idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
03.12.2020 10:08

Ein mathematisches Modell zur Vorhersage von Stressreaktionen

Nathalie Matter Media Relations, Universität Bern
Universität Bern

    Ein internationales Team unter der Leitung von Barbara Taborsky vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern hat erstmals ein mathematisches Modell entwickelt, das unter Berücksichtigung von Umweltfaktoren vorhersagt, wie Lebewesen auf Stress reagieren.

    Alle Organismen, von Einzellern über Pflanzen zu Tieren, zeigen unmittelbare Reaktionen, wenn sie sogenannten Umweltstressoren ausgesetzt sind (beispielsweise der Attacke eines Räubers, dem plötzlichen Einsetzen eines Unwetters etc.). Von uns Menschen kennen wir solche Stressreaktionen zum Beispiel in Situationen wie Prüfungsstress, oder nach einer gefährlichen Situation im Autoverkehr. Stressreaktionen helfen, auf Bedrohungen zu reagieren, doch Stress verbraucht auch Energie, und chronischer Stress kann schädlich sein. Die physiologische Reaktion auf einen Stressor funktioniert bei allen Organismen nach dem gleichen Schema: Von einem tiefen Level (Basallevel) steigt das Stressmolekül (meist ein Stresshormon) nach einem Stressreiz innert Minuten stark an, und sinkt dann langsam über den Verlauf von Stunden wieder auf den Basallevel ab. Die Stressreaktionen unterscheiden sich jedoch stark zwischen verschiedenen Arten und sogar zwischen Individuen derselben Art was das Basallevel, den Peak und die Abbaugeschwindigkeit der Stresshormone betrifft.

    «Bei einem Workshop in der Schweiz, bei dem die Ko-Autorinnen und -Autoren der aktuellen Studie als Redner eingeladen waren, fanden wir gemeinsam heraus, dass es überraschenderweise keine evolutiven Modelle gibt, die den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Stressantwort von Lebewesen vorhersagen», erklärt Barbara Taborsky, Erstautorin der Studie in Trends in Ecology & Evolution und Professorin am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern. Deshalb entwickelten Taborsky und ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz, Finnland, Grossbritannien und Schweden ein mathematisches Modell, das unter Berücksichtigung der Umweltfaktoren die «optimale Stressreaktion» vorhersagt – also z.B. wie stark eine Reaktion sein und wie schnell sie abklingen sollte.

    Das «optimale» Stressniveau prognostizieren

    Das Modell der Forschungsgruppe kombiniert bestehende Forschung zur Stressphysiologie bei vielen Lebewesen mit der Analyse optimaler Stressreaktionen, die Kosten und Nutzen von Stress ausgleichen. «Ein wichtiger Punkt dabei ist die Bedeutung der Vorhersehbarkeit von Bedrohungen für einen Organismus», erklärt Barbara Taborsky. Beispielweise legt das neue Modell nahe, dass ein Organismus, der in einer gefährlichen Umgebung lebt, einen hohen Basallevel an Stresshormonen haben sollte. Damit ist der Organismus jederzeit bereit, auf eine Gefahr zu reagieren, trägt aber die erhöhten Kosten (wie zum Beispiel den Energieaufwand) eines höheren Basallevels. Hingegen profitiert ein Lebewesen in einer sichereren Umgebung davon, wenn es, ausgehend von einem tiefen Basallevel, in der Lage ist, das Stressniveau schnell erhöhen und reduzieren zu können. «Unser Ansatz zeigt, dass die Vorhersagbarkeit der Umwelt und die physiologischen Grenzen eines Organismus Schlüsselfaktoren bei der Evolution von Stressreaktionen sind», sagt Taborsky.

    Prüfbare Vorhersagen für weitere empirische Forschung

    Die Studie ist damit ein Schritt auf dem Weg zum Verständnis, warum Stressreaktionen so variabel sind. «Es ist weitere Forschung notwendig, um das wissenschaftliche Verständnis der Entwicklung dieses physiologischen Kernsystems voranzutreiben», sagt Barbara Taborsky. «Hierfür generiert unser Modell prüfbare Vorhersagen über die Variation der Stressreaktion zwischen Arten und Kontexten.» Das Verständnis der Entwicklung von Stressreaktionen ist wichtig, um vorherzusagen, wie Organismen auf Umweltveränderungen reagieren. «Wir haben mit unserem Modell einen ersten Schritt hin zu einer mathematischen Theorie der Evolution von Stressreaktionen gemacht. Wir hoffen, damit ein neues Feld in der Stressbiologie und deren Verständnis vor einem evolutiven Hintergrund zu begründen», so Taborsky.

    Die Studie wurde von der Universität Bern, der University of Bristol, der University of Exeter, der Stockholm University, der University of Turku und der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Barbara Taborsky
    Institut für Ökologie und Evolution, Universität Bern
    Telefon: +41 31 631 91 57
    E-Mail: barbara.taborsky@iee.unibe.ch


    Originalpublikation:

    Barbara Taborsky, Sinead English, Tim W. Fawcett, Bram Kuijper, Olof Leimar, John M. McNamara, Suvi Ruuskanen, and Carmen Sandi: Towards an Evolutionary Theory of Stress Responses. Trends in Ecology & Evolution, Published: October 05, 2020. https://doi.org/10.1016/j.tree.2020.09.003


    Weitere Informationen:

    https://www.unibe.ch/aktuell/medien/media_relations/medienmitteilungen/2020/medi...


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).