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09.11.1998 00:00

In Genom und Kanal, von neuronalen und chemischen Simulationen

Peter Pietschmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Ulm

    In Genom und Kanal, von neuronalen und chemischen Simulationen
    17. Merckle-Forschungspreis

    Am 9. November 1998 wird der von der Firma Merckle GmbH, Blaubeuren, gestiftete Forschungspreis zum 17. Mal verliehen. In seine DM 40.000,-- betragende Dotation teilen sich vier Preisträger der Universität Ulm. Die Auszeichnung erhalten:
    PD Dr. Thomas Gress, Abteilung Innere Medizin I, für seine molekulargenetischen Arbeiten über die Kanzerogenese im Pankreas;
    Prof. Dr. Stephan Grissmer, Abteilung Angewandte Physiologie, für seine Arbeiten über Kaliumkanäle;
    Prof. Dr. Günther Palm, Leiter der Abteilung Neuroinformatik, für seine interdisziplinären Arbeiten in der Neuroinformatik und Hirnforschung;
    PD Dr. Eckhard Spohr, Abteilung Theoretische Chemie, für seine Arbeiten zur Molekulardynamik an wäßrigen Grenzflächen mittels Computersimulationen.

    Krebs und Genom

    Das Pankreaskarzinom, der Krebs der Bauchspeicheldrüse, belegt in den westlichen Industrieländern Platz vier in der Todesstatistik des Krebses. Heilung ist derzeit bei der Mehrzahl der Patienten nicht möglich, die Bemühungen um neue diagnostische und therapeutische Ansätze sind weltweit intensiv, so auch an der Universität Ulm, wo ein Team um PD Dr. Thomas Gress an der Thematik arbeitet.

    Die Gruppe geht den molekularen Grundlagen bösartiger und entzündlicher Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse nach und sucht neue Krankheitsgene zu identifizieren. Zur Erfassung der vielschrittigen genetischen Veränderungen bei der Krebsentstehung in der Bauchspeicheldrüse werden zum Teil automatisierte molekulare Techniken aus dem Genomprojekt - zum Beispiel Robotertechniken, Bildanalyseverfahren und Datenbanksysteme für eine systematische molekulare Analyse von Tausenden auf verschiedene Trägermaterialien aufgebrachter Gene - eingesetzt. Gress und Arbeitsgruppe gehören zu den ersten, die komplexe Genveränderungen beim Bauchspeicheldrüsenkrebs auf verschiedenen Ebenen erfaßten. Dadurch konnten Profile beschrieben werden, die zur Identifizierung von Hunderten neuer Krankheitsgene geführt haben.

    In ähnlich angelegten Projekten waren Mutationen des chromosomalen Materials Gegenstand der Untersuchungen. Beim Krebs der Bauchspeicheldrüse kommen solche Veränderungen häufig vor und gehen mit dem Auftreten möglicher Onkogene (Förderer des Krebswachstums) oder Tumorsuppressorgene (das Krebswachstum hemmender Gene) einher. Auch diese Arbeiten haben bereits zur Identifikation einer Reihe von Kandidatenarealen und potentiellen neuen Krankheitsgenen für den Krebs der Bauchspeicheldrüse geführt. Die Ulmer Arbeitsgruppe wendete als erste diese einzigartige Kombination von Genomforschung und Krebsforschung an. Sie hat damit inzwischen weltweit Anerkennung gefunden und Schule gemacht.

    Eines der Projekte ist Teil des an der Universität Ulm eingerichteten Sonderforschungsbereichs 518 »Entzündung, Regeneration und Transformation im Pankreas«. PD Dr. Thomas Gress, der im Auftrag der EU die Forschungsarbeiten von neun europäischen Gruppen zu den molekularen Grundlagen der Krebsentstehung in der Bauchspeicheldrüse koordiniert, ist kürzlich mit dem renommierten Heisenberg-Stipendium der DFG ausgezeichnet worden.

    Wir sind unsere Ionenkanäle

    Zu den nicht wenigen Forschern, die über Ionenkanäle arbeiten, gehört Prof. Dr. Stephan Grissmer. Seine Spezialität sind Kaliumkanäle, so genannt, weil sie nur Kaliumionen passieren lassen. Ihre Mechanismen zu erkennen, ist kein Selbstzweck. Das Ziel besteht darin, die Rolle der Kanäle für die normale und die krankhaft gestörte Funktion der Zelle aufzuklären, um auf dieser Basis nach Wegen zur Beeinflussung der Vorgänge suchen zu können.

    Unter Ionenkanälen versteht man Proteine, die in der Zellmembran sitzen und durch Auf- und Zugehen den Ionenfluß in die und aus der Zelle heraus ermöglichen. Am besten bekannt sind sie bei erregbaren Geweben wie Nerven, Herz und Muskeln. Dort produzieren und übertragen sie durch den Ionenstrom elektrische Signale. Jeder Reiz, der von unseren Sinnen aufgenommen wird, hat eine Induktion oder Veränderung dieses Ionenstroms zur Grundlage. Wir können nur sehen, fühlen, hören, schmecken, weil die Ionenkanäle - zuerst in den Sinneszellen und dann in den Nervenzellen - auf- und zugehen. Gleiches gilt für willkürliche Muskelkontraktionen sowie für den Herzschlag.

    Man findet Ionenkanäle jedoch nicht nur in Muskel-, Herz- und Nervenzellen, sondern in allen Zellen. Sie sind nämlich nicht nur verantwortlich für die Erregung, sondern auch für die Steuerung des Zellvolumens, für die Sekretion und Resorption von Salzen sowie die Signalübertragung von außerhalb der Zelle in deren Inneres. Daß Ionenkanäle so viele unterschiedliche Funktionen wahrnehmen können, hat seinen Grund in der Existenz zahlreicher verschiedener Ionenkanaltypen - rund 100 wurden bislang charakterisiert. Sie unterscheiden sich durch ihren Öffnungsmechanismus, der auf elektrischer Spannung, Liganden, Enzymen oder Ionen beruhen kann, aufgrund der Ionensorte, die den Kanal passiert, und durch ihre Pharmakologie, das heißt substanzspezifische Beeinflußbarkeit.

    Auch die Immunkompetenz ist kanalvermittelt

    Grissmers Interesse konzentriert sich auf die Funktion von Kaliumkanälen im Zusammenhang mit der Aktivierung von T-Zellen. Wenn fremde Substanzen in den Körper eindringen, müssen sie von den Immunzellen erkannt und eliminiert werden. Das setzt deren Aktivierung voraus, die in den sogenannten T-Lymphozyten mit einem Anstieg der intrazellulären Kalziumkonzentration (Ca2+) einhergeht. An der Bedeutung des Einstroms von extrazellulärem Kalzium ist nicht zu zweifeln, da durch eine Verminderung des verfügbaren Ca2+ die Aktivierung von T-Zellen verhindert wird. In diesen Vorgang des Eintritts von Kalzium ins Innere der Zelle scheinen auch Kaliumkanäle eingebunden zu sein: Grissmer konnte in verschiedenen Studien zeigen, daß die Blockade von spannungsabhängigen Kaliumkanälen den Anstieg von Ca2+ reduziert.

    Durch eine funktionale Behinderung der Kaliumkanäle in T-Lymphozyten läßt sich also die Immunantwort unterdrücken. Auf der Suche nach einem dafür geeigneten Stoff hat Grissmer das Gen des Kaliumkanals in T-Lymphozyten identifiziert, um die potentiellen Bindungsstellen und daran anknüpfend möglichst wirksame Substanzen bestimmen zu können. Bedeutung haben diese noch laufenden Untersuchungen für die Behandlung von Autoimmunerkrankungen und für die vorübergehende Ausschaltung der Immunkompetenz bei Transplantationspatienten.

    Grissmer ist ferner mit der Assoziation von Kaliumkanal-Veränderungen und bestimmten Krankheiten befaßt. Wo Abweichungen im Kaliumkanal-Gen bereits beschrieben und mit spezifischen Erkrankungen in Verbindung gebracht wurden, versucht er herauszufinden, in welcher Weise die genetischen Defekte den Kanal beeinflussen. Ziel ist die Identifikation von Substanzen, mit deren Hilfe sich die Fehlfunktionen korrigieren lassen. Zu diesen Krankheiten gehört die Episodische Ataxie, eine besondere Form der Bewegungsstörung. Auch bei schizophrenen sowie manisch-depressiven Patienten konnten Veränderungen in Kaliumkanal-Genen beobachtet werden.

    Denken systemtheoretisch

    Vor rund zwanzig Jahren, Ende der Siebziger, waren seine Arbeitsgebiete als akdemische Lehrfächer praktisch noch nicht existent. Dazu, daß sich die Theoretische Neurowissenschaft und die Neuroinformatik seither weltweit an Universitäten etabliert und einschlägige Gesellschaften und Journale hervorgebracht haben, hat Prof. Dr. Günther Palm nicht unerheblich beigetragen.

    Seine Forschungen kreisen um die Frage, wie das Gehirn Informationen verarbeitet, und laufen auf den Versuch hinaus, mathematische oder systemtheoretische Modelle wesentlicher Funktionen des Gehirns wie Denken, Lernen und Erinnerung zu entwerfen. Palm zählt zu den Pionieren auf diesem interdisziplinären Forschungsgebiet, das Naturwissenschaft und Technik - namentlich Hirnforschung und Neurobiologie einerseits, Informatik andererseits - überspannt. In der Fachwelt machte Palm vor allem durch seine Arbeiten über Assoziativspeicher auf sich aufmerksam - Prozessoren, die ihre Inputs erheblich ökonomischer als konventionelle Rechner verarbeiten und sich damit optimal zur Simulation neuronaler Erkennungsprozesse (speziell der schnellen Muster- und Spracherkennung) eignen -, sowie durch eng damit verwandte Studien über assoziatives Gedächtnis und die interne neuronale Darstellung der Außenwelt (»Assemblies«).

    Die Interdisziplinarität hat nicht nur der Forscher, sondern auch der Abteilungsleiter Palm zu seiner Sache gemacht: die Gründung des Ulmer Sonderforschungsbereiches 527 »Integeration symbolischer und subsymbolischer Informationsverarbeitung in adaptiven sensomotorischen Systemen« im Jahre 1997 geht nicht zuletzt auf seine Initiative zurück.

    Molekulardynamik computersimuliert

    Viele chemische Reaktionen laufen in flüssiger Phase oder an der Grenze zwischen flüssigem und festem Aggregatzustand ab. Häufig ist die flüssige Phase wäßrig; Wasser und wäßrige Lösungen kommen überall in der Umwelt und in biologischen Systemen vor. Die Eigenschaften wäßriger Systeme an Grenzflächen stellen ein wichtiges Thema der physikalisch-chemischen Grundlagenforschung dar, die den chemischen Reaktionen an sich und ihrer Beeinflußbarkeit gilt.

    Allerdings stößt die theoretische Beschreibung auf grundlegende Schwierigkeiten, die auf der Komplexität der Systeme sowie auf der interessanten Eigenschaft des Wassers beruhen, Wasserstoffbrücken zu bilden und in diesem Netzwerk polare und ionische Stoffe wie zum Beispiel Salze oder Proteine zu lösen. So wurden schon früh molekulare Computersimulationen zur Untersuchung wäßriger Systeme eingesetzt; sie haben wesentlich zu deren Verständnis auf molekularer Grundlage beigetragen.

    PD Dr. Eckhard Spohr betrachtet die Systeme molekulardynamisch. In der Molekulardynamik wird - unter Zugrundelegung eines geeigneten Modells - mit Computerhilfe untersucht, wie sich die Atome unter dem gegenseitigen Einfluß ihrer Kräfte bewegen. Diese klassische Beschreibungsweise erlaubt im Gegensatz zur quantenmechanischen die Erfassung großer Systeme, so daß sich auch die Eigenschaften komplexer Materialien untersuchen lassen. Für die Berechnungen muß Spohr in der Regel neue Computercodes programmieren, da die verfügbaren Programmpakete nicht mit der erforderlichen Funktionalität oder Leistungsfähigkeit aufwarten.

    Mit Hilfe der aus den Mittelwerten von Atom- und Molekülanordnungen und deren zeitlicher Entwicklung gewonnenen Größen können die Systeme - unter Vergleich mit den experimentell beobachteten Eigenschaften - charakterisiert werden. Auf diese Weise lassen sich Modelle auf atomarer Ebene testen und vervollkommnen, die den Forscher zu Erkenntnissen über das molekulare Verhalten komplexer Systeme führen. Dr. Spohr interessiert sich speziell für die elektrochemischen Eigenschaften metallischer Elektroden in wäßriger Lösung, wobei er Studien zur mikroskopischen Struktur der Grenzflächenregion mit Untersuchungen zur chemischen Reaktivität kombiniert. Einen weiteren Schwerpunkt seiner Arbeiten bilden die Transporteigenschaften maßgeschneiderter synthetischer Polymermembranen und poröser Gläser. Dabei geht es vorrangig um Fragen der Ionenleitfähigkeit und -selektivität.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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