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01.12.2020 16:09

Mathematik: völlig neue Möglichkeiten zur Entscheidungsfindung dank multipler Skala

Vicky Rabensteiner Presse und Veranstaltungsmanagement
Freie Universität Bozen

    Standen Sie als Personalchef auch schon vor dem Dilemma, dass die traditionelle Skalierung in einem Entscheidungsprozess nicht alle Fähigkeiten von Bewerber*innen abbildet? „In unseren bisherigen linearen Entscheidungsmodellen müssen wir, salopp gesagt, oft Äpfel mit Birnen vergleichen und tun das auch: nach Gewicht, Preis, Kosten für Lagerung pro Tonne etc.“, so Prof. Andreas Hamel. „Wir können das jetzt bezüglich aller Parameter gleichzeitig tun.“ Der Mathematiker an der Freien Universität Bozen hat nun ein Paper veröffentlicht, das völlig neue Wege der Entscheidungsfindung eröffnet. Die lineare Skalierung macht einer multiplen Skala Platz.

    In unserem traditionellen Denkschema sind wir es gewohnt, linear nach quantifizierbaren Kriterien zu entscheiden: beispielsweise bei einer Bewerbung, bei der die Bewerber*innen nach Punkten gerankt werden, was in der Mathematik „skalarisieren“ genannt wird. Was aber, wenn die mitgebrachten Fähigkeiten grundsätzlich unterschiedlich sind und man beispielsweise Punkte für Forschung und Punkte für Lehre nicht in eine gemeinsame Skala übertragen kann? Hier öffnet die Theorie, die Prof. Andreas Hamel und Forscherin Carola Schrage von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der unibz zusammen mit zwei Kollegen aus Varese entworfen haben, völlig neue Denkwelten.

    Hamels und Schrages Theorie beschreibt einen gänzlich neuen Weg zur Entscheidungsfindung in Fällen, in denen mehrere quantifizierbare Kriterien vorhanden sind. Im Personalmanagement an Universitäten werden beispielsweise Stellenbewerber*innen nach verschiedenen Merkmalen wie Forschungsoutput, Qualität der Lehre und Vernetzung im Sinne der Third Mission bewertet. Die Entscheidung für eine Berufung wird oftmals über ein Punktesystem getroffen: In jeder Kategorie werden Punkte vergeben, die zusammengezählt werden, um die Kandidatin/den Kandidaten mit den meisten Punkten einzustellen. In der Mathematik nennt man ein solches Verfahren Skalarisierung, in der Entscheidungstheorie nennt man es Ranking. Es hat den Vorteil, dass der Vergleich der Kandidat*innen auf den Vergleich von Zahlen reduziert wird, was natürlich einfacher ist, da sich stets zwei Zahlen vergleichen lassen und das Ganze so den Beigeschmack der Objektivität hat. In den Wirtschaftswissenschaften wird das über eine so genannte Nutzenfunktion erreicht, die ebenfalls Zahlen als Werte produziert.

    Was aber, wenn die Merkmale grundsätzlich verschieden sind und man beispielsweise Punkte für Forschung und Punkte für Lehre nicht in eine gemeinsame Skala übertragen kann oder will? Diese Frage ist auch dadurch motiviert, dass ein einziges, von den Entscheidungstragenden gewähltes Ranking nicht immer objektiv ist: Eine geringfügige Änderung würde bereits sehr unterschiedliche Ergebnisse bringen.

    Ein ähnliches typisches Beispiel ist die Saffir-Simpson-Skala für tropische Wirbelstürme: Sie basiert ausschließlich auf der Windstärke und lässt andere Parameter wie Innendruck oder potenzielle Sturmfluthöhen völlig außer Acht. Auch deswegen fordern Expert*innen auf diesem Gebiet inzwischen Multi-Parameter-Messungen, um die potenziellen Schäden von Hurrikanen punktgenauer abschätzen zu können.

    Nobelpreisträger wie Robert Aumann und Lloyd Shapley haben bereits vor ca. 60 Jahren das Ranking mittels Zahlen und die Skalarisierung mit nur einer Nutzenfunktion in Frage gestellt. Das aktuelle Paper bietet nun eine völlig neue und mathematisch so interessante wie herausfordernde Möglichkeit, mit mehreren (sogar unendlich vielen) Skalarisierungsfunktionen gleichzeitig umzugehen. Insbesondere werden neue Lösungskonzepte für das Problem vorgestellt, beste oder nahezu beste Alternativen mit Hilfe von Multi-Skalarisierungen zu finden. Viele Beispiele aus den Bereichen Finanzmathematik, Wirtschaftswissenschaften, Statistik und Multikriterieller Entscheidungsfindung werden in den neuen mathematischen Rahmen eingearbeitet. Dabei kommen Methoden und Konzepte aus der Verbandstheorie zum Einsatz, einem Zweig der mathematischen Ordnungstheorie. Auf diese Weise bringt das Papier abstrakte Mathematik mit spezifischen Anwendungen zusammen.

    Das Paper, das Professor Andreas Hamel und Forscherin Carola Schrage zusammen mit den Forschern Giovanni Crespi und Matteo Rocca von der Universität Insubria verfasst haben, wurde am 9. Oktober 2020 in der Zeitschrift Mathematics of Operations Research erstmals online veröffentlicht. Mathematics of Operations Research ist für Mathematiker*innen die führende Zeitschrift auf dem Gebiet der mathematischen Optimierung, Spieltheorie und stochastischen Modellierung.

    Lesen Sie hier die Originalpublikation: https://pubsonline.informs.org/doi/abs/10.1287/moor.2020.1060


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Andreas Hamel


    Originalpublikation:

    https://pubsonline.informs.org/doi/abs/10.1287/moor.2020.1060


    Bilder

    Mathematikprofessor Andreas Heinrich Hamel
    Mathematikprofessor Andreas Heinrich Hamel
    unibz/Erlacher
    unibz


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Mathematik, Wirtschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Mathematikprofessor Andreas Heinrich Hamel


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