Das vollständig sequenzierte Genom des Australischen Lungenfisches ist das größte sequenzierte Tiergenom und hilft, den Landgang der Wirbeltiere besser zu verstehen – Evolutionsbiologen der Universität Konstanz sind maßgeblich beteiligt
Mit Hilfe neuester DNS-Sequenziertechnologien konnte eine Gruppe von Laboren in Konstanz, Würzburg, Hamburg und Wien mit maßgeblicher Beteiligung des Evolutionsbiologen Prof. Dr. Axel Meyer von der Universität Konstanz das Genom des Australischen Lungenfischs vollständig sequenzieren. Das Genom mit einer Gesamtgröße von über 43 Milliarden DNS-Bausteinen ist fast 14-mal größer als das des Menschen und das größte Tiergenom, das bislang sequenziert wurde. Dessen Analyse gibt wertvolle Einblicke in die genetischen und entwicklungsbiologischen evolutionären Innovationen, die die Besiedlung des Landes durch Fische möglich machten. Die Befunde, die online im Wissenschaftsjournal Nature publiziert sind, erweitern das Verständnis für diesen entscheidenden evolutionären Fortschritt im Devon vor 420 Millionen Jahren.
Lungenfische sind die nächsten lebenden Fischverwandten des Menschen. Sie haben noch viel von einem Fisch, aber auch schon einige Eigenschaften von Landwirbeltieren wie den Menschen. Der vor 150 Jahren entdeckte Australische Lungenfisch (Neoceratodus forsteri) ist ein „lebendes Fossil“, das anderen bis vor 100 Millionen Jahren lebenden Lungenfischen (Ceratodus) täuschend ähnlich ist. Deren „fleischige“ Flossen haben eine anatomische Knochenanordnung, die schon erkennbar derjenigen in den menschlichen Gliedmaßen gleicht. Damit bewegen sich die Australischen Lungenfische schon wie ein Salamander. Wie ihr Name sagt, besitzen Lungenfische außerdem eine Lunge, mit der sie an der Wasseroberfläche Luft atmen müssen, um nicht zu ertrinken.
Lungenfische ähneln immer noch unseren Fischvorfahren, die das Wasser verließen
Lungenfische haben eine extrem lange Evolutionsgeschichte. Sie gehören zu den wenigen überlebenden „Fleischflossern“ (Sarcopterygii), von denen viele, die zu dem Zeitpunkt der „Eroberung des Lands“ vor zirka 420 Millionen Jahren lebten, längst ausgestorben sind. Aus einer dieser ausgestorbenen Linie von Fleischflossern gingen die Landwirbeltiere, die Tetrapoden – also alle Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere – hervor. Lungenfische ähneln immer noch den Fischen jener Zeit, die erfolgreich das Wasser verließen. Das macht das Studium ihres Genoms so wichtig. Allerdings haben Lungenfische Genome, die zu den größten aller Tiere zählen. Das Genom des Australischen Lungenfischs ist fast 14-mal größer als das des Menschen, was es bisher technisch unmöglich machte, es zu entziffern. Mit Hilfe neuester DNS-Sequenzierungstechnologien konnte nun die Forschungskooperation die vollständige Sequenzierung des Australischen Lungenfisch-Genoms vornehmen. Es ist das größte Tiergenom, das bislang sequenziert wurde.
Die vollständige Sequenzierung des Genoms des Australischen Lungenfischs mit einer Gesamtgröße von 43 Milliarden DNS-Nukleotiden ermöglicht nun, die evolutionäre Schlüsselposition der Lungenfische als nächste lebende Verwandte der Tetrapoden zu bestätigen. Das entschlüsselte Genom ermöglicht es außerdem, mit einem neuen und viel umfangreicheren Datensatz die frühere Hypothese zu bestätigen, dass der Lungenfisch näher mit den Landwirbeltieren verwandt ist als der Quastenflosser, der über 50 Jahre lang nach seiner Entdeckung im Jahr 1938 als der dem Menschen nächste noch lebender Fischverwandte angesehen wurde.
Die Besiedlung des Lands erfordert eine Reihe evolutionärer Innovationen
„Was lässt sich im Genom des Lungenfisches erkennen, das erklärt, wie diese Fische ans Land gehen konnten?“, formuliert Axel Meyer die übergeordnete Frage. In der Genomanalyse wurden genomische Präadaptionen gefunden – genetische Voranpassungen an die neuen, zuvor nicht vorhandenen Umweltbedingungen des Landlebens. Das große evolutionäre Ereignis der Besiedlung des Lands erforderte neben der Luftatmung durch die Erfindung der Lunge eine Reihe anderer evolutionärer Innovationen wie die Fähigkeiten, Duftstoffe in der Luft riechen zu können und sich auf dem Land fortzubewegen. Die Studie rekonstruiert, ausgehend von der Genomsequenzierung, die Landeroberung unter mehreren Aspekten wie etwa der Evolution der Gliedmaßen aus Flossen, der Luftatmung, des Geruchssinns sowie der Fortpflanzung. So konnte gezeigt werden, dass es im Menschen und Lungenfisch gleiche Gene gibt, die die Embryonalentwicklung der Lunge steuern. „Die Lunge von Lungenfischen ist entwicklungsgeschichtlich daher auf die gleiche Herkunft zurückzuführen wie die der Landwirbeltiere, einschließlich des Menschen“, so Axel Meyer.
Die Genfamilien, die dem Riechen in der Luft dienen, sind stark gewachsen, und die Entwicklung der Flossen ist schon in vielen Aspekten, etwa der Funktion der hox-c13- und sal1-Gene, vergleichbar mit der Embryologie der menschlichen Hände. Die Architektur der Finger in den Händen und auch von Elle und Speiche ist bereits in der Flosse des Lungenfischs angelegt, wofür dieselben Gene und dieselbe Genregulation wie bei den Menschen verantwortlich sind.
Die „Signatur“ des gemeinsamen evolutionären Ursprungs blieb erhalten
Trotz der immensen Größe des Genoms ist die Anordnung der Gene auf den Chromosomen evolutionär überraschend konservativ, was es ermöglicht, den Zustand des Urwirbeltier-Chromosomensatzes zu rekonstruieren. Trotz der einzigartigen Expansionsgeschichte des Lungenfisch-Genoms ist somit die genetische Organisation und Homologie, die „Signatur“ des gemeinsamen evolutionären Ursprungs, der Chromosomen erhalten geblieben.
Mehrere einzelne Chromosomen des Lungenfisches sind jeweils so groß wie das komplette menschliche Genom (mit 23 Chromosomen) in seiner Gesamtheit. Die enorme Größe des Lungenfisch-Genoms erklärt sich durch mobile DNS-Elemente verschiedener Klassen, deren Position im Genom veränderlich ist und die insgesamt 90 Prozent des gesamten genetischen Materials ausmachen. Insbesondere die hierzu zählenden sogenannten LINE-Elemente sind in zwei Wellen der evolutionären Geschichte der Lungenfische extrem häufig dupliziert worden. Auch in der Zusammensetzung dieser mobilen Elemente ähnelt der Lungenfisch schon mehr den Landwirbeltieren als den Fischen.
Für die Sequenzierung des Genoms der Lungenfische wird Axel Meyer gemeinsam mit Prof. Dr. Manfred Schartl von der Universität Würzburg und Prof. Dr. Torsten Burmester von der Universität Hamburg von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2018 mit über 500.000 Euro gefördert.
Faktenübersicht:
- Originalpublikation: Axel Meyer, Siegfried Schloissnig, Paolo Franchini, Kang Du, Joost Woltering, Iker Irisarri, Wai Yee Wong, Sergej Nowoshilow, Susanne Kneitz, Akane Kawaguchi, Andrej Fabrizius, Peiwen Xiong, Corentin Dechaud, Herman Spaink, Jean-Nicolas Volff, Oleg Simakov, Thorsten Burmester, Elly M. Tanaka, Manfred Schartl 2020. Giant Lungfish genome elucidates the conquest of land by vertebrates. Doi: 10.1038/s41586-021-03198-8
- Einer Forschungskooperation von Laboren hauptsächlich an den Universitäten bzw. wissenschaftlichen Einrichtungen in Konstanz, Würzburg, Hamburg und Wien gelang die vollständige Sequenzierung des Australischen Lungenfisch-Genoms, des größten Tiergenoms, das bislang sequenziert wurde
- Genom-Analyse erweitert das Verständnis für den Landgang der Wirbeltiere
- Mit maßgeblicher Beteiligung des Evolutionsbiologen Prof. Dr. Axel Meyer von der Universität Konstanz
- Seit 2018 Förderung der Sequenzierung des Lungenfisch-Genoms durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) an Professoren Axel Meyer, Thorsten Burmester und Manfred Schartl mit über 500.000 Euro.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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