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14.01.2021 10:02

Neuronen in Mäusegehirnen per Fernsteuerung befeuert

Linda Behringer Public Relations
Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme

    Tiefe Hirnstimulation sind Geräte, die Teile des Gehirns elektrisch stimulieren. Solche Geräte erfordern jedoch einen größeren neurochirurgischen Eingriff und setzen den Patienten dem Risiko von Blutungen oder Infektionen aus. Wissenschaftler*innen entwickelten nun ferngesteuerte Nanopartikel, die eine weniger invasive Methode zur Modulation von Neuronen im Gehirn werden könnte. Die Forscher*innen injizierten die winzigen Nanoelektroden in Mäusegehirne, setzten die Tiere einem externen Magnetfeld aus und zeigten, wie die winzigen Partikel elektrische Signale an das Gehirn übertragen – genau wie ein Hirnschrittmacher.

    Karlsruhe, Stuttgart, Maastricht – Eine Gruppe von Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS) und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben neuronale Geräte entwickelt, die 2000-mal kleiner als ein menschliches Haar sind und ein magnetisches Signal in ein elektrisches Signal umwandeln können. Neurobiologen und Neurochirurgen des Maastricht University Medical Center injizierten die nanometerkleinen Partikel in das Gehirn von Mäusen. Nachdem sie die Mäuse einem Magnetfeld aussetzten, erzeugten die Partikel ein elektrisches Feld und stimulierten die umliegenden Neuronen. Sie brachten die Neuronen zum Feuern, ähnlich wie dies Geräte zur Tiefen Hirnstimulation tun.

    Umgangssprachlich Hirnschrittmacher oder DBS (Deep Brain Stimulator) genannt, bestehen solche Geräte aus Elektroden, die tief ins Gehirn führen. Sie sind durch Drähte mit einem Impulsgeber verbunden, der auf Höhe der Brust unter die Haut eines Parkinson-Patienten implantiert wird und elektrische Impulse an die Zielregion im Gehirn abgibt. Die elektrischen Impulse reduzieren die charakteristischen Symptome wie Zittern, Muskelsteifigkeit, Verlangsamung der Bewegungen und gestörte Haltungsstabilität.

    Die Injektion kleinster Partikel, die ein elektrisches Feld erzeugen und so Teile des Gehirns drahtlos stimulieren, könnte eines Tages zu einem medizinischen Verfahren werden, das die Symptome lindert und die Lebensqualität von Patienten erhöht, ohne dass sie sich einer größeren Operation unterziehen müssten. Viele würden davon profitieren, denn Parkinson ist nach Alzheimer weltweit die zweithäufigste Erkrankung des Nervensystems, über sechs Millionen Menschen sind davon betroffen.

    „Die wichtigste Erkenntnis unserer Forschung ist, dass wir die Hirnaktivität ähnlich wie bei einem normalen DBS verändern können. Ähnlich wie beim kabellosen Aufladen eines modernen Smartphones gibt es keine physisches Kabel, das die Nanoelektroden mit dem Impulsgeber verbindet. Das macht die Anwendung im Inneren des Gehirns weniger invasiv und sicherer“, sagt Dr. Kristen Kozielski. Sie war zuvor Forscherin in der Abteilung für Physische Intelligenz am MPI-IS in Stuttgart und leitet nun die Forschungsgruppe Neuroelektronische Materialien am Institut für Funktionelle Grenzflächen am KIT.

    Kozielski ist Erstautorin der Publikation “Non-Resonant Powering of Injectable Nanoelectrodes Enables Wireless Deep Brain Stimulation in Freely Moving Mice”, die am 13. Januar 2021 in Science Advances veröffentlicht wurde. Die Forschung ist ein Gemeinschaftsprojekt des MPI-IS, des KIT und des Maastricht University Medical Center (UMC) in den Niederlanden. Die Forscher*innen am MPI-IS entwickelten die Nanoelektroden und entwarfen die magnetischen Geräte, mit denen sie stimuliert werden. Die Co-Autoren Dr. Ali Jahanshahi, Prof. Yasin Temel und Faisal Alosaimi, die in der Abteilung für Neurochirurgie am Maastricht UMC arbeiten, führten wiederum die Tests an Mäusen durch und beobachteten die Veränderungen der Gehirnaktivität und des Verhaltens der Tiere.

    Dr. Jahanshahi und sein Team brachten die Partikel mit einer präzisen chirurgischen Technik in die subthalamische Gehirnregion von Mäusen ein. Diese Region ist für ihre Schlüsselfunktion bei der Bewegungskontrolle bei Säugetieren bekannt und ist daher ein beliebtes Ziel für DBS beim Menschen. „Wir bewerteten das Verhalten der Mäuse in verschiedenen Verhaltenstests, nachdem wir sie einem Magnetfeld ausgesetzt hatten", erklärt Jahanshahi. „Diese Tests sind darauf ausgelegt, eine Vielzahl von Bewegungsparametern zu erfassen. Zum Beispiel wurde das Geh-/Laufverhalten der Mäuse in einem automatisierten Testaufbau namens 'CatWalk' untersucht. Er besteht aus einem berührungsempfindlichen Laufsteg und einem computergestützten Kamera-Tracking-System, das von einer Software gesteuert wird, die Dutzende von Parameter im Zusammenhang mit der Bewegung der Tiere extrahieren kann. Nachdem wir die Mäuse dem Magnetfeld aussetzten, beobachteten wir, dass die Nagetiere signifikante Veränderungen in ihrer Geschwindigkeit zeigten: ihre Gliedmaßen bewegten sie häufiger, die Schrittlänge wurde größer, während andere Bewegungsparameter wie das Gleichgewicht nicht beeinträchtigt wurden“, so Jahanshahi weiter. „Die Analyse des Gehirns der Tiere ergab, dass ein möglicher Mechanismus hinter diesem spezifischen Verhaltenseffekt die Aktivierung mehrerer miteinander verbundener Hirnareale sein könnte, die gemeinsam das Erregungsverhalten regulieren.“

    Prof. Dr. Metin Sitti, Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am MPI-IS und Mitautor der Studie, verspricht sich viel von der Forschung: „Drahtlose medizinische Geräte könnten in naher Zukunft die Medizin revolutionieren, indem sie eine minimal-invasive, implantierbare, lokale und effektive Behandlung vieler Krankheiten ermöglichen. Die Studie ist ein erster Schritt in diese Richtung.“ Das Forschungsprojekt ist für ihn deshalb so relevant, weil bisher noch keines der verschiedenen drahtlosen medizinischen Geräte, die Sittis Team entwickelt, in-vivo getestet wurden. Er erhielt kürzlich den Breakthrough of the Year Award in der Kategorie Engineering and Technology auf dem Fallings Walls World Science Summit in Berlin. Dort wurde Sitti für seine bahnbrechende Forschung an drahtlosen medizinischen Geräten für den Einsatz im menschlichen Körper ausgezeichnet.

    In dieser ersten Studie wurden gesunde Mäuse verwendet, um die Sicherheit und Funktionalität der Nanopartikel zu bewerten. Das Team arbeitet nun an Folgeprojekten, bei denen sie die Nanopartikel bei parkinsonerkrankten Mäusen anwenden werden, um zu untersuchen, wie sie die Symptome tatsächlich erkrankter Tiere lindern können.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Kristen Kozielski
    Leiterin der Forschungsgruppe Neuroelektronische Materialien
    Institut für Funktionelle Grenzflächen
    Karlsruher Institut für Technologie KIT
    kristen.kozielski@kit.edu

    Prof. Dr. Metin Sitti
    Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz
    Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme
    sitti@is.mpg.de


    Originalpublikation:

    https://advances.sciencemag.org/content/7/3/eabc4189


    Weitere Informationen:

    https://is.mpg.de/de/news/scientists-remotely-stimulate-neurons-in-the-brain-of-...


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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