Forschungsteams des Paul-Ehrlich-Instituts haben gemeinsam mit Teams des Universitätsklinikums Frankfurt/Main und des Leibniz-Instituts für Primatenforschung, Göttingen, die Antikörperantwort von COVID-19-Patienten in Deutschland untersucht. Ziel war es, neue Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen dem Krankheitsverlauf und der Immunreaktion zu gewinnen und mögliche Schutzkorrelate zu identifizieren, die für die Entwicklung von Impfstoffen und therapeutischen Antikörpern benötigt werden. Die Zeitschrift The Journal of Infectious Diseases berichtet in seiner Online-Ausgabe vom 31.10.2020 über die Ergebnisse der Untersuchung.
Bereits mehr als 47 Millionen Personen haben sich weltweit mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert und rund 1,2 Millionen Todesfälle stehen im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion. Die Infektion mit SARS-CoV-2 verläuft bei Betroffenen sehr unterschiedlich. Während ein Teil der Infizierten überhaupt keine Krankheitszeichen entwickelt, erkrankt ein anderer Teil unter Beteiligung unterschiedlicher Organsysteme schwer. Bei knapp zwei Prozent der bestätigten Fälle in Deutschland verläuft die Erkrankung tödlich. Für die Entwicklung wirksamer therapeutischer Maßnahmen ist ein umfassendes Verständnis der Pathogenese von SARS-CoV-2 und der immunologischen Prozesse erforderlich, wodurch auch die unterschiedlichen Krankheitsverläufe erklärbar werden könnten. Neben Prozessen der angeborenen Immunantwort sind vor allem zwei Säulen der erworbenen Immunität von zentraler Bedeutung für die Immunabwehr des Coronavirus SARS-CoV-2: Zum einen die Bildung von spezifischen Antikörpern (Immunglobulinen), die das Virus neutralisieren und inaktivieren können. Diese Immunantwort wird als humorale Immunantwort bezeichnet. Eine weitere Säule ist die Bildung spezifischer Immunzellen (T-Zellen), die zelluläre Immunantwort, die infizierte Zellen abtöten kann.
Forschungsteams des Paul-Ehrlich-Instituts um Prof. Barbara Schnierle, Leiterin des Fachgebiets "AIDS, neue und neuartige Erreger", und Dr. Heinrich Scheiblauer, stellv. Leiter des Prüflabors für In-vitro-Diagnostika haben gemeinsam mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen des Universitätsklinikums Frankfurt/Main und des Leibniz-Institut für Primatenforschung, Göttingen, die humorale Immunantwort – die Antikörperbildung – in einer Kohorte von 143 COVID-19-Patienten des Universitätsklinikums Frankfurt/Main charakterisiert. Sie wiesen SARS-CoV-2-spezifische Antikörper mittels Enzym-linked Immunosorbent-Assay (ELISA) nach. Die Neutralisierungsaktivität –also die Fähigkeit der Antikörper, die Anbindung des Virus SARS-CoV-2 an die zellulären ACE2-Rezeptoren und damit die Infektion neuer Zellen zu neutralisieren – wurde mit sogenannten pseudotypisierten lentiviralen Vektoren analysiert. Dabei handelt es sich um vermehrungsunfähige Viruspartikel, die mit dem Spikeprotein des SARS-CoV-2-Virus bestückt sind und wie CoV-2 an die ACE2-Rezeptoren binden können.
Rund drei Viertel der 143 COVID-19-Patienten hatten eine leichte Erkrankung. Bei älteren Patienten, insbesondere bei Männern, traten jedoch häufiger schwere Fälle auf. Der klinische Schweregrad der Erkrankung war positiv korreliert mit dem Spiegel (Titer) SARS-CoV-2-neutralisierender Antikörper in den Serumproben der Patienten. Darüber hinaus korrelierten die Spiegel bestimmter Antikörper, die Immunglobuline (Ig) IgG und IgA, die gegen das SARS-CoV-2-Spikeprotein oder die Rezeptorbindungsdomäne (RBD) im Spikeprotein gerichtet waren, mit der Schwere der Erkrankung. Bei den Patienten mit einem klinisch weniger schweren Verlauf wurde eine Abnahme der IgG-Antikörper-Spiegel in später entnommenen Blutproben festgestellt.
Insgesamt waren die neutralisierenden Antikörpertiter von Patientinnen und Patienten mit leichter Erkrankung sehr niedrig. Höhere Titer wurden nur bei Patientinnen und Patienten mit schwerer Erkrankung festgestellt. Dies bestätigt früher berichtete Beobachtungen, dass die meisten rekonvaleszenten Plasmaproben von Personen, die sich von COVID-19 erholt haben, keine hohe neutralisierende Aktivität aufweisen.
Immer wieder wird die Möglichkeit einer Kreuzprotektivität diskutiert: Gemeint ist, dass ein früherer Kontakt mit verwandten harmloseren Coronaviren des Menschen dafür sorgen könnten, dass das Immunsystem besser für eine SARS-CoV-2-Infektion gewappnet sein könnte. Das humane Coronavirus NL63 (HCoV-NL63) wurde erstmalig 2004 beschrieben und verursacht leichte bis mittelschwere Atemwegsinfektionen. Serologische Daten über NL63-Infektionen liegen hauptsächlich von Kindern vor und weisen darauf hin, dass HCoV-NL63-Infektionen in der Kindheit häufig auftreten. Es könnte spekuliert werden, dass eine bereits bestehende Immunität gegen HCoV-NL63 oder andere gewöhnliche Erkältungs-Coronaviren das Risiko einer schweren Erkrankung verringern könnte. In der aktuellen Untersuchung gab es Hinweise auf eine Korrelation zwischen einem schweren COVID-19-Krankheitsverlauf und einer niedrigen HCoV-NL63-neutralisierenden Aktivität, allerdings bei geringer Datenmenge. Dieser Hinweis wird sicher Anlass für weiterführende Untersuchungen sein.
Henss L, Scholz T, von Rhein C, Wieters I, Borgans F, Eberhardt FJ, Zacharowski K, Ciesek S, Rohde G, Vehreschild M, Stephan C, Wolf T, Hofmann-Winkler H, Scheiblauer H, Schnierle BS (2020): Analysis of humoral immune responses in SARS-CoV-2 infected patients.
J Infect Dis Oct 31 [Epub ahead of print].
DOI: 10.1093/infdis/jiaa680
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33128369/ - Online-Abstract
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Antikörper greifen das SARS-CoV-2-Virus an
Source: Kateryna Kon/Shutterstock.com
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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