr 2020, also inmitten der Corona-Krise, getätigten Neuabschlüsse berücksichtigt, so steigen die Tariflöhne um 1,2 Prozent. Allerdings schlagen die bereits 2019 oder früher vereinbarten Tarifabschlüsse in 2020 nach wie vor mit 2,6 Prozent zu Buche, so dass sich insgesamt eine Tariferhöhung von 2,1 Prozent ergibt (siehe auch Abbildung 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Gegenüber den Vorjahren 2018 und 2019, in denen die Tariflöhne relativ kräftig um 3,0 bzw. 2,9 Prozent anstiegen, wird der Tarifzuwachs in diesem Jahr deutlich kleiner ausfallen. Angesichts eines durchschnittlichen Anstiegs der Verbraucherpreise von nur 1,2 Prozent im 1. Halbjahr 2020 ergibt sich jedoch nach wie vor ein Reallohnzuwachs von 0,9 Prozent (siehe auch Abbildung 2 in der pdf-Version).

    „Zuwächse bei den Tariflöhnen setzen wichtige Impulse für Konsum und Konjunktur. Das gleiche gilt natürlich für tarifliche Regelungen, die Arbeitsplätze verlässlich sichern oder die für eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes sorgen. Beides hilft dabei, die gesamtwirtschaftliche Krise zu überwinden“, sagt Schulten.

    Zu den großen Tarifbranchen, die erst einmal die reguläre Tarifrunde um einige Monate vertagt und sich stattdessen kurzfristig auf Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigung in der Krise konzentriert haben, gehört die Metall- und Elektroindustrie. Wie in vielen anderen Branchen wurden hier Regelungen beschlossen, die vor allem Beschäftigungssicherung und eine betriebliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes erleichtern (Zahlreiche weitere tarifvertragliche Fallbeispiele hierzu finden sich auch auf der Sonderseite „Kurzarbeit“ des WSI-Tarifarchivs: https://www.wsi.de/de/kurzarbeit-22444.htm).

    In anderen Branchen, die eher weniger von der Corona-Pandemie betroffen sind oder während der Krise sogar florieren, wurden hingegen auch „normale“ Entgelterhöhungen verhandelt. Hierzu gehören z. B. die Energiewirtschaft, die ostdeutsche Süßwarenindustrie und andere Branchen der Ernährungswirtschaft sowie die Deutsche Telekom, bei denen für dieses Jahr Tariferhöhungen zwischen 2,5 und 3,0 Prozent vereinbart wurden. Mit dem Abschluss in der Systemgastronomie ist es darüber hinaus gelungen, eine klassische Niedriglohnbranche grundlegend aufzuwerten. Über einen Zeitraum von vier Jahren werden hier die Tarifentgelte um fast 28 Prozent angehoben.

    Aktuell werden u. a. im Bauhauptgewerbe Tarifauseinandersetzungen geführt, wo die Gewerkschaften mit Verweis auf die boomende Lage der Branche ebenfalls kräftige Lohnerhöhungen einfordern, es bislang aber zu keiner Annäherung kam. Gerade gestartet sind die Verhandlungen für Bund und Gemeinden des öffentlichen Dienstes (siehe auch Tabelle 4 im Bericht; Link unten). Dort wird sich nach Ansicht von Schulten „zeigen, ob viele der unter Corona-Bedingungen als systemrelevant beklatschen Berufsgruppen nun auch eine entsprechende materielle Anerkennung erhalten.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Thorsten Schulten
    Leiter WSI-Tarifarchiv
    Tel.: 0211-7778-239
    E-Mail: Thorsten-Schulten@boeckler.de

    Rainer Jung
    Leiter Pressestelle
    Tel.: 0211-7778-150
    E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de


    Originalpublikation:

    Thorsten Schulten und das WSI-Tarifarchiv: Tarifpolitischer Halbjahresbericht 2020 – Tarifpolitik unter den Bedingungen der Corona-Krise. Download (pdf): https://www.boeckler.de/pdf/p_ta_hjb_2020.pdf

    Die PM mit Grafiken (pdf): https://www.boeckler.de/pdf/pm_ta_2020_09_02.pdf


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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