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09.10.2020 11:49

Die Lehren aus der DDR – Lorenz-von-Stein-Preis für Doktorarbeit über politische Protestbewegungen

Linda Schädler Abteilung Kommunikation
Universität Mannheim

    Dr. Katrin Paula erhält Auszeichnung für die beste Dissertation der Mannheimer Sozialwissenschaften.

    Wie und unter welchen Umständen finden sich Menschen in autoritären Regimen zu politischem Protest zusammen? Was lässt oppositionelle Gruppen zu Massenbewegungen anwachsen, die Regierungen ins Wanken bringen? Dr. Katrin Paula hat dies in ihrer Doktorarbeit am Center for Doctoral Studies in Social and Behavioral Sciences (CDSS) der Universität Mannheim untersucht. Die Sozialwissenschaftlerin forscht in ihrer Arbeit interdisziplinär an der Schnittstelle zwischen den Politikwissenschaften und der Soziologie. Am Beispiel der DDR zeigt sie unter anderem, unter welchen Bedingungen Zensur und andere repressive Maßnahmen statt einer Stabilisierung des Regimes eine Stärkung der Protestbewegung bewirken können. Die 35-Jährige stellt auch Zusammenhänge zu heutigen politischen Protesten her, wie sie etwa in Hongkong oder Belarus zu beobachten sind. Auch Demokratien stünden wegen ihrer Informationspolitik zunehmend in der Kritik, so Paula.

    Die Lorenz-von-Stein-Gesellschaft e.V. zeichnet Dr. Katrin Paula heute für die beste sozialwissenschaftliche Dissertation des vergangenen Jahres an der Universität Mannheim aus. Die Fördergesellschaft des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) prämiert seit 1999 jährlich eine Doktorarbeit aus den Fächern Politikwissenschaft, Sozialpsychologie oder Soziologie. Der Lorenz-von-Stein-Preis ist mit 1.000 Euro dotiert.

    Um die friedliche Revolution in der DDR genauer untersuchen zu können, trug Katrin Paula eine große Menge an Daten aus zahlreichen Quellen zusammen, beispielsweise aus Archiven, Medienberichten und der staatlichen DDR-Medienforschung. Sie setzte die unterschiedlichen Informationen zueinander zeitlich und geografisch in Bezug und gewann so ein umfassendes Bild von der friedlichen Revolution in der DDR.

    Anhand von Paulas Daten wird deutlich, dass die friedliche Revolution landesweit auch kleinste Gemeinden erfasste und eine räumliche Ansteckung vor allem zwischen kleineren Städten und Gemeinden erfolgte. Ereignisse in den größeren Städten hatten dennoch große Bedeutung und mobilisierten auch Menschen aus dem Umland. Die Menschen mussten also Mittel und Wege gefunden haben, sich trotz des allgegenwärtigen Überwachungsapparats gegenseitig über die staatlich unterdrückten Ereignisse zu informieren.

    Repression und Zensur bewirkten teils das Gegenteil

    Unterdrückungsmaßnahmen führten auf lokaler Ebene vorübergehend zu einem Rückgang der Proteste. Insgesamt fand die Protestbewegung aber starken Zulauf, woran laut Paulas Arbeit ausländische Medien einen großen Anteil hatten. Insbesondere wenn die DDR-Medien Berichte über Proteste nachweislich verfälschten, hatte dies Auswirkungen auf den Rückhalt des SED-Staates in der Bevölkerung. Ein Vergleich der beiden prominentesten deutschen Nachrichtensendungen, der ARD-„Tagesschau“ in der Bundesrepublik und der „Aktuellen Kamera“ im DDR-Fernsehen, macht die Zensur des DDR-Staates sichtbar – nicht nur in Katrin Paulas Dissertation, sondern auch damals schon für jedermann. Denn viele Menschen in der DDR konnten das sogenannte Westfernsehen empfangen. Sie informierten sich aus dieser zweiten Quelle über Demonstrationen, aber beispielsweise auch über die Routen von Sonderzügen, die ausreisewillige DDR-Bürger aus der Prager Botschaft der Bundesrepublik durch mehrere Städte der DDR in den Westen brachten.

    Auch Demokratien verlieren an Vertrauen

    „Wenn wir verstehen wollen, wie sich politische Proteste im Zeitalter von Internet, Smartphones und Social Media verändern, dann müssen wir zuerst verstehen, wie es ohne diese Hilfsmittel funktioniert hat“, erklärt Paula die Relevanz ihrer Arbeit für aktuelle Geschehnisse. Heute stünden auch Demokratien vor dem Problem, dass mitunter gezielt gesätes Misstrauen gegenüber den traditionellen Medien und der wachsende Einfluss individueller Informationskanäle wie Facebook zu sinkendem Vertrauen in das gesamte politische System führten. „Umso wichtiger ist es genau zu beobachten, welche Akteure in der Medienlandschaft und Informationsarchitektur Einfluss nehmen und wem die entsprechenden Unternehmen gehören. Auch sollte den Menschen schon früh über das Bildungssystem Medienkompetenz vermittelt werden, damit sie in der Lage sind, Fakten von Desinformation zu unterscheiden,“ schlussfolgert Paula, die mittlerweile Assistant Professor für „Global Security & Technology“ an der TU München ist.

    „Die Arbeit von Katrin Paula zeigt, dass die DDR auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht nur für Historiker, sondern auch für Sozialwissenschaftler ein spannendes Forschungsfeld ist“, erklärt der Vorsitzende der Lorenz-von-Stein-Gesellschaft, Professor Thomas Gschwend. „Die Jury war von der akribischen Datensammlung und der methodisch extrem anspruchsvollen Herangehensweise ähnlich beeindruckt wie die wissenschaftlichen Gutachter. Unter mehreren hervorragenden Arbeiten hat sich die Dissertation von Katrin Paula daher durchgesetzt und wird zurecht mit dem Lorenz-von-Stein-Preis gewürdigt.“

    Weitere Informationen und Kontakt:

    Dr. Katrin Paulas Doktorarbeit trägt den Titel „Micro-Dynamics of Mobilization: Evidence from the German Democratic Republic.” Betreut wurde die Arbeit von der Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Sabine Carey und dem Soziologen Prof. Dr. Thomas Gautschi.

    Prof. Dr. Katrin Paula
    Professur für Global Security & Technology
    TU München
    Telefon: +49 (0) 89/ 907793 - 180
    E-Mail: katrin.paula@hfp.tum.de

    Prof. Thomas Gschwend, PhD
    Vorsitzender d. Lorenz-von-Stein-Gesellschaft e.V.
    Universität Mannheim
    Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
    Tel: +49-621-181-2087
    Fax: +49-621-181-2845
    Email: gschwend@uni-mannheim.de
    www.mzes.uni-mannheim.de/lvs

    Nikolaus Hollermeier
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
    Universität Mannheim
    Telefon: +49-621-181-2839
    E-Mail: kommunikation@mzes.uni-mannheim.de
    www.mzes.uni-mannheim.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wettbewerbe / Auszeichnungen
    Deutsch


     

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