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11.09.2020 11:00

Neue Hoffnung auf Progressionsverlangsamung bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS)

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    11. September 2020 – Die Pathogenese der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) ist nicht vollständig geklärt. Derzeit steht lediglich das Medikament Riluzol zur Verfügung, um die Progression der Erkrankung etwas zu verlangsamen. Ansonsten bleibt den Behandlern nur die Option, die Betroffenen durch eine multimodale Supportivtherapie bestmöglich zu unterstützen. Die CENTAUR Phase-II-Studie [1] zeigte nun, dass die orale Gabe eines Kombinationspräparates der Substanzen Natriumphenylbutyrat und Taurursodiol eine Progressionsverzögerung bewirken könnte.

    Die pharmakologische Therapie der ALS besteht bisher aus Riluzol, um den Erkrankungsverlauf zu verlangsamen, und weiteren Medikamenten, um belastende Symptome zu lindern.

    In experimentellen Studien zu neurodegenerativen Erkrankungen konnte die Kombination von Natriumphenylbutyrat und Taurursodiol das Absterben von Neuronen verhindern, vermutlich indem bestimmte zelluläre Bestandteile (genauer: das endoplasmatische Retikulum) sowie die zelluläre Energieversorgung (Funktion der Mitochondrien) geschützt werden. Natriumphenylbutyrat ist das Natriumsalz einer Fettsäure (Phenylbuttersäure), es wird bislang erfolgreich bei pädiatrischen Stoffwechseldefekten eingesetzt. Taurursodiol ist eine Gallensäure mit bekannten zytoprotektiven bzw. anti-apoptotischen Eigenschaften (u. a. Stabilisierung von Protein-Faltung, „Chaperon-Effekt“). In klinischen Pilot-Studien wurde zuvor die Verträglichkeit von Natriumphenylbutyrat-Taurursodiol bei ALS-Patienten gezeigt.

    In einer multizentrischen, doppelblinden und randomisierten Phase-II-Studie [1] in den USA erhielten nun 137 ALS-Patienten eine orale Medikamenten-Kombination von täglich 3 g Natriumphenylbutyrat und 1 g Taurursodiol (Verum-Gruppe, n=89; zunächst über drei Wochen einmal täglich, danach zweimal) – oder ein optisch und geschmacklich gleiches (als Pulver in Wasser gelöst) Placebo (Placebo-Gruppe, n=48). Die behandelten Patienten befanden sich im frühen oder mittleren Krankheitsverlauf (Diagnosestellung innerhalb der letzten 18 Monate). 77% der Patienten nahmen bereits Riluzol und/oder das Antioxidans Edaravone ein. Als primärer Studienendpunkt wurde im Verlauf über 24 Wochen der ALS-FRS-R-Score („Amyotrophic Lateral Sclerosis Functional Rating Scale-Revised”) ermittelt, der die motorische Funktionsfähigkeit von Menschen mit ALS erfasst (Werte von 0 bis 48; 0 entspricht einem Verlust der motorischen Funktionen). Nach 24 Wochen der Therapie zeigte sich eine signifikante Verlangsamung der ALS-FRS-R-Score-Verschlechterung; der absolute Unterschied betrug 2,32 Skalenpunkte. Der Unterschied in der monatlichen Abnahme der Punktzahl war ebenfalls signifikant (-1,24 Punkte in der Verum-Gruppe gegenüber -1,66 Punkte in der Placebo-Gruppe; p=0,03). Der Effekt war am ausgeprägtesten im Hinblick auf die feinmotorischen Fertigkeiten, wie die Autoren hervorheben.

    Auch bei einer statistischen Berücksichtigung einer gleichzeitigen Einnahme von Riluzol (oder Edaravone, in der EU nicht zugelassen) zeigten die Studienergebnisse eine Verlangsamung der ALS in der Verum-Gruppe. Im Hinblick auf sekundäre Studienendpunkte (z. B. isometrische Muskelkraft, der ALS-Biomarker pNF-H im Blut, Lungenfunktion, Klinikaufenthalte) erbrachte die Therapie keinen Vorteil. Schwere unerwünschte Ereignisse traten bei 19% der Patienten der Placebo-Gruppe und bei 12% der Verum-Gruppe auf (pulmonale Komplikationen 8% und 3%). Insgesamt 25% der Patienten beendeten die Einnahme vorzeitig – die meisten aufgrund von gastrointestinalen Beschwerden; dies betraf aber auch 21% der Patienten in der Placebo-Gruppe.

    „Mit dieser Phase 2-Studie kann die Wirksamkeit von Natriumphenylbutyrat und Taurursodiol noch nicht belegt werden, aber die Ergebnisse machen Hoffnung, dass künftig der Krankheitsverlauf der ALS herausgezögert werden kann“, kommentiert Prof. Dr. Thomas Meyer, ALS-Ambulanz der Charité Berlin. „Gerade der möglichst lange Erhalt von motorischen Alltagsfunktionen ist ein wichtiges Ziel neuer Medikamente und für die Lebensqualität der Betroffenen von höchster Relevanz.“

    Literatur
    [1] Paganoni S, Macklin EA, Hendrix S et al. Trial of Sodium Phenylbutyrate-Taurursodiol for Amyotrophic Lateral Sclerosis. N Engl J Med 2020 Sep 3; 383 (10): 919-930 doi: 10.1056/NEJMoa1916945.

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 10.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

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    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Past-Präsident: Prof. Dr. Gereon R. Fink
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Originalpublikation:

    doi: 10.1056/NEJMoa1916945.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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