In einer großen Wochenzeitung wurden die deutschen Hochschulen, „die als so behäbig galten“, kürzlich dafür gewürdigt, der Krise getrotzt zu haben: Die Debatten um Corona-Folgen und Hygienemaßnahmen nähmen „mancherorts hysterische Züge“ an, doch die Hochschulen blieben „ein Ort der Vernunft. Sie analysieren die Lage, ziehen logische Schlüsse.“ Genau diese Analysen des digitalen Sommersemesters und der Konsequenzen für die Zukunft sind nicht nur an den Hochschulen in vollem Gang. Das HIS-Institut für Hochschulentwicklung (HIS-HE) stellt nun erste Ergebnisse einer Überblicksstudie vor, die auf Einschätzungen unterschiedlicher Statusgruppen an den deutschen Hochschulen beruht.
Die BMBF-geförderte „ExpertInnenbefragung Digitales Sommersemester“ (EDiS) fokussiert auf die Einschätzungen von Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden von Supporteinrichtungen. Im Rahmen multiperspektivischer Befragungen, die Funda Seyfeli, Laura Elsner und Klaus Wannemacher zwischen Juni und August 2020 durchführten, sollte ein differenziertes Bild der Reaktionen auf die Ausnahmesituation entwickelt und mittelfristige Auswirkungen der Pandemie auf Studium und Lehre identifiziert werden. Die StudienteilnehmerInnen setzten sich aus einem bundesweit verteilten Personenkreis aus dem Netzwerk des Hochschulforums Digitalisierung (HFD) zusammen.
Auf Grundlage der Einschätzungen der beteiligten ExpertInnen zieht die Studie für die Gruppe der Studierenden eine geteilte Bilanz. Einem Zuwachs an zeitlicher und örtlicher Flexibilität und einer erleichterten Auswahl von Lehrveranstaltungen stehen die Notwendigkeit zur Neujustierung der Selbstorganisation und Hürden bei der Studienfinanzierung gegenüber. Aus der Sicht von Lehrenden und Mitarbeitenden von Supporteinrichtungen hat das digitale Sommersemester hingegen die Widerstandsfähigkeit und Agilität der Institution Hochschule deutlich gemacht. Lehrende berichteten vom geweckten Interesse an der Online-Lehre und der Bereitschaft, die Lehre auch künftig weiterzuentwickeln. Nach Einschätzung von Mitarbeitenden in Supporteinrichtungen habe es zu neuen Lehrkonzepten und digitalisierten Lernformaten faktisch keine Alternative gegeben. Dennoch seien Potenziale zur Entwicklung didaktisch anspruchsvollerer digitaler Lehrkonzepte angesichts des erheblichen zeitlichen Drucks kaum ausgeschöpft worden.
Als besonders prägnant erwiesen sich kleinere Kontraste der Bewertung: Nach studentischer Einschätzung zählt die Einsicht in die Relevanz der Digitalisierungsproblematik, die Lehrenden erst im pandemiebedingten Lehralltag vollauf bewusst geworden sei, zu den Erkenntnissen des Sommers. Die Lehrenden und Mitarbeitenden von Supporteinrichtungen hingegen plädierten dafür, dass die Fähigkeit zum selbstbestimmten Lernen, die nicht wenige Studierende vor beträchtliche Herausforderungen stelle, künftig aktiv weiterentwickelt werden müsse.
Wenngleich die EDiS-Studie auch deutlich macht, dass digitalisierte Lehre nicht automatisch gute Lehre ist, kann das digitale Sommersemester doch – so ein Fazit – möglicherweise ein Baustein für die Entwicklung einer künftigen „Blended University“ sein. Diese würde Studierenden eine ausgewogene Mischung aus Lernerfahrungen auf dem Campus und einem flexiblen digitalen (Fern-)Studium bieten und durch leicht zugängliche, interaktive und personalisierte Lernangebote ebenso produktive wie inspirierende Studienerfahrungen ermöglichen.
Erste Ergebnisse der EDiS-Studie stellt HIS-HE in einem ausführlichen Foliensatz vor, der sich auf dem „DigiBlogHISHE“ (https://digi-blog.his-he.de/vom-corona-shutdown-zur-blended-university/) abrufen lässt, einem Blog zur Digitalisierung in Governance, Forschung, Bildung, Verwaltung und Infrastrukturen an den Hochschulen. Für eine Diskussion der Ergebnisse der EDiS-Studie stehen die AutorInnen am 7. Oktober 2020 auf einem „virtuellen Ausstellungsstand“ zur Verfügung, den HIS-HE im Rahmen des „University:Future Festivals“ (https://festival.hfd.digital/de/) des „Hochschulforums Digitalisierung“ anbietet. Die Veröffentlichung des EDiS-Abschlussberichts befindet sich in Vorbereitung.
Dr. Klaus Wannemacher, wannemacher@his-he.de
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