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10.12.2020 11:42

Messung einer nuklearen Schlüsselreaktion liefert unabhängige Bestätigung für wichtigen Parameter der Kosmologie

Dr. Christine Bohnet Kommunikation und Medien
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf

    Die Wissenschaftler*innen im Bereich der nuklearen Astrophysik wollen die Entstehung der Elemente im Universum seit Anbeginn der Zeit erklären. Die dabei erdachten Modelle fußen auf Kenngrößen, die sie aus Messdaten gewinnen, etwa die kosmische Dichte der aus Atomen aufgebauten Materie oder die Häufigkeit der Elemente im All. Eine wichtige Rolle spielen hier die Reaktionen leichter Atomkerne miteinander, unmittelbar nach dem Urknall. Ein Team unter führender Beteiligung des HZDR hat, wie das Fachmagazin Nature berichtet, eine der zentralen Reaktionen mit bisher unerreichter Genauigkeit untersucht: die Fusion eines Wasserstoffkerns, dem Proton, mit dem Kern des Wasserstoffisotops Deuterium.

    Die Astrophysiker*innen aus Italien, Deutschland, Schottland und Ungarn haben am Laboratory for Underground Nuclear Astrophysics (LUNA) am Gran Sasso d’Italia diese Schlüsselreaktion der sogenannten primordialen Nukleosynthese untersucht. „So bezeichnen wir die Abfolge von Kernaufbaureaktionen, die zur Entstehung der leichtesten chemischen Elemente geführt hat, nur Sekunden nach dem Urknall. Bei dem von uns konkret untersuchten Prozess wird der Kern des Wasserstoffisotops Deuterium mit einem Proton beschossen. Dabei entsteht Helium-3, ein stabiles Helium-Isotop, sowie ein Gammaquant, das wir mit unserem Reinstgermanium-Detektor nachweisen können“, erläutert Doktorand Klaus Stöckel vom Institut für Strahlenphysik am HZDR das experimentelle Vorgehen.

    Die Forscher*innen waren vor allem am sogenannten Wirkungsquerschnitt der Reaktion interessiert, der Auskunft über die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens gibt. Diesen Parameter haben sie nun mit beispielloser Präzision bestimmt. Zuvor hatte es nur wenige Daten im Bereich der Teilchenenergien gegeben, die für Reaktionen kurz nach dem Urknall relevant sind. Außerdem war die dabei erzielte Messunsicherheit zu hoch, um bei der Modellierung der Prozesse verlässlich genutzt werden zu können.

    Primordiales Nuklearzeitalter: Synthese-Kickstart im Ur-Kosmos
    Protonen und Neutronen, die Bausteine aller chemischen Elemente, entstanden in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall. Als sich das Universum weiter ausdehnte und dabei abkühlte, bildete sich zunächst Deuterium, schwerer Wasserstoff. In weiteren Reaktionen entstanden andere Atomkerne wie Helium-3 und Helium-4. Drei Minuten nach dem Urknall bestand das Universum aus rund 75 Prozent Wasserstoff und 25 Prozent Helium-4, mit Spuren anderer leichter Elemente.

    An diesem Verhältnis hat sich im Wesentlichen bis heute nichts geändert. Die erstaunlich genaue Vorhersage dieser Verteilung durch die Theorie der primordialen Nukleosynthese ist gleichzeitig eines der stärksten Argumente für ihre Richtigkeit: Sie bildet heute eins der Fundamente des Standardmodells der Kosmologie, das unsere Vorstellungen von der Entwicklung des Universums vereint.

    In der kosmischen Stille des Gran Sasso
    Um Wirkungsquerschnitte von Urknall-relevanten Kernreaktionen genau messen zu können, benötigen die Astrophysiker*innen eine effiziente Abschirmung vor kosmischer Strahlung, deren Hintergrundsignale die Ergebnisse verfälschen können. Das gelingt im unterirdischen LUNA-Labor am Gran Sasso. Das sich 1400 Meter über der Einrichtung auftürmende Sedimentgestein der Abruzzen bietet ideale Bedingungen für das Experiment: Hier können die Wissenschaftler*innen ungestört von äußeren Strahlungseinflüssen Prozesse nachstellen, die während der ersten Kernverschmelzungen des Universums abliefen.

    Das LUNA-Team hat mit seinen Messungen die Uhr bis auf wenige Minuten nach der Geburt unseres Universums zurückgedreht: „Die Menge des gebildeten primordialen Deuteriums wird hauptsächlich durch die Fusionsreaktion bestimmt, die wir hier in ausgedehnten Messkampagnen untersucht haben. Die ermittelte Dichte der gewöhnlichen, aus Protonen und Neutronen bestehenden Materie stimmt hervorragend mit Werten überein, die Astrophysikerinnen und Astrophysiker zuvor aus ganz andersartigen Methoden ableiten konnten, wie etwa aus der Vermessung der kosmischen Hintergrundstrahlung oder der Untersuchung der Deuterium-Häufigkeit in bestimmten Wasserstoffgaswolken“, fasst HZDR-Projektleiter Dr. Daniel Bemmerer zusammen.

    Die Ergebnisse der Studie ermöglichen es den Forscher*innen nun, eine genaue Bestimmung der Dichte der gewöhnlichen Materie im Universum vorzunehmen, die alles umfasst, was wir kennen - einschließlich des Lebens auf unserem Planeten. Laut aktuellem Wissensstand macht gewöhnliche Materie demnach fünf Prozent des Gesamtuniversums aus – die verbleibenden 95 Prozent werden unsichtbarer dunkler Materie und dunkler Energie zugerechnet.

    Das Team wird seine wissenschaftliche Tätigkeit im nächsten Jahrzehnt mit dem LUNA-MV-Projekt fortsetzen, das sich auf die Untersuchung von Schlüsselreaktionen konzentriert, die für das Verständnis der chemischen Zusammensetzung des Universums und der Nukleosynthese der schweren Elemente wichtig sind. Die Wissenschaftler*innen setzen dabei auch auf komplementäre Experimente im Untertagelabor Felsenkeller, das vom HZDR und der TU Dresden gemeinsam betrieben wird.

    Die Arbeiten wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert.

    Text: Dr. Bernd Schröder

    Publikation:
    V. Mossa, K. Stöckel, F. Cavanna, F. Ferraro, M. Aliotta, F. Barile, D. Bemmerer, A. Best, A. Boeltzig, C. Broggini, C. G. Bruno, A. Caciolli, T. Chillery, G. F. Ciani, P. Corvisiero, L. Csedreki, T. Davinson, R. Depalo, A. Di Leva, Z. Elekes, E. M. Fiore, A. Formicola, Zs. Fülöp, G. Gervino, A. Guglielmetti, C. Gustavino, G. Gyürky, G. Imbriani, M. Junker, A. Kievsky, I. Kochanek, M. Lugaro, L. E. Marcucci, G. Mangano, P. Marigo, E. Masha, R. Menegazzo, F. R. Pantaleo, V. Paticchio, R. Perrino, D. Piatti, O. Pisanti, P. Prati, L. Schiavulli, O. Straniero, T. Szücs, M. P. Takács, D. Trezzi, M. Viviani, S. Zavatarelli, The baryon density of the Universe from an improved rate of deuterium burning, in Nature, 2020 (https://doi.org/10.1038/s41586-020-2878-4 )

    Weitere Informationen:
    PD Dr. Daniel Bemmerer
    Gruppenleiter Nukleare Astrophysik
    Institut für Strahlenphysik am HZDR
    Tel.: +49 351 260-3581 | E-Mail: d.bemmerer@hzdr.de

    Medienkontakt:
    Simon Schmitt | Wissenschaftsredakteur
    Tel.: +49 351 260-3400 | Mobil: +49 175 874 2865 | E-Mail: s.schmitt@hzdr.de
    Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR)
    Bautzner Landstr. 400, 01328 Dresden | www.hzdr.de

    Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
    • Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
    • Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
    • Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
    Das HZDR entwickelt und betreibt große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
    Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat sechs Standorte (Dresden, Freiberg, Görlitz, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    PD Dr. Daniel Bemmerer
    Gruppenleiter Nukleare Astrophysik
    Institut für Strahlenphysik am HZDR
    Tel.: +49 351 260-3581 | E-Mail: d.bemmerer@hzdr.de


    Originalpublikation:

    V. Mossa et al., The baryon density of the Universe from an improved rate of deuterium burning, in Nature, 2020 (https://doi.org/10.1038/s41586-020-2878-4 )


    Bilder

    Ionenquelle des LUNA-Beschleunigers während einer Wartungsphase. Die Leuchterscheinung ist das Wasserstoffplasma, aus dem Wasserstoffkerne für die Fusionsreaktion gewonnen werden.
    Ionenquelle des LUNA-Beschleunigers während einer Wartungsphase. Die Leuchterscheinung ist das Wasse ...
    LUNA Collaboration/LNGS-INFN
    LUNA Collaboration/LNGS-INFN


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Chemie, Energie, Philosophie / Ethik, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Ionenquelle des LUNA-Beschleunigers während einer Wartungsphase. Die Leuchterscheinung ist das Wasserstoffplasma, aus dem Wasserstoffkerne für die Fusionsreaktion gewonnen werden.


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