Ein typisch weiblicher Sprachstil fördert im digitalen Kontext die Beliebtheit von Beiträgen und entpuppt sich als effektives Werkzeug, um sozialen Einfluss auszuüben. Dies zeigen UZH-Psychologinnen in einer internationalen Studie, in der sie 1100 TED Talks analysierten.
Ein grosser Teil sozialer Interaktion findet heutzutage digital statt. Online verbreitete Inhalte können im Handumdrehen eine enorme Reichweite erzielen und einen beträchtlichen sozialen Einfluss ausüben. Damit einher geht das Risiko, dass gängige gesellschaftliche Vorurteile wie Geschlechtsstereotypen über digitale Medien verstärkt werden. Ein Verhaltensmerkmal, das für solchen sozialen Bewertungen eine besondere Rolle spielt, ist der Sprachgebrauch. In bisherigen Untersuchungen, die sich auf Offline-Kontexte bezogen, zeigte sich, dass männliche Merkmale mit mehr Einfluss, weibliche tendenziell mit weniger Kompetenz verbunden waren.
Männer und Frauen zeigen im Durchschnitt unterschiedliche Sprachstile
Um zu untersuchen, wie geschlechtsabhängige Sprachstile die Wirkung von Online-Beiträgen beeinflussen und ob sie denselben Regeln wie in Offline-Umgebungen unterliegen, machte sich eine internationale Forschungsgruppe unter Leitung der Universität Zürich die Wissenschaftsplattform TED zunutze. Die darauf kostenlos verfügbaren TED Talks werden im Durchschnitt zwei Millionen Mal angesehen. Ihr Themenspektrum reicht von Technologie, Entertainment und Design (TED) über globale Themen bis hin zu Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.
Die Forschenden trugen die Transkripte von knapp 1100 TED Talks zusammen (davon 348 Frauen), um darin typisch männliche und typisch weibliche Sprachstile zu identifizieren. Dazu wurde ein Index genutzt, der jede Sprecherin und jeden Sprecher zwischen den anhand grosser Stichproben empirisch definierten Extremen von sehr männlicher bis zu sehr weiblicher Sprache verortete. Gemäss bisherigen Forschungen verwenden Männer in der Regel eine abstraktere und analytischere Sprache, während frauentypische Sprache als narrativer, persönlicher, sozialer und emotionaler beschrieben wird. So neigen Rednerinnen beispielsweise dazu, sich mehr auf sich selbst und auf andere Menschen zu beziehen als Männer.
Frauentypische Sprache führt zu grösserer Reichweite
Die identifizierten Sprachstile setzten die Forschenden mit der Anzahl Ansichten sowie den positiven und negativen Bewertungen der jeweiligen Beiträge in Verbindung. Damit wollten sie herausfinden, welcher Sprachstil in TED Talks eine stärkere Wirkung zeigt: ein eher instrumenteller und komplexer männertypischer Sprachstil oder ein einfacherer und persönlich gefärbter frauentypischer Sprachstil.
«Da der Vorteil von Männern in Bezug auf soziale Beeinflussung gut dokumentiert ist, erwarteten wir auch in den TED Talks einen Vorteil des männlichen Sprachstils», sagt UZH-Psychologin und Erstautorin Tabea Meier. «Wir nahmen an, dass insbesondere Frauen von einem männertypischen Sprachstil profitieren und damit den geringeren Status, der ihrem Geschlecht üblicherweise zugeschrieben wird, überwinden.» Doch genau das Gegenteil war der Fall: Die frauentypische Sprache zeigte bei den untersuchten TED Talks eine grössere Wirkung. Vorträge, die eine stärkere Ausprägung in Richtung weiblicher Sprachstil aufwiesen, wurden deutlich mehr angeschaut und zwar unabhängig vom effektiven Geschlecht der Referierenden. «Der weibliche Sprachstil verschaffte männlichen und weiblichen Sprechern also gleichermassen einen Vorteil und führte zu einer grösseren Reichweite», so Meier. «Bei den beliebtesten TED Talks bedeutete dies bis über 700'000 zusätzliche Ansichten.»
«Schön» und «mutig» versus «faszinierend» und «informativ»
Der Sprachstil der Rednerinnen und Redner wirkte sich nicht bloss quantitativ, sondern auch qualitativ – d.h. auf die Bewertungen der Vorträge – aus. Je «weiblicher» der Sprachgebrauch desto eher wurden positive Adjektive wie «schön», «mutig» und «lustig» in der Bewertung ausgewählt, während ein typisch männlicher Sprachstil eher Urteile wie «genial» «faszinierend» «informativ» und «überzeugend» hervorrief. «Diese unterschiedlichen Qualitäten entsprechen den gängigen Geschlechterstereotypen, wonach Frauen wärmer und emotional ausdrucksstärker und Männer sachlicher sind», kommentiert Andrea Horn, Letztautorin und Forschungsgruppenleiterin an der UZH. Anders als offline scheinen sie in der digitalen Welt allerdings neu konnotiert zu sein, denn die frauentypische Sprechweise tat der Popularität der entsprechenden Beiträge keinen Abbruch. Dies spiegelte sich auch in den negativen Bewertungen der TED Talks. Die Bewertung «nicht überzeugend» kam bei Talks mit einem eher frauentypischen Sprachstil weniger häufig vor. Die Forscherinnen schliessen daraus, dass ein typisch weiblicher Sprachstil in neuartigen digitalen Kontexten für Frauen wie für Männer ein mächtiges Werkzeug sein kann, um Sichtbarkeit zu fördern und sozialen Einfluss auszuüben.
Psychologisches Institut
Universität Zürich
Tabea Meier
E-Mail: t.meier@psychologie.uzh.ch
Dr. Andrea Horn
E-Mail: a.horn@psychologie.uzh.ch
Tabea Meier, Ryan L. Boyd, Matthias R. Mehl, Anne Milek, James W. Pennebaker, Mike Martin, Markus Wolf, and Andrea B. Horn. Stereotyping in the digital age: Male language is “ingenious”, female language is “beautiful” – and popular. PLoS One. 16 Dezember 2020, DOI: 10.1371/journal.pone.0243637
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Pädagogik / Bildung, Psychologie, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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