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04.09.2020 15:32

Vier ERC Starting Grants für Berner Forschende

Nathalie Matter Corporate Communication
Universität Bern

    Vier Forschende der Universität Bern erhalten vom Europäischen Forschungsrat (ERC) je einen der begehrten «Starting Grants». Die Pflanzenforscherin Christelle Robert will mit den Fördergeldern die Interaktionen zwischen Pflanzen und natürlichen Feinden von Schädlingen verstehen, der Wirtschaftswissenschafter Christoph Oberlack untersucht neue Wege, um Umweltgerechtigkeit zu etablieren. Der Physiologe Ziad Al Nabhani erforscht den Einfluss der frühkindlichen Ernährung auf das Immunsystem, und der Chemiker Tomas Solomek untersucht neue Möglichkeiten, um ein Material der Zukunft besser zu verstehen und zu nutzen.

    Gestern gab der Europäische Forschungsrat (ERC) die Namen der Forschenden bekannt, die einen der begehrten «Starting Grants» erhalten. Die Starting Grants sind Teil von «Horizon 2020», dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation der Europäischen Union. Von den Fördergeldern profitieren auch vier Forschende der Universität Bern. Sie erhalten je 1.5 Millionen Euro.

    Der Erfolg bei dieser kompetitiven europäischen Ausschreibung sei einerseits ein Beleg dafür, dass die Berner Forschenden hervorragend seien, sagt Daniel Candinas, Vizerektor Forschung der Universität Bern: «Andererseits zeigt es auch, dass Projekte aus Bereichen gefördert werden, die schon lange zu unseren strategischen Themenschwerpunkten gehören – und die hochaktuell und in Europa relevant sind.» Zudem sei es wichtig, wenn sich Schweizer Forschende im europäischen Umfeld vernetzten, betont Candinas.

    Natürliche Schädlingsbekämpfung fördern

    Interaktionen zwischen Pflanzen, Pflanzenschädlingen und den natürlichen Feinden der Schädlinge sind so genannte tritrophische Interaktionen. Sie haben einen wichtigen Einfluss auf ökologische Prozesse und Ernteerträge. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass Pflanzen die Anwesenheit von Schädlingen wahrnehmen und darauf reagieren können. Die Mechanismen dieser Reaktionen sind jedoch weitgehend unbekannt, ebenso die Art und Weise, wie sie die tritrophen Interaktionen in der Natur beeinflussen.

    Ziel des Projekts PRENEMA von Christelle Robert vom Institut für Pflanzenwissenschaften (IPS) ist es, die Reaktionen der Pflanzen auf die dritte trophische Ebene, die natürlichen Feinde der Schädlinge, als einen bisher übersehenen Mechanismus zu definieren, der die tritrophischen Interaktionen steuert. Zu diesem Zweck kombiniert PRENEMA einen interdisziplinären Ansatz, der unter anderem ein ökologisch und landwirtschaftlich relevantes tritrophes Modellsystem umfasst. Das Modellsystem besteht aus Mais und dessen wildem Vorfahren Teosinte, dem gebänderten Gurkenkäfer (Diabrotica balteata) – einem Schädling, der Maiswurzeln befällt – und dessen natürlichem Feind, dem Fadenwurm Heterorhabditis bacteriophora.

    PRENEMA wird unter anderem ein neuartiges System entwickeln, um Proben von chemischen Stoffen aus den Wurzeln zu extrahieren, und Veränderungen im Metabolismus der Pflanze nach Exposition gegenüber den Fadenwürmern zu untersuchen. Zudem werden Robert und ihr Team nach molekularen Mustern suchen, die für die Auslösung von Pflanzenreaktionen verantwortlich sind. In einem Feldversuch werden anschliessend die ökologischen Folgen der Pflanzenreaktionen für Pflanzen, Pflanzenschädling und Fadenwürmer gemessen. «Das Wissen und die Technologie, die wir durch PRENEMA gewinnen, werden dazu beitragen, neue Ansätze für die natürliche Schädlingsbekämpfung zu entwickeln», sagt Robert. Der ERC Starting Grant biete ihr und ihrem Team die Möglichkeit, ein neuartiges ökologisches Phänomen zu untersuchen: «Das Institut für Pflanzenwissenschaften mit seinem interdisziplinären Ansatz biete dafür das perfekte Umfeld.» Zudem ist Robert für die Unterstützung und enge Begleitung durch die Universität Bern bei der Bewerbung für den ERC Starting Grant dankbar: «Speziell Frauen und Nachwuchsforschende erhalten für ihre Forschung grossartigen Support.»

    Entwöhnung und Darmflora als Schlüssel für unser Immunsystem

    Bei Neugeborenen wird die Bildung der Darmflora zunächst durch Bestandteile der Muttermilch angeregt. Wenn feste Nahrung eingeführt wird, entwickelt sich die Darmflora, und Bakterien vermehren sich. Die enorme Ausbreitung der Darmbakterien während der Entwöhnung von Neugeborenen von der Muttermilch führt zu einem Immungedächtnis, das wichtig ist, um die Anfälligkeit auf Allergien und chronische Entzündungskrankheiten im späteren Leben zu verringern. Eine übermässige Exposition gegenüber Antibiotika oder eine fettreiche Ernährung bei der Entwöhnung dereguliert das Immunsystem und erhöht die Anfälligkeit für die Entwicklung entzündlicher Krankheiten im Erwachsenenalter.

    «In unserem Projekt wollen wir feststellen, wie Ernährung und Mikroorganismen die Entwicklung unseres Immunsystems beeinflussen und das Immungedächtnis orchestrieren; und wie eine Störung dieser Interaktionen zu einer erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten führt», sagt Zian Al Nabhani vom Department for BioMedical Research (DBMR). «Unser langfristiges Ziel ist es, die Entwicklung solcher entzündlicher Krankheiten zu verhindern, indem Neugeborene mit nützlichen Bakterien oder bakteriellen Produkten versorgt werden – und solche Krankheiten später im Leben durch eine auf Mikrobiota basierenden Therapie zu behandeln», sagt Al Nabhani.

    Für das «WePredict» werden Al Nabhani und sein Team sogenannte Hochdurchsatz-Sequenzierungs-Lernalgorithmen sowie spezielle Mausmodelle verwenden. «Das aussergewöhnliche Netzwerk zwischen verschiedenen Gruppen an der Universität Bern und am Inselspital wird wichtig sein, um meine Ziele zu erreichen», sagt Al Nabhani.

    Ein «Kompass» für Umweltgerechtigkeit

    Ein noch nie dagewesenes Mass an Marktkonzentration in den Wertschöpfungsketten der Agrar- und Ernährungswirtschaft verstärkt globale Ungleichheiten. Der damit verbundene Landraub («Land Grabbing») bedroht die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen. Es ist daher eine dringende Herausforderungen, die Auswirkungen von landwirtschaftlicher Landnutzung, Investitionen und Handel auf das menschliche Wohlergehen neu zu gestalten. Um dieser Aufgabe zu begegnen, wurden gemeinsame Strategien entwickelt: Zertifizierungssysteme wie «FairTrade», Initiativen von inklusiven Unternehmen oder solidarwirtschaftiche Initiativen. Inklusive Unternehmen sind Partnerschaften zwischen Agrarunternehmen und Kleinbauern, die darauf abzielen, letztere auf gerechte Weise in kommerzielle Wertschöpfungsketten zu integrieren. Beispiele dafür sind Joint Ventures und sogenannte Outgrower-Programme. Initiativen der Solidarwirtschaft sind selbstorganisierte, bedarfsorientierte Initiativen von Gemeinschaften landwirtschaftlicher Produzenten und Lebensmittelkonsumenten, wie direkte Handel und die von der Gemeinschaft unterstützte Landwirtschaft. «Empirische Studien zeigen jedoch, dass auch diese drei Strategien das Wohlergehen der betroffenen Bevölkerung nicht generell steigern», sagt Christoph Oberlack vom Centre for Development and Environment (CDE). Zudem handelt es sich vornehmlich um Strategien aus dem privaten Sektor, bei denen staatliche Akteure nur begrenzt daran beteiligt sind.

    Ausgehend von der These, dass Umweltgerechtigkeit eine notwendige Voraussetzung für menschliches Wohlergehen ist, untersucht und vergleicht Christoph Oberlack mit seinem Team systematisch die drei Strategien bezüglich ihrer Instrumente, Auswirkungen auf das menschliche Wohlergehen und auf die institutionelle Verankerung von Umweltgerechtigkeit. Das Projekt «COMPASS» zielt darauf ab, anhand der Kakao- und Kaffeesektoren von Peru und der Schweiz einen «Kompass» zu entwickeln, wie sich unter Einbezug der Umweltgerechtigkeit Wertschöpfungsketten fair organisieren lassen. «Zudem fördert das Projekt das bessere Verständnis, wie öffentliche Politik, Eigentumsrechte und die Strukturen von Wertschöpfungsketten diese Dynamik beeinflussen», sagt Oberlack. In seinem Projekt werden in einem Teilbereich Teammitglieder in Peru arbeiten und unter anderem mittels Interviews mit Kaffeebauern und Kakaobäuerinnen die Einflüsse der drei Strategien auf deren Wohlergehen ermitteln.

    Nano-Kohlenwasserstoffe für Nano- und Biotechnologie

    Kohlenstoff-Nanoröhren (sogenannte CNTs) sind mikroskopisch kleine röhrenförmige Gebilde aus Kohlenstoff. Sie gelten als vielversprechendes Material für verschiedene Bereiche, wie etwa der organischen Elektronik. Ihre Synthese gestaltet sich jedoch schwierig, weil sich die CNTs in ihrer Länge, ihrem Durchmesser und der feinen Struktur ihrer Kanten unterscheiden können. Diese bestimmen jedoch ihre Eigenschaften. Gleichzeitig sind einzelne CNTs nur schwer aus einem Gemisch verschiedener Röhrchen zu lösen. Daher wurde versucht, mittels «molekularer Samen» oder Vorläufern von CNTs, sogenannten gekrümmten molekularen Nanokohlenwasserstoffen, CNTs mit spezifischen Eigenschaften zu synthetisieren. Obwohl dies nur teilweise gelang, zeigte sich, dass die Krümmung den Nanokohlenwasserstoffen ungewöhnliche und nützliche Eigenschaften verleiht. «Kleine gekrümmte molekulare Nanokohlenwasserstoffe sind bei organischen Materialien ein entscheidender Faktor, und in den letzten zwei Jahren sind rasch neue aufregende Anwendungen in den Bereichen Bioabbildung, Sensorik, Katalyse und organische Elektronik entstanden», sagt Tomás Solomek vom Departement für Chemie und Biochemie (DCB).

    Er möchte noch komplexere Kohlenstoff-Nanostrukturen untersuchen, wie zum Beispiel doppelwandige CNTs, die sich bilden, wenn eine Röhre mit kleinerem Durchmesser in eine mit grösserem Durchmesser eingesetzt wird, oder Kohlenstoff-Nanorollen, die man erhält, indem man sogenanntes planares Graphen aufrollt, so wie man ein Blatt Papier aufrollen würde. «Bis heute gibt es jedoch keine analogen molekularen Vorläufer für topologisch komplexere Kohlenstoff-Nanostrukturen – das möchten wir mit TOPOCLIP ändern», erklärt Solomek.

    Mit dem ERC Starting Grant möchte er sein Team ausbauen und untersuchen, welche Auswirkungen die räumliche Anordnung von neuen molekularen Kohlenstoff-Nanostrukturen auf ihre Eigenschaften haben. Das Projekt TOPOCLIP soll dabei Pionierarbeit leisten und reaktionsfähige Nanokohlenstoffe entwickeln, die ihre Form durch einen äusseren Impuls, wie zum Beispiel Licht, verändern können. Solomek und sein Team möchten in Zusammenarbeit mit anderen Gruppen an der Universität Bern die Rolle erforschen, die die molekulare Topologie für zukünftige Anwendungen in der Nano- und Biotechnologie spielen kann. «Ich freue mich, an die Universität Bern zu kommen», sagt Solomek, der gegenwärtig an der Universität Basel ist. «Das DCB ist ein attraktiver Standort für exzellente Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt, und ich freue mich sehr darauf, mit verwandten Forschungsbereichen zusammenzuarbeiten und gemeinsam mit meinen zukünftigen Kolleginnen und Kollegen neue Ideen zu entwickeln.»

    Über Christelle Robert

    Christelle Robert ist Leiterin der Forschungsgruppe «Chemical Ecology» am Institut für Pflanzenwissenschaften. In der chemischen Ökologie leistete sie Pionierarbeit, indem sie Strategien entdeckte, die Pflanzenfresser unter der Erde einsetzen, um ihre Wirtspflanze auszubeuten, und wie sich dies auf die natürlichen Feinde der Schädlinge auswirkt. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Wechselwirkungen von Schädlingen, ihren natürlichen Feinden und Wirtspflanzen. Für ihre Arbeit wurde sie mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der «Preis für nachhaltige Entwicklung» für ihre Dissertation an der Universität Neuenburg. 2019 wurde Christelle Robert zum Ratsmitglied der International Society of Chemical Ecology gewählt.

    Über Ziad Al Nabhani

    Ziad Al Nabhani interessiert sich für die Untersuchung der Beziehung zwischen Darmmikroben und dem Immunsystem, und wie deren Störung zu chronischen Entzündungskrankheiten führt. Er promovierte am französischen Institut für Gesundheit und medizinische Forschung (INSERM) und erhielt 2013 seinen Doktortitel in Physiologie & Physiopathologie an der Universität Paris Diderot. Er führte seine Postdoc-Studien in Mikrobiologie am Nationalen Institut für Agrarforschung (2013-2014) und in Immunologie am Institut Pasteur (2014-2020), Frankreich, durch. Im April 2020 kam er als Senior Scientist an das Department for BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern. Er erhielt verschiedene Stipendien und Preise für junge Forscher, unter anderem vom Janssen Horizon Fund und der Association François Aupetit.

    Über Christoph Oberlack

    Christoph Oberlack ist Head of Cluster «Sustainability Governance» am Centre for Development and Environment (CDE) und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Universität Bern. Er promovierte an der Universität Freiburg im Breisgau in Wirtschaftswissenschaften und ist unter anderem Co-Chair der Arbeitsgruppe «Archetypenanalyse in der Nachhaltigkeits- und Land Governance-Forschung» des Global Land Programme von Future Earth. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Nachhaltigkeits-Gouvernanz. Er ist Träger von mehreren Preisen, darunter der Oran Young Prize 2018.

    Über Tomás Solomek

    Seit 2017 ist SNF-Ambizione-Gruppenleiter am Departement für Chemie der Universität Basel. Anfang 2021 wird er Assistenzprofessor am Departement für Chemie und Biochemie an der Universität Bern. Tomás Solomeks Forschung auf den Gebieten der physikalisch-organischen Chemie und der organischen Photochemie untersucht den Einfluss von Topologie und Topographie auf die Eigenschaften organischer Moleküle und Materialien. Dabei zielt seine Gruppe darauf ab, neue Synergien bei Themen im Zusammenhang mit der Umwandlung von Sonnenenergie und der Porosität von Materialien zu entdecken. Tomás Solomek erhielt für seine Forschung eine Reihe von Auszeichnungen wie zum Beispiel den Dimitri. N. Chorafas-Preis und ein Experientia-Stipendium.

    Die ERC Starting Grants

    Der von der Europäischen Union 2007 gegründete «European Research Council» (ERC) ist die erste gesamteuropäische Förderagentur für Spitzen-Grundlagenforschung. Seine Aufgabe und sein Anspruch ist die Förderung der freien Forschung der besten Forschenden Europas. Die Starting Grants sollen die talentiertesten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Europas darin unterstützen, eigene Teams aufzubauen und wegweisende Forschung über alle Disziplinen hinweg zu betreiben.

    http://erc.europa.eu/funding/starting-grants


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    MEDIA RELATIONS
    Universität Bern
    Telefon: +41 31 631 41 42
    E-Mail-Adresse: medien@unibe.ch


    Weitere Informationen:

    https://tinyurl.com/ERCStartingGrantsBern2020


    Bilder

    Die vier ausgezeichneten Berner Forschenden
    Die vier ausgezeichneten Berner Forschenden

    zvg, Danielle Liniger, Manu Friederich


    Anhang
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    fachunabhängig
    überregional
    Personalia, Wettbewerbe / Auszeichnungen
    Deutsch


     

    Die vier ausgezeichneten Berner Forschenden


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