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10.11.2020 09:00

Daumenkino Sedimentarchiv: Klimazeugen beschreiben regionale Folgen eiszeitlicher Klimaschwankung in Ultrahochauflösung

Dr. Barbara Hentzsch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

    Ein internationales Geologen-Team um den Warnemünder Markus Czymzik rekonstruierte an einem Sedimentkern aus dem Schwarzen Meer, wie sich das Grönland Interstadial 10 (GI10), eine Klimaerwärmung vor ca. 41.000 Jahren, im Laufe von Jahrzehnten auf das Klima in der Schwarzmeer-Region auswirkte. Dies wurde über eine präzise Synchronisation mit Eisbohrkernen, in denen GI10 nachgewiesen wurde, und engmaschige Multi-Proxy-Analysen möglich. Die Reaktion lief danach nicht synchron ab: Eine deutliche Erwärmung setzte erst 190 Jahre später ein. Mit dieser präzisen Rekonstruktion stößt man in Zeitskalen vergleichbar der rezenten Erderwärmung vor und hilft damit wichtige Prozesse besser zu verstehen.

    Während der letzten Eiszeit traten in den hohen Breiten der Nordhemisphäre immer wieder Klimaschwankungen auf: So genannte Interstadiale oder Zwischenwarmzeiten führten innerhalb von Jahrzehnten zu einer abrupten Erwärmung und dauerten einige 100 bis wenige 1000 Jahre an. Die meisten Paläoklimaforscher sehen die Ursache dafür in kurzfristigen Wiederbelebungsphasen der Nordatlantischen Umwälzzirkulation - einer Meeresströmung, die heute dafür sorgt, dass der Nordatlantikstrom, als nördliche Verlängerung des Golfstroms, warmes Wasser weit in den Norden bringt. Während der Kaltphasen der letzten Eiszeit kam sie jeweils zum Erliegen, mit kurzen Unterbrechungen, die dann zu den Zwischenwarmzeiten führten.

    In Eisbohrkernen aus dem grönländischen Eisschild sind eine Reihe solcher sprunghaften Erwärmungen überliefert. Um beantworten zu können, wie sie sich, vom Nordatlantik ausgehend, auf der übrigen Nordhalbkugel auswirkten, benötigt man weitere, regionale Klimaarchive, über die man das gefragte Interstadial zeitlich hoch genau vergleichen kann. Die meisten Altersdatierungen sind jedoch – vor allem bei relativ kurzen Ereignissen wie den Übergängen zu den Interstadialen - zu ungenau, um eine Synchronität der Archive gewährleisten zu können.

    Als geeignetes Werkzeug kommt hier das kosmogene Radionuklid 10-Be (gesprochen: Beryllium 10) ins Spiel, das weltweit am Kontakt der Erdatmosphäre mit dem Weltraum durch kosmische Strahlung entsteht und überall auf der Erde mehr oder weniger gleichmäßig „abgeregnet“ wird. Konserviert in Sediment- und Eis-Archiven dokumentieren sich die global einheitlichen Schwankungen seiner atmosphärischen Produktionsrate. Die Muster der Veränderung im 10-Be Gehalt über eine bestimmte Zeitspanne werden also in einem grönländischen Eisbohrkern identisch mit denen in einem Sedimentkern aus dem Schwarzen Meer sein, obwohl beide Orte Tausende Kilometer voneinander entfernt sind.

    Diesen Umstand machten sich Geolog*innen vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung, vom Helmholtz-Zentrum Potsdam - GFZ, der Universität Lund und der ETH Zürich zu Nutze, um in einem Sedimentkern aus dem südlichen Schwarzen Meer in hoher Auflösung die Auswirkungen des Grönländischen Interstadials 10 zu erkennen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie diese Woche in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA (PNAS).

    Mithilfe der 10-Be Methode konnten sie im Sedimentkern die Abschnitte identifizieren, die zeitgleich mit dem Grönland-Interstadial 10 abgelagert worden waren, also ungefähr 41.000 Jahre alt sind. In diesen Meeresablagerungen untersuchten sie in Zeitschritten von unter 10 Jahren anhand von verschiedenen Indikatoren, auch Proxies genannt, wie sich die damalige Umwelt veränderte.

    Sie nutzten dabei drei verschiedene Proxies: 1) so genanntes ice-rafted-detritus (IRD), Eis-transportierte Gesteinsbröckchen, die die Präsenz von Küsteneisschollen während besonders kalter Winter anzeigen, (2) das Kalium/Titan Verhältnis des durch Flüsse von Land eingeschwemmten Sediments, das das Niederschlagsgeschehen in der Region widerspiegelt und (3) den Kalzium-Gehalt, der die Kalziumkarbonatfällung im Wasser des Schwarzen Meeres während wärmerer Phasen anzeigt und somit ein Temperaturanzeiger ist.

    Die Ergebnisse zeigen das Klimageschehen in der südlichen Schwarzmeer-Region während des Übergangs zum und im Grönland-Interstadial 10 wie in einem Daumenkino: Zu Beginn signalisiert die Abnahme des Küsteneises, dass die Erwärmung im Nordatlantik zeitgleich zu milderen Wintern in der Schwarzmeer-Region geführt hat. Im weiteren Verlauf und mit einer Verzögerung von circa 190 Jahren setzt eine Zunahme der Niederschläge ein und die Temperatur des Oberflächenwassers des Schwarzen Meeres, das damals noch ein Süßwassersee war, erhöht sich.

    Dieses Muster aus einerseits unmittelbarer Reaktion des winterlichen Küsteneises und andererseits eines zeitverzögerten Auftretens von höheren Niederschlägen und wärmeren Temperaturen des Oberflächenwassers konnten die Autor*innen in ihrem Sedimentkern auch für die Grönland-Interstadiale 9 und 11 bestätigen und mit Hilfe eines plausiblen Klimamechanismus erklären.

    „Aufgrund der fehlenden stratigraphischen Genauigkeit gingen frühere Studien davon aus, dass sich interstadiale Klimaveränderungen auf der jeweiligen Hemisphäre in etwa gleichzeitig auswirkten. Wir sehen jetzt, dass das so nicht stimmt“, erläutert Meeresgeologe Markus Czymzik. „Nach unseren Annahmen musste sich erst das nordatlantische und mediterrane Oberflächenwasser soweit erwärmen, dass sich dadurch auch das atmosphärische Zirkulationsmuster änderte. Das dauerte rund 190 Jahre. Erst dann sehen wir am Schwarzen Meer ein verändertes Niederschlagsgeschehen und eine höhere Temperatur des Oberflächenwassers.“

    Helge Arz, Leiter der Sektion Marine Geologie am IOW, ergänzt: „Dies zeigt uns, wie wichtig es ist, auch auf regionaler Ebene die verschiedenen Komponenten des Klimasystems genau zu betrachten, um die zeitliche und räumliche Ausbreitung der Folgen der menschengemachten Erderwärmung zu verstehen.“

    Kontakt IOW Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
    Dr. Kristin Beck: 0381 5197 135| kristin.beck@io-warnemuende.de
    Dr. Barbara Hentzsch: 0381 5197 102 | barbara.hentzsch@io-warnemuende.de

    Das IOW ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der zurzeit 95 Forschungsinstitute und wissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen für die Forschung gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Bund und Länder fördern die Institute gemeinsam. Insgesamt beschäftigen die Leibniz-Institute etwa 19.100 MitarbeiterInnen, davon sind ca. 9.900 WissenschaftlerInnen. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Mrd. Euro. www.leibniz-gemeinschaft.de


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Markus Czymzik | Tel.: +49 (0)381 5197 3460 | markus.czymzik@io-warnemuende.de
    Prof. Dr. Helge Arz | Tel.: +49 (0)381 5197 350 | helge.arz@io-warnemuende.de


    Originalpublikation:

    Czymzik, M., Nowaczyk, N. R., Dellwig, O., Wegwerth, A., Muscheler, R., Christl, M., Arz, H. W.: Lagged atmospheric circulation response in the Black Sea region to Greenland Interstadial 10. Proceedings of the National Academy of Sciences Nov 2020, doi.org/10.1073/pnas.2005520117


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    Helge Arz und sein rumänischer Kollege Dan Secrieru beim Öffnen eines Teil-Kerns an Bord von FS Meteor
    Helge Arz und sein rumänischer Kollege Dan Secrieru beim Öffnen eines Teil-Kerns an Bord von FS Mete ...
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    Das ist er - des Pudels Kern: aufgeschnitten und in Teilabschnitten nebeneinander gelegt.
    Das ist er - des Pudels Kern: aufgeschnitten und in Teilabschnitten nebeneinander gelegt.
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Helge Arz und sein rumänischer Kollege Dan Secrieru beim Öffnen eines Teil-Kerns an Bord von FS Meteor


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